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Landwirtschaft im Abwehrmodus

Die im vergangenen November publizierte Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik hat in landwirtschaftlichen Kreisen eingeschlagen wie eine Bombe. Mit der bundesrätlichen Aussage, der Grenzschutz im Agrarbereich müsse gelockert werden, glauben sich die Bauern in ihrer Existenz bedroht. Entsprechend gehässig fielen die Reaktionen aus: Von Skandal war die Rede, der Bundesrat wolle den Tod der Landwirtschaft. Die SVP sprach gar von einer «weltfremden und unverständlichen Vision von Grenzöffnungen».

Der Präsident des Schweizer Bauernverbands (SBV), CVP-Nationalrat Markus Ritter, wünschte den Bericht gar in den Shredder und verweigert bislang jede Diskussion darüber. Hinter der kruden Rhetorik steckt ein verzweifelter Kampf um Besitzstände und alte bäuerliche Pfründen.

In der Tat, die Besitzstände sind eindrücklich: Die Subventionen des Bundes an die Landwirtschaft belaufen sich auf gut 3,5 Mrd. Fr. pro Jahr. Der heute praktizierte rigide Grenzschutz verteuert die landwirtschaftlichen Produkte noch einmal um rund 3,5 Mrd. Fr. Hinzu kommen noch gegen 400 Mio. Fr. Subventionen von Kantonen und Gemeinden. Kein anderes Industrieland, mit Ausnahme Norwegens, praktiziert einen so strikten und teuren Agrarschutz wie die Schweiz – die sich im Übrigen gerne als marktwirtschaftliches Land gibt.

Es steht viel auf dem Spiel

Für die Landwirtschaft steht viel auf dem Spiel. Darob wird vergessen, wie viel für die übrige Wirtschaft auf dem Spiel steht – wenn auch im umgekehrten Sinn. Die Schweiz verdient rund jeden zweiten Franken im Ausland, über die Exportwirtschaft. Sie ist damit auf Gedeih und Verderb auf offene ausländische Märkte angewiesen. Dabei ist der Landwirtschaft in Erinnerung zu rufen, dass die enormen Kosten der heutigen Agrarpolitik im Wesentlichen von der Wirtschaft aufgebracht werden – zusammen mit den Konsumenten und den Steuerzahlern.

Um von offenen Märkten zu profitieren, braucht es Freihandelsabkommen, die auf Gegenseitigkeit beruhen. Volkswirtschaftsminister Johann N. Schneider-Ammann betonte in den Debatten zum Agrarbericht sowie jüngst auch im Zusammenhang mit allfälligen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay), dass derartige Abkommen in Zukunft ohne Zugeständnisse im Agrarbereich, sprich geringeren Grenzschutz, nicht mehr zu haben sind.

Die Landwirtschaft allerdings glaubt sich nur unter dem Regime eines möglichst ausgebauten Grenzschutzes überlebensfähig – was von wenig unternehmerischem Selbstvertrauen zeugt. Sie blendet dabei aus, dass der Grenzschutz grundsätzlich den Strukturwandel und damit Innovationen und Fortschritt hemmt. Zudem erhöht er die Preise im Inland massiv. Die Lebensmittelpreise in der Schweiz liegen im Schnitt über 70% höher als diejenigen in der EU.

Die oft zitierte Hochpreisinsel Schweiz findet eine ihrer Ursachen genau darin. Die überhöhten Lebensmittelpreise provozieren zudem einen umfassenden Einkaufstourismus ins nahe Ausland. Schätzungen gehen allein für Lebensmittel von einem Volumen von rund 3 Mrd. Fr. aus. Diese Gelder fehlen hiesigen Produzenten. Zudem machen diese Preise auch der einheimischen Lebensmittelindustrie das Leben schwer, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wird im internationalen Vergleich beeinträchtigt.

Umgekehrt zeitigt eine Reduktion des Grenzschutzes – von einem totalen Abbau spricht niemand – positive Wirkungen, die Exporte steigen. Der letzte Abbauschritt fand in der Landwirtschaft 2002 statt: Der Käsemarkt wurde geöffnet. Die Käseexporte sind seither rund 28% gewachsen. Weiter steigt die Wettbewerbsintensität und damit gleichzeitig die Innovation. Schliesslich führen die sinkenden Preise zu weniger Einkaufstourismus.

Ein besserer internationaler Marktzugang ermöglicht der übrigen Wirtschaft höhere Ausfuhren und damit mehr Wachstum. Die Landwirtschaft unterschlägt gerne, dass gerade auch sie auf eine florierende Wirtschaft angewiesen ist.

Trotz dieser in der Praxis immer wieder bestätigten Vorteile findet in der Schweiz kein Abbau des Agrarschutzes statt – eher im Gegenteil. Das Rad der Zeit wird gar zurückgedreht. So wurde etwa die abgeschaffte Milchkontingentierung im Rahmen der Branchenorganisation Milch durch die Hintertür faktisch wieder eingeführt. In der EU hingegen wurden die Zeichen der Zeit erkannt, die Schutzmassnahmen werden eher abgebaut. Damit wird die relative Position der Schweizer Landwirtschaft verschlechtert.

Die weitgehende Immunität der Landwirtschaft gegen auch nur sanfte Marktöffnungsschritte gründet zunächst in dem nach wie vor sorgsam gepflegten Mythos der Ernährungssouveränität. Er hat seine historischen Wurzeln in der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg. Allerdings hat diese Souveränität wenig mit der Realität zu tun: Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz mit Lebensmitteln liegt zwischen 50 und 60%. Er war nie höher, auch zu Zeiten des «Plans Wahlen» nicht.

Zudem entfaltet die Landwirtschaft eine enorme politische Kraft, der SBV ist die wohl stärkste Lobbyorganisation der Schweiz. Obwohl nur noch gut 3% der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig sind und nur etwa 1% der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung erarbeiten, sind rund 10% der Nationalräte der Landwirtschaft zuzuordnen.

Zum Schaden der Wirtschaft

Im Parlament wissen die Bauernvertreter die SVP hinter sich, gleichsam als ihre Hausmacht. Darüber hinaus gehört der Präsident des Bauernverbands der CVP an und der Direktor, Jacques Bourgeois, der FDP. Die Fraktionen pflegen altgedienten und verdienten Mitgliedern in ihren Kerngeschäften nicht in den Rücken zu fallen. Der SBV erhält so für seine hemmungslose Interessenvertretung regelmässig parlamentarische Mehrheiten.

Die Verhinderung von Freihandelsabkommen schadet jedoch der Wirtschaft. Zur Erinnerung: Vor rund zehn Jahren hatte die Schweiz die Gelegenheit, mit den USA ein Freihandelsabkommen zu schliessen. Das wäre für die Exportwirtschaft vis-à-vis der Konkurrenz aus der EU ein unschätzbarer Vorteil gewesen. Die Verhandlungen scheiterten am Widerstand der Landwirtschaft.

Der Handel mit den USA erfuhr daher keine Beschleunigung, die Bedeutung des dominanten Handelspartners, der EU, wurde gestärkt. Gerade dies jedoch widerspricht den Intentionen der SVP – und auch vieler Bauern –, die den bilateralen Weg gegenüber der EU ablehnen. Sie predigen stets das Ausweichen auf andere Handelspartner. Das aber funktioniert nur über Freihandelsabkommen. Der Widerstand dagegen zum Schutz der Landwirtschaft entpuppt sich als Eigentor.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft ist im Gang. Der Weg weist in Richtung mehr Marktorientierung, grössere Betriebe und international möglichst offene Märkte. Der SBV hat diese Trends verschlafen. Dennoch wird sich der Wandel durchsetzen, daran besteht kein Zweifel. Die Kräfte des Marktes sind letztlich stärker als staatlicher Protektionismus.

Je länger dieser Wandel jedoch künstlich herausgezögert wird, desto teurer kommt er zu stehen. Die Zeche bezahlen letztlich die Wirtschaft und die Konsumenten. Die Bereitschaft der Konsumenten, überhöhte Preise zu bezahlen, sinkt – das spiegelt sich im Einkaufstourismus.

Die Landwirtschaft muss ihren Abwehrmodus verlassen und Hand bieten zu Kompromissen. Der Abbau von Grenzschutzmassnahmen birgt nicht nur Risiken, sondern auch erhebliche Chancen. Sie sind aktiv anzugehen und zu nutzen. Mit der sturen Verweigerung jeder Debatte und der Besitzstandswahrung um jeden Preis läuft die Landwirtschaft Gefahr, sich selbst zu  isolieren. Damit würde sie ihren eigenen Niedergang einläuten.

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