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Die Junk-Bond-Euphorie der Achtzigerjahre

Michael Milken (mitte) wird 1990 in Handschellen abgeführt. Nur wenige Jahre zuvor wurde er als Finanzgenie gefeiert.

Es ist März 1985, eine eingeschworene Gemeinschaft trifft sich im Hilton in Beverly Hills unter kalifornischer Sonne. Sechs Jahre zuvor wird die Konferenz zum ersten Mal noch mit 60 Gästen abgehalten, nun ist sie auf 1500 Teilnehmer angeschwollen. Sie wollen einen Mann hören: Michael Milken.

Die Gäste profitieren von der Genialität dieses Finanzstars. Sind sie Chefs von mittelständischen Unternehmen, bekommen sie dank ihm viel und günstig Kredite. Sind sie Anlagemanager, können sie ihren Kunden dank Milken hohe Renditen versprechen. Der 38-Jährige kümmert sich mit käuflichen Damen besonders um «Corporate Raiders». Dieser Heldentypus der Achtzigerjahre beschreibt Investoren, die mit hohen Krediten Unternehmen übernehmen, oft gegen den Willen des Managements. Alle Teilnehmer am Predators’ Ball – Ball der Jäger – eint der Glaube an Milkens Verheissungen über Junk Bonds. Kein Gast ahnt, dass ihr Messias sechs Jahre später im Gefängnis sitzen wird.

1. Ramsch ist ein Tabu

Ob man sie Junk Bonds, Ramschanleihen oder Hochzinspapiere nennt, für die meisten Anleger sind sie in den Siebzigerjahren noch Tabu. Als Ramsch gelten Unternehmen, die von den Ratingagenturen nicht als Investment Grade (Anlagequalität) beurteilt werden. Die am Markt gehandelten Junk Bonds stammen von ehemals soliden Unternehmen, die ins Straucheln geraten sind. Wegen Finanzproblemen wurden sie auf Ramschstatus herabgestuft. Daher ist ein solches Rating mit Misserfolg assoziiert. Dabei zeigt eine Studie, dass Junk Bonds mehr Rendite abwerfen, als ihrem Ausfallrisiko entsprechen würde. Michael Milken, Student an der Wharton Business School, kennt den Forschungsstand und sieht seine Chance.

Er heuert bei der zweitrangigen Investmentbank Drexel Harriman Ripley (später Drexel Burnham Lambert) an. Gegen den Widerstand etablierter Händler überzeugt er das Management, dass Junk grosse Gewinne verspricht. Drexel stellt Kurse, hält Papiere in den eigenen Büchern und schafft so einen Markt für die Anleihen.

Schon 1973, vier Jahre nach seinem Universitätsabschluss, erhält Milken eine autonome Abteilung. Später siedelt er sie von Wallstreet in die Nähe von Beverly Hills um. Er kassiert 35% der Einnahmen als Bonus. Der ist anfangs noch nicht riesig. Erst Ende der Siebziger kommt es zur Neuemission von hochverzinslichen Papieren. Hohe Renditen erfreuen Anleger, Unternehmen können sich von teuren und beengenden Bankkrediten trennen.

2. Neue Schuldner gesucht

Milken reicht es nicht, Junk Bonds als Alternative zu Bankkrediten anzupreisen. Er sucht neue Gläubiger und Schuldner. In seine Hände spielt, dass sich Anfang der Achtzigerjahre die Idee des Leveraged Buyout (LBO) formt. Dabei nimmt ein Investor, der Corporate Raider, Kredite auf, um eine kotierte Gesellschaft zu kaufen. Wird sie später mit Profit abgestossen, wird der Einsatz dank wenig Eigenkapital und hoher Schulden vervielfacht.

Das Umfeld für Übernahmen ist ideal. Die US-Notenbank siegt im Kampf gegen die Inflation und kann endlich die hohen Leitzinsen senken. Gleichzeitig notiert die Börse tief. Dank sinkender Zinsen und günstiger Aktien sind LBO verlockend.

Auch die Nachfrage nach Junk Bonds zieht an. Anleger suchen wegen tieferer Zinsen neue Renditequellen. So positionieren sich die Sparkassen, die Savings & Loan Associations (S&L), neu. 1980 werden sie dereguliert, werden von Genossenschaften zu Privatfirmen und dürfen mehr Risiken eingehen. Und Versicherungen bieten neu Annuitäten an – Kapital wird in eine Rente umgewandelt. Dieses Kapital muss gewinnträchtig angelegt werden.

Milken bringt Angebot und Nachfrage zusammen. Corporate Raiders, Sparkassendirektoren und Versicherungschefs bilden eine eingeschworene Gruppe. Wie der Pate eines Mafiaclans vergibt Milken Gefälligkeiten und fordert sie ein. Er beherrscht den Markt: In den Achtzigern bringt er fast die Hälfte aller neuen Junk Bonds auf den Markt.

Von Milken kommt ein wichtiges Finanzinstrument für Buyouts. 1983 gibt Drexel mit einem Brief, dem «highly confident letter», die Finanzierungszusage für einen Übernahmeplan des Investors Carl Icahn. Darin schreibt die Bank, «zuversichtlich» zu sein, mit Anleihen genug Mittel aufzutreiben. Icahn kommt bei diesem Deal nicht zum Zug, doch erst diese Art von Brief ermöglicht später viele LBO.

3. Ein Quantensprung

Drexel finanziert in den Achtzigern um die vierzig LBO. Jede Woche werden neue Junk Bonds aufgelegt. Während 1982 der LBO-Boom mit der Übernahme von Gibson Greeting Cards für 80 Mio. $ zahm beginnt, werden die Summen immer grösser. Die Investmentgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts (KKR) übernimmt 1986 den Nahrungskonzern Beatrice Foods für 6,25 Mrd. $. Davon kommen 2,5 Mrd. $ von Drexels Junk Bonds.

Milken wird der Öffentlichkeit bekannt. Magazine überschlagen sich mit Lob. «Er ist seinen Kollegen an der Wallstreet einen Quantensprung voraus», schreibt «Forbes». Drexel wird zur profitabelsten Bank an Wallstreet, 1987 kann Milken mit einer halben Milliarde Dollar den bis dahin höchsten Bonus kassieren.

Der Gipfel des Booms von LBO und Junk Bonds wird Ende 1988 mit dem Preiskampf um die Übernahme des Tabak- und Snackkonzerns RJR Nabisco durch KKR erreicht. Drexel finanziert mit 5 Mrd. $ an Junk Bonds einen grossen Teil des Übernahmeangebots von rund 30 Mrd. $ – die bis dahin grösste Übernahme aller Zeiten.

4. Das Risiko wird sichtbar

In der Euphorie kann Immobilienentwickler Robert Campeau hochtrabende Pläne finanzieren – obwohl er für erratisches Verhalten bekannt ist. Dank Junk Bonds übernimmt er zwei Kaufhausketten mit über 250 Läden, darunter die traditionsreiche Marke «Bloomingdale’s».

«Schwachsinnigster Deal aller Zeiten», titelt «Forbes» später über Campeaus Kauf. Und: «Der Deal brachte die Achtzigerjahre zu einem absurden, passenden Ende.» Campeau hat Schulden von 11 Mrd. $ und kaum Eigenkapital. Er hat sich übernommen. Es kommt 1989 zum bisher grössten Zahlungsausfall an Junk Bonds. Anleger werden sich bewusst, wie übertrieben die Erwartungen an LBO waren. Die Angst vor Zahlungsausfällen wächst.

Druck auf den Markt kommt von der Politik. Ende der Achtzigerjahre geraten Tausende S&L in Schieflage, die Kunden werden vom Staat entschädigt. Den riskanten Junk Bonds wird die Schuld gegeben. 1989 zwingt der US-Kongress die S&L, ihre Ramschanleihen abzustossen. Deren Preise brechen 1990 ein – ihr Marktwert sinkt um 10%.

Zu dieser Zeit ist Michael Milken kaltgestellt. Der Drexel-Kunde und Corporate Raider Ivan Boesky wirft ihm Insiderhandel vor. Es kommt zum Prozess. Milken wird zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und darf sich bis zum Lebensende nicht mehr im Finanzgeschäft engagieren.

Ohne Milken und mit vielen Junk Bonds in den Büchern bekommt Drexel schnell Probleme. Als das Rating der Investmentbank heruntergestuft wird, kann sie fällige Schulden nicht refinanzieren. Im Februar 1990 meldet sie Insolvenz an.

5. Aufarbeitung einer Epoche

1990 und 1991 werden so gut wie keine neuen hochverzinslichen Anleihen emittiert. Niemand will mit dem Ramsch etwas zu tun haben. Auch die LBO sind aus der Mode gekommen. Die Corporate Raiders als Helden der Achtzigerjahre sind Vergangenheit. Milken geht als gieriger Krimineller in das öffentliche Gedächtnis ein.

Doch schon 1991 kommt es zur Erholung der Junk-Bond-Preise. Auch ohne grosse Übernahmetransaktionen sind die Hochzinsanleihen attraktiv. Der Ökonom Edward Altman erklärt: «Es gab kostenlose Zusatzrenditen bis 1988. Aber die Leute wurden gierig.» Anleihen von 1987 und 1988 sind besonders oft ausgefallen. Milken gilt vielen heute noch als Finanzgenie. Fast alleine machte er Junk Bonds populär. Sie sind heute ein etabliertes Finanzinstrument ohne Starallüren.