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Zweckbindungen engen Handlungsspielraum ein

Der Strassenverkehr wächst rasant – viel rascher auf jeden Fall, als die entsprechenden Infrastrukturen ausgebaut werden können. Die daraus resultierenden Engpässe will die Volksinitiative «Für eine faire Verkehrsfinanzierung», auch «Milchkuh-Initiative» genannt, ausmerzen. Die von den Automobilverbänden lancierte und von der SVP und vom Gewerbeverband unterstützte Initiative fordert, mehr Geld für den Strassenverkehr bereitzustellen. Unausgesprochen geht es den Initianten natürlich auch darum, die Interessen ihrer politischen Klientel zu bedienen. Das Volk stimmt am 5. Juni über die Vorlage ab.

Konkret verlangt sie, dass künftig der gesamte Ertrag der Mineralölsteuer auf Treibstoffen zweckgebunden dem Strassenverkehr bzw. Strassenbau zur Verfügung gestellt wird. Heute fliesst die Hälfte des Ertrags in den Strassenbau. Mit der Annahme der Initiative würden die für die Strasse reservierten Mittel auf einen Schlag von 3,7 auf 5,2 Mrd. Fr. erhöht.

Taktisches Manöver

Der Bundesrat, der ebenso wie das Parlament die Initiative ablehnt, hat ihr mit dem Fonds für die Nationalstrassen und den Agglomerationsverkehr (NAF) ein eigenes Konzept gegenübergestellt. Es ist faktisch ein Gegenvorschlag zur Initiative. Der NAF würde auf Verfassungsebene verankert. Er wird allerdings nicht entsprechend behandelt, sondern steht im Parlament für sich allein zur Debatte. Der NAF soll gemäss der bisherigen Behandlung 60 statt 50% der Mineralölsteuer erhalten. Zudem sieht er eine Erhöhung des Mineralölzuschlags um 4 Rp. je Liter vor.

Der NAF wurde mit Blick auf die Abstimmung zur taktischen Manövriermasse. In der nationalrätlichen Kommission hat sich eine unheilige Allianz aus SP und SVP gegen den NAF ausgesprochen. Während die SP um den öffentlichen Verkehr fürchtet, wandten sich die SVP-Mitglieder – die Partei hatte den NAF zuvor unterstützt – gegen die vorgeschlagene Erhöhung des Zuschlags um 4 Rp.

Die Initianten hielten darauf umgehend fest, dass der NAF nun über ein Ja zur «Milchkuh-Initiative» gerettet werden müsse. Das durchsichtige taktische Manöver erhöht die Akzeptanz für die Volksinitiative kaum – ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich SP und SVP einmal mehr ins Lotterbett der unheiligen Allianz gelegt haben.

Das wichtigste sachliche Argument gegen die Initiative ist finanzpolitischer Art. Da sie im Fall einer Annahme per sofort umgesetzt würde, entstünde von einem Tag auf den anderen ein grosses Loch in der Bundeskasse. Die entsprechenden Mittel würden dem allgemeinen Bundeshaushalt entzogen und müssten dem Strassenverkehr zugeführt werden.

Dadurch ergäbe sich im Haushalt noch im laufenden Jahr ein Sparbedarf von rund 700 Mio. Fr. Im kommenden Jahr wären dann die gesamten runden 1,5 Mrd. Fr. zu kompensieren. SVP-Bundesrat und Finanzminister Ueli Maurer betont denn auch, dass eine derartige Sparübung nicht machbar sei. Umso mehr noch, als im Finanzplan für die kommenden Jahre ohnehin Löcher klaffen, die mit Sparprogrammen im Umfang von 2,5 Mrd. Fr. kompensiert werden müssen. Sollte die Initiative angenommen werden, wären sofortige lineare Einsparungen etwa in den Bereichen ETH/Forschungsförderung, Landwirtschaft, Armee, Entwicklungszusammenarbeit, öffentlicher Verkehr sowie in weiteren Aufgabenbereichen nötig.

Ein wichtiges finanzpolitisches Argument wird in der Debatte vernachlässigt: Der Anteil der zweckgebundenen Ausgaben im Bundeshaushalt würde weiter steigen. Zweckgebunden sind Ausgaben dann, wenn sie in Gesetzen oder gar in der Verfassung verankert sind. Das Parlament kann diese Ausgabenposten nur über langwierige Gesetzesänderungen beeinflussen. Schon heute beträgt der Anteil der zweckgebundenen Ausgaben zwischen 55 und 60%. Gemäss einer kürzlich veröffentlichten Studie des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse wird er bis zum Ende der laufenden Legislatur 2019 auf rund zwei Drittel steigen.

Das ist darum fatal, weil dadurch der finanzpolitische Handlungsspielraum empfindlich eingeschränkt wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass Sparprogramme oft kurzfristig nötig werden. Wenn die ungebundenen Ausgaben nur noch ein Drittel des Gesamtvolumens ausmachen, wird in diesen Bereichen die Fähigkeit des Bundes zur Aufgabenerfüllung rasch in Frage gestellt.

Zudem wird es unter einem derartigen Regime immer schwieriger, die Schuldenbremse noch umzusetzen. Das Instrument hat massgeblich dazu beigetragen, dass der Bundeshaushalt heute sehr gesund ist und die Schulden in den vergangenen Jahren abgebaut werden konnten – im internationalen Vergleich einmalig.

Gegen die Initiative sprechen sich auch die Kantone aus. Das hat zunächst damit zu tun, dass die Bundesbeiträge an die Kantone in der Folge einer Annahme des Vorstosses um rund 190 Mio. Fr. gekürzt werden müssten. Die Kantone sehen sich ausserstande, den Ausfall zu kompensieren. Zudem machen sie geltend, dass gar nicht genügend Projekte vorhanden wären, um die üppigen frischen Mittel für die Strasse sinnvoll zu verbauen. Der Verschwendung wären Tür und Tor geöffnet.

Verfassungsrechtlich heikel

Die «Milchkuh-Initiative» würde weiter ein Ungleichgewicht zur Bahn schaffen. Für den privaten Strassenverkehr stünden mehr Mittel zur Verfügung als für den öffentlichen Verkehr. Dieser hat seit der Abstimmung über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (FABI) 2014 auch ein eigenes Vehikel. Im Fall eines Ja zur Initiative entstünde zudem eine verfassungsrechtlich heikle Situation. Im Beschluss zum FABI ist festgeschrieben, dass während einer Übergangszeit pro Jahr bis 310 Mio. Fr. aus der Mineralölsteuer in den Bahninfrastrukturfonds fliessen sollen. Das widerspricht der «Milchkuh-Initiative». Welche Bestimmung obsiegen würde, ist unklar.

Die Initiative verharrt im – allzu oft feindschaftlichen – verkehrspolitischen Gegensatzdenken: Privater und öffentlicher Verkehr werden immer wieder gegeneinander ausgespielt. Das ist in der kleinräumigen Schweiz mit ihrer hoch mobilen Bevölkerung nicht zielführend. Da die Verkehrskapazitäten nicht beliebig ausgebaut werden können, muss das System als Ganzes gesehen und behandelt werden. Es kann nicht ein Gegeneinander von privatem und öffentlichem Verkehr sein, es muss vielmehr ein Miteinander sein.

Leider hat es die Politik bisher versäumt, die entsprechenden Weichen zu stellen. Die «Milchkuh-Initiative» zementiert diesen vermeintlichen Gegensatz – das trägt langfristig nicht zur Lösung der verkehrspolitischen Probleme bei. Auch aus diesem Grund ist sie abzulehnen.