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Plan B für Unternehmenssteuern

Die Schweiz hat in der Europäischen Union nicht viele Freunde. Die Behörden der EU stossen sich an der eigenständigen Steuerpolitik der Schweiz. In der Volksabstimmung vom 12. Februar 2017 lehnten die Schweizerinnen und Schweizer eine Vorlage des Parlaments ab, die Grundzüge der EU-Unternehmensbesteuerung zu übernehmen. Die Logik der EU ist einfach: Wer an ihrem freien Binnenmarkt teilnehmen will, der soll auch ihre Unternehmensbesteuerung akzeptieren. Die Schweiz hat die Wahl: Entweder sie nimmt am EU-Binnenmarkt teil, oder sie entscheidet sich für den Alleingang.

Die EU stört sich besonders an der Besteuerung der in der Schweiz ansässigen Holding-, Domizil- und gemischten Gesellschaften. Diese Unternehmen werden von den Kantonen, die die Besteuerungshoheit innehaben, gegenüber normalen schweizerischen Unternehmen begünstigt. Diese ausländischen Gesellschaften gehen in der Schweiz keiner aktiven Geschäftstätigkeit nach. Sie vertreiben aus der Schweiz nur ihre Marken. Zu nennen sind Unternehmen wie  Accor, Adecco, Procter & Gamble oder Tetra Pak. Diese  Unternehmen werden von den Kantonen nur mit einer ermässigten Holdingsteuer belastet. Der Schweiz wird vorgeworfen, auf diese Weise einen unlauteren Steuerwettbewerb zu betreiben: Sie verfolge Base Erosion and Profit Shifting (Beps) zulasten der EU.

Steuerkartell gegen Steuerwettbewerb

Die EU sagt: Produktwettbewerb ist erwünscht, Steuerwettbewerb aber nicht. Jeder Euro, den die Schweiz an Steuern einnimmt, geht der EU zur eigenen Besteuerung verloren. Dem erwünschten Produktwettbewerb auf der einen Seite steht ein EU-Steuerkartell auf der anderen Seite gegenüber. Der Grund ist einfach: Die EU verlangt von den EU-Unternehmen mehr Steuern, als sie vom Staat an Mitteln zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs in Anspruch nehmen. Den Mehrertrag verwendet die EU zur Finanzierung von öffentlichen Gütern und zur Umverteilung (Renten, Gesundheit, Schulen usw.), also für Zwecke, die nichts mit dem besteuerten Unternehmen gemeinsam haben.

Die Schweiz argumentiert demgegenüber: Steuerwettbewerb ist notwendig, damit der Staat nicht zu einem unersättlichen Geldvertilger, einem  Leviathan wird, der die Unternehmen übermässig ausbeutet.  Doch gerade das Fehlen von Steuerwettbewerb leistet in den meisten EU-Staaten dem Leviathan Vorschub. Eine Unternehmenssteuer soll daher nur so hoch sein, dass sie dem Staat die vom Unternehmen verursachten Kosten ersetzt. Aus der Sicht der EU ist der schweizerische Steuerwettbewerb verpönt. Aus der Sicht der Schweiz verhält es sich gerade umgekehrt: Verpönt ist das EU-Steuerkartell, weil es den Unternehmen mehr Steuern auflädt, als sie von ihm als Gegenleistung erhalten.

Um Brüssels Wünschen Rechnung zu tragen, erarbeiteten Bundesrat und Parlament ein Gesetz für die Unternehmenssteuerreform III (USR III). Im Sommer 2016 schien alles geregelt. Kaum hatten sich die bürgerlichen Parteien auf eine EU-gemässe Besteuerung der ausländischen Gesellschaften  geeinigt, da lancierte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein Referendum gegen die vom Parlament ausgearbeitete Vorlage. Die SP wollte nicht Steuern anpassen, sondern allgemein die Staatsausgaben für die Bildung und die Renten ausdehnen, was zweifelsohne zu allgemein höheren Steuern führen würde. Die Kritik der SP genügte, um die Vorlage des Parlaments im Referendum zu Fall zu bringen – das bedeutete jedoch nicht automatisch Zustimmung zu den SP-Steuerzielen; sie standen in der Abstimmung gar nicht zur Debatte

Die Kräfte in der Volksabstimmung lassen sich in drei Gruppen einteilen, Linke, Rechte, Mitte. Links stehen vor allem die Anhänger der SP, die die Vorlage des Parlaments ablehnten. Rechts stehen die Wirtschaftsverbände, die die Vorlage begrüssten. In der Mitte stehen diejenigen Gruppen, die sowohl die Vorlage des Parlaments wie die Ideen der SP ablehnten.

Eine solche Wählerverteilung ist in der schweizerischen Demokratie nicht vorgesehen. Ein politisches Problem lässt sich nämlich in einer Demokratie nur lösen, wenn die Wählermeinungen in der Mitte des Wählerspektrums einen «Berg» bilden. Dann können Bundesrat und Parlament abtasten, mit welcher Politik sie mit einer Stimmenmehrheit rechnen können. Befindet sich jedoch in der Mitte der Meinungen ein «Tal», so ist eine Mehrheit wacklig. Die Regierung gewinnt zwar Stimmen, wenn sie von der Mitte aus nach rechts oder nach links geht, doch nicht genug, um eine absolute Mehrheit zusammenzubringen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird eine Vorlage mit U-förmiger Meinungsverteilung abgelehnt. So erklärt sich auch das Ergebnis der Abstimmung vom 12. Februar 2017.

Das Beispiel deckt ein fundamentales Problem der Mehrheitsdemokratie auf. Der Ökonom und Nobelpreisträger Kenneth Arrow hat es 1954 entdeckt. Wenn die  Wähler beliebige Meinungsverteilungen haben, was man eigentlich annehmen sollte, so kommt eine Mehrheitsentscheidung nur zustande, wenn die Wählerpräfenzen den genannten «Berg» in der Mitte des Wählerspektrums bilden. Man sagt: Die Wählerverteilung ist «eingipflig». Doch wenn zwischen links und rechts ein «Meinungstal» liegt, so gibt es keine Mehrheit in der Mitte. Die Wähler stehen entweder links oder rechts von der Mitte. Es verwundert daher nicht, dass die USR III vor einem Jahr scheiterte: Sie erhielt weder von links noch von rechts genügend Unterstützung.

Seit dieser Niederlage basteln die Behörden an einer neuen Vorlage. Die Eckwerte der Steuervorlage 17 (SV17) liegen seit dem 2. Februar vor. Sie gewährt kleine Zückerchen für beide Seiten: etwas höhere Dividendensteuern und allgemein gemässigte Unternehmenssteuern. Damit allein lässt sich das Problem der U-förmigen Präferenzverteilung nicht lösen: Die U-Form bleibt auch mit Zückerchen erhalten und drängt die Wählermehrheit von der Mitte nach aussen.

Es bleibt eine Hoffnung, das Problem der Unternehmensbesteuerung doch noch EU-konform zu lösen. Einig sind sich die Schweizerinnen und Schweizer, dass die wirtschaftlichen Bindungen an die EU und an den Binnenmarkt erhalten bleiben sollen und nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfen. In diesem Punkt besteht ein «Meinungsberg». Deswegen hat sich das Schweizer Volk nach der Ablehnung des EWR in der Volksabstimmung  1992 für den bilateralen Weg entschlossen.

«Guillotine» nach Nein zu Reform

Bern vereinbarte mit Brüssel ein Paket von sieben miteinander verknüpften Abkommen, die sogenannten bilateralen Verträge I (Personenfreizügigkeit, technische Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung). Diese Abkommen wurden am 21. Mai 2000 von Volk und Ständen angenommen. Sie sind durch eine Guillotineklausel miteinander verknüpft: Wird ein Vertragsteil gekündigt, so fallen auch alle anderen Verträge dahin, denn die Schweiz soll sich nicht durch Rosinenpicken die für sie günstigsten Verträge herausnehmen. Später folgten weitere Abkommen.

Die Guillotineklausel gilt grundsätzlich auch für die Besteuerung. Wenn nun auch die SV17 in einem Referendum abgelehnt werden sollte, so könnte die Europäische Union sie anwenden und das Bündel aller sieben Abkommen der Bilateralen I aufkündigen. Das wäre für die Schweiz als wesentlich kleineren Vertragspartner ein grösserer Schaden als für die grosse EU, darüber besteht Einigkeit. Auch die SP hat sich daher stets für die Bilateralen eingesetzt. Das Gesamtpaket ist «eingipflig» und damit nach wie vor mehrheitsfähig.