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Nigeria vor einem schweren Neuanfang

An Selbstvertrauen und grossen Visionen hat es Nigeria noch nie gemangelt. Vor ein paar Jahren plante die damalige Regierung sogar ein Raumfahrtprogramm, das Afrikas bevölkerungsreichsten Staat wohl mit Macht aus seiner jahrzehntelangen Stagnation in die Moderne katapultieren sollte.

Genau so unerfüllt ist bis heute auch der lang gehegte Wunsch geblieben, bald zu einer der zehn führenden Volkswirtschaften der Welt zu werden. Mit einem Bruttosozialprodukt von knapp 500 Mrd. $ ist Nigeria noch immer meilenweit davon entfernt. Im Gegenteil: Bis heute spielt das Land wirtschaftlich wie sozial in der globalen Abstiegsliga – die Zahl seiner Bürger unter der Armutsgrenze nimmt Jahr für Jahr zu.

Einen kleinen Lichtblick im dunklen Gewölk bietet die Präsidentschaftswahl. Was viele nicht für möglich hielten, ist zu Wochenbeginn tatsächlich geschehen: Erstmals seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1960 kommt es in Nigeria zu einem Machtwechsel von der Regierung zur Opposition.

Mit über 2,5 Millionen Stimmen Vorsprung hat ein Oppositionsbündnis um den 72-jährigen Ex-General Muhammadu Buhari die Wahl weit deutlicher als erwartet gewonnen – gegen den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan und dessen People’s Democratic Party (PDP). Das ist schon deshalb ein tiefer Einschnitt, weil die PDP zuvor alle Wahlen seit dem Ende der Militärherrschaft im Jahr 1999 klar gewonnen hatte und das Land dominierte.

Der Wahlsieger Muhammadu Buhari ist ein ehemaliger Kommandeur der nigerianischen Streitkräfte. Er hatte sich bereits 1983 an die Macht geputscht, war aber schon 18 Monate später wegen wirtschaftlicher Inkompetenz von einem anderen General gestürzt worden.

Seitdem war Buhari bei Wahlen dreimal erfolglos angetreten, zuletzt vor vier Jahren. Dass der nach eigener Aussage inzwischen zum Demokraten gereifte Militär trotz dieser wenig rühmlichen Vorgeschichte an die Spitze des populären Oppositionsbündnisses All Progressives Congress (APC) gelangen und die Wahl derart deutlich gewinnen konnte, liegt nicht zuletzt an der tief im System verankerten Korruption. Für ihr enormes Ausmass wird von vielen vor allem die Regierungspartei um den abgewählten Staatschef Jonathan verantwortlich gemacht.

Ölpreisbaisse bremst das Wachstum

Seit 16 Jahren regiert die PDP bereits, ohne dass Nigeria in irgendeiner Weise von seinem grossen Ölreichtum profitiert hätte. Daneben hat Jonathan zuletzt viele Sympathien verloren, weil die islamistische Terrorbande Boko Haram während seiner Amtszeit monatelang ungehindert im Nordosten des Landes wüten und dort Tausende von Menschen massakrieren konnte.

Erst das Eingreifen der Armee des benachbarten Tschad sowie die Rekrutierung südafrikanischer Söldner haben das Blatt zuletzt gewendet – zu spät jedoch für die  Regierung, um daraus noch Kapital zu schlagen.

Wie schwer es sein wird, die tief gespaltene Nation zusammenzuhalten, zeigt das Wahlergebnis: Während Buhari vor allem in den muslimischen Bundesstaaten im Norden, darunter auch dem zweitgrössten Staat Kano, teilweise überwältigende Siege errang, liegen Jonathans Hochburgen fast ausnahmslos im christlichen Süden.

Schon deshalb wird der nun vielerorts beschworene Neuanfang viel schwerer werden, als die meisten in der ersten Euphorie glauben. Hinzu kommt, dass die Halbierung des Ölpreises das noch immer stark vom schwarzen Gold abhängige Land hart getroffen hat.

Mit dieser Baisse ist das in den vergangenen fünf Jahren vergleichsweise hohe Wachstum von durchschnittlich 6,5% zusammengeschmolzen; der Internationale Währungsfonds rechnet für dieses Jahr mit nur noch 4,5%. Dies ist viel zu wenig, um die hohe Armut unter Nigerias fast 180 Millionen Menschen auch nur ansatzweise zu verringern. Über 130 Millionen von ihnen leben von weniger als 1.25 $ am Tag und damit unterhalb der Armutsgrenze.

Unverkraftbare Zunahme der Bevölkerung

Besonders bedrohlich, wenn auch fast nie erwähnt, ist für Nigeria jedoch seine Demografie: Bis 2050 dürfte das Land  mit dann schätzungsweise 450 Millionen Menschen hinter Indien und China die weltweit dritthöchste Bevölkerungszahl aufweisen.

Jedes Jahr werden in dem kaum industrialisierten Staat sieben Millionen Kinder geboren – mehr als in ganz Europa. Dabei liegt die Jugendarbeitslosenrate schon jetzt bei 65%. Woher die Schulen, Krankenhäuser und vor allem die Arbeitsstellen für die vielen jungen Menschen kommen sollen, weiss derzeit niemand.

Ebenso schwer trifft das Land der chronische Mangel an Strom, dem Lebenssaft jeder modernen Wirtschaft. Wer es sich leisten kann, wird in Nigeria zum Selbstversorger. Mehr als zwei Drittel der Elektrizität werden heute per Generator irgendwo in Kellern und Hinterhöfen erzeugt. Dem Land fällt dadurch aber die notwendige Grundlage für das ersehnte wirtschaftliche Abheben.

Eigentlich wäre der rapide Preisverfall des Öls eine goldene Gelegenheit für Nigeria, die seit Jahren versäumte Diversifizierung seiner Wirtschaft  mit mehr Nachdruck voranzutreiben. Doch davon ist wenig zu spüren. Symptomatisch dafür steht der Ölsektor: Auf der einen Seite produziert Nigeria mit rund zwei Millionen Barrel pro Tag mehr Öl als jedes andere afrikanische Land, doch auf der anderen Seite befinden sich seine Raffinerien in einem derart maroden Zustand, dass der weltweit achtgrösste Ölförderer auf massive Benzineinfuhren angewiesen ist.

Schätzungen zufolge versickert rund die Hälfte der Erdöleinnahmen in privaten Taschen – Hunderte von Milliarden Dollar seit der Entdeckung der Ölfelder im Nigerdelta in den 1970er-Jahren. Schon deshalb wird der neue Präsident herkulischer Kräfte bedürfen, um den Teufelskreis aus Korruption, Terror und Armut zu durchbrechen – und Nigeria aus seiner jahrzehntelangen Stagnation zu befreien.