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Nigeria braucht Lösungen statt Palaver

Als Nigeria vor ein paar Wochen seine ursprünglich für Mitte Februar geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf den 28. März verschob, schien Afrikas bevölkerungsreichster Staat – mit 175 Millionen Menschen – endgültig aus den Fugen zu geraten. Nicht wenige witterten damals hinter der Verlegung sogar einen «stillen Coup» der Machthaber, die, so wurde gemutmasst, ihre mögliche Abwahl durch eine am Ende auf unbestimmte Zeit verschobene Wahl zu verhindern suchten.

Tatsächlich kam die Entscheidung, die mit Abstand wichtigste Wahl in Afrika in diesem Jahr wegen der  verheerenden Terrorkampagne der Islamistensekte Boko Haram zu verschieben, zu einem prekären Zeitpunkt. So sind Staatschef Goodluck Jonathan und seine seit fünfzehn Jahren ununterbrochen regierende People’s Democratic Party (PDP) gleich an zwei Fronten mächtig unter Druck geraten: Im Norden wurde die nigerianische Armee bis vor kurzem von Boko Haram nach allen Regeln der Kunst vorgeführt, im Süden sorgt der abgestürzte Ölpreis für grosse Sorgen um die Wirtschaft des Landes. Nach mehr als zwei Jahrzehnten droht der von den vielen Petrodollar wohlgeölten PDP der Machtverlust. Für Nigeria mit seinen vielen Militärregimes wäre solch ein demokratischer Regierungswechsel von Regierung zu Opposition der erste seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960.

Wunsch nach Wandel

Dass sich viele Nigerianer nach einem Wechsel sehnen, zeigt das Oppositionsbündnis All Progressives Congress um den muslimischen Ex-General Muhammadu Buhari, das von einer reinen Zweckallianz zu einer Art Volksbewegung mutiert ist. Jonathan versprach sich durch den sechswöchigen Aufschub der Wahl vor allem Hilfe von aussen, besonders aus dem benachbarten Tschad, dessen kampferprobte Armee seit längerem mit weit mehr Erfolg als die Nigerianer selbst gegen Boko Haram kämpft.

Was nur wenige für möglich hielten, ist militärisch tatsächlich passiert: Mit der Unterstützung durch seine Nachbarstaaten, aber auch direkter Einbeziehung südafrikanischer Söldner in die Kampfhandlungen sind inzwischen fast alle zuvor von Boko Haram eingenommenen Regionen und Ortschaften zurückerobert worden. Vermutlich als Reaktion auf den hohen militärischen Druck hatte Boko Haram der Schwesterorganisation Islamischer Staat (IS) vor kurzem öffentlich die Treue geschworen. Nigerias Armeeführung betrachtet dieses Gelübde indes mit Recht als Zeichen der Schwäche und Indiz dafür, dass die nun massive  Militäroffensive zumindest ihre kurzfristigen Ziele erreicht. Das schliesst nicht aus, dass Boko Haram die Bevölkerung im Nordosten Nigerias, wie gerade wieder geschehen, mit der Entführung von bis zu 500 Frauen und Kindern auch künftig immer wieder vereinzelt terrorisieren wird.

Inzwischen macht es den Anschein, als ob sich die stark angespannte Sicherheitslage bis zur Wahl am Wochenende tatsächlich so weit verbessern könnte, dass selbst im extrem unruhigen Nordosten womöglich doch unter halbwegs normalen Umständen gewählt werden kann. Bislang war dies mehr als 1,5 Mio. Menschen nicht möglich, weil sie entweder in Gebieten lebten, die von den Islamisten kontrolliert wurden, oder von dort geflüchtet waren. Eine gerade geschlossene Übereinkunft von Regierung und Opposition, das Ergebnis der Wahl bei einem weitgehend fairen Verlauf auch anzuerkennen, könnte die Lage weiter stabilisieren, auch wenn schon deshalb mit einzelnen Gewaltausbrüchen zu rechnen ist, weil bei Wahlen in Afrika einfach zu viel auf dem Spiel steht, allem voran der Zugang der Gewinner zu den Fleischtöpfen des Staates.

Radikale Reformen nötig

Obwohl sich die Unterstützung durch die Armee des Tschads und südafrikanischer Söldner als Erfolg erwiesen hat, kann ihr Mitwirken nur dazu dienen, eine weitere Eskalation der Lage in Nigeria zu verhindern – und dem Land wertvolle Zeit für Reformen zu verschaffen. Langfristig wird das Land in keinem Fall darum herumkommen, sein marodes politisches wie auch wirtschaftliches System von Grund auf zu erneuern und eine effizientere Armee aufzubauen.

Unabhängig vom Ausgang der Wahl erwartet den Gewinner ein schweres Erbe: Die Halbierung des Ölpreises hat die noch immer stark vom schwarzen Gold abhängige Wirtschaft hart getroffen. Einer Studie der britischen Bank HSBC zufolge sind die Öleinnahmen in diesem Jahr die niedrigsten seit sechs Jahren – und nur noch halb so hoch wie 2011. Kein Wunder, dass der Wechselkurs und auch die Börsenkurse stark gefallen sind. Viele Infrastrukturprojekte liegen inzwischen zudem auf Eis.

Angesichts seiner tiefen Krise täte Nigeria, genau wie der übrige Kontinent, gut daran, künftig nicht nur über «afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme» zu palavern, sondern sie endlich auch umzusetzen. Die Erfolge der jüngsten Militäroffensive sind ein Indiz dafür, was in Afrika möglich wäre. Eine Alternative zu einer vertieften Zusammenarbeit und besseren Regierungsführung als bislang gibt es nicht: Sollte Nigeria am Ende doch noch in einen oft befürchteten Bürgerkrieg zwischen muslimischem Norden und christlichem Süden abgleiten und darüber zerbrechen, drohte der extrem fragilen Region zwischen dem Bauch und dem Horn von Afrika ein Flächenbrand, dessen Folgen für ganz Afrika unabsehbar wären.

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