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Die Silber-Blase von 1980

Nelson Bunker Hunt, ein schwerreicher US-Ölmagnat und Pferdezüchter, versammelt 1975 ein Dutzend seiner angestellten Cowboys rund 30 Kilometer östlich von Dallas. Er drückt jedem ein Gewehr in die Hand und verteilt die Männer auf drei gecharterte Boeing 707.  In der Nacht fliegen sie nach Chicago und New York, wo die Flugzeuge beladen werden. Ein gepanzerter Wagen nach dem anderen bringt die zu transportierende Ware zu den Maschinen: 6 Mio. Unzen Silber aus den Lagerhallen der New Yorker und der Chicagoer Warenbörsen.

Kaum ist die Fracht verstaut, heben die Flieger ab und überqueren den Atlantik. Am nächsten Tag landen sie in Zürich, wo wiederum gepanzerte Fahrzeuge warten. Bewacht von den Cowboys, verschwinden die Barren in den Tresoren verschiedener Schweizer Banken. Das Silber ist in Sicherheit. Die Manie kann beginnen.

1. Ende des Goldstandards

Der Grundstein für den Exzess wird vier Jahre zuvor gelegt. Auf die «Soaring Sixties», die bislang längste ununterbrochene Wachstumsperiode in den USA, folgt das böse Erwachen: Die Siebzigerjahre beginnen mit einer Rezession. 1971 hebt Präsident Nixon die Dollar-Gold-Konvertierbarkeit auf, es folgen der Watergate-Skandal und das Ende des Bretton-Woods-Systems, das die Währungsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte. In Vietnam muss die Weltmacht eine bittere Niederlage einstecken. Auf den Ölpreisschock 1973 folgt bereits die zweite, deutlich heftigere Rezession der Dekade. Die Dominanz des Dollars ist in Gefahr.

Gleichzeitig macht sich trotz schleppender Wirtschaft eine hartnäckige Inflation breit. 1970 erreicht sie 6%, 1975 klettert sie auf über 12%. Ein neuer Begriff macht die Runde: Stagflation. Viele Anleger sind verunsichert. Um ihre Kaufkraft zu erhalten, investieren sie in Sachwerte wie Aktien oder Immobilien. Oder in Silber, da der Privatbesitz von Gold noch immer verboten ist. Das 1972 von Jerome  A. Smith publizierte Buch mit dem Titel «Silver Profits in the Seventies»  weckt das Interesse Bunker Hunts, der sich ebenfalls um den Erhalt seines Vermögens sorgt. Um sich gegen die von ihm erwartete ökonomische Apokalypse zu wappnen, beginnt er 1973, gemeinsam mit seinen Brüdern Herbert und Lamar, Silber zu kaufen. Dies macht er vor allem an der Warenbörse in Chicago.

2. Aggressive Akteure

Bunker gehört zu den ersten Spekulanten am Terminmarkt und ist bald einer der grössten Akteure. Im Unterschied zu den meisten anderen Marktteilnehmern lassen sich die Hunts einen grossen Teil des Silbers tatsächlich ausliefern, was den positiven Effekt hat, dass das Silber nicht mehr am Markt verfügbar ist. Das treibt den Preis des Metalls in die Höhe.

Im Januar 1974 zeichnet sich erstmals eine Knappheit ab. Silber notiert bei rund 2.90 $ je Unze, Bunker hat Kaufkontrakte über 35 Mio. Unzen ausstehend. Es ist unklar, ob die Vorräte reichen, um sowohl die Industrienachfrage als auch die Kontrakte der Hunts zu befriedigen. Der Preis steigt auf über 4 $ und erreicht im Februar 6.70 $.

Doch dann betritt die Bank of Mexico das Parkett und verkauft 50 Mio. Unzen, die Silbernotierung fällt zurück auf 4 $. Der erste Versuch der Hunts, den Markt in die Ecke zu drängen, scheitert. Doch Bunker sieht weiterhin enormes Potenzial und versucht jeden, der zuhört, davon zu überzeugen. Im März 1975 reist er sogar in den Iran, um dem Schah Silber schmackhaft zu machen. Sein Unterfangen scheitert. Es folgen Zwischenhalte in anderen arabischen und diversen europäischen Städten – darunter Zürich –, wo er die Vorzüge des Edelmetalls  bewirbt. Dessen Preis jedoch bewegt sich kaum, Anfang 1979 notiert er immer noch bei 6 $. Dann gelingt es Bunker, vermögende arabische Partner für seine Idee zu gewinnen. Auch die Schweizerische Volksbank beginnt, für Kunden in Silber zu investieren.

3. Bunker bunkert Barren

Gleichzeitig sorgt die Geopolitik für Rückenwind: Die Islamische Revolution macht Khomeini zum Staatsoberhaupt des Irans. Im November 1979 werden 52 amerikanische Diplomaten in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln genommen. Nur kurz darauf besetzen militante Islamisten die Grosse Moschee in Mekka, was Zweifel über die innere Stabilität Saudi-Arabiens weckt. Ende Jahr marschiert Russland in Afghanistan ein.

Die gestiegene Unsicherheit lässt den Silberpreis explodieren: Ende 1979 notiert die Feinunze Silber bereits bei 32 $, rund 430% höher als zu Jahresbeginn. Bunker, seine Brüder und die arabischen Geschäftspartner kaufen unvermindert weiter. Bald kontrollieren sie 200 Mio. Unzen Silber (5670 Tonnen) oder mehr als die Hälfte des weltweiten Angebots. Am 18. Januar 1980 erreicht der Silberpreis erstmals die Marke von 50 $ – das ist der höchste Stand aller Zeiten und entspricht fast einer Verzehnfachung innerhalb eines Jahres. Bunker und andere Marktteilnehmer sind sich sicher, dass der Aufwärtstrend anhalten wird.

4. Neue Spielregeln

Diverse Unternehmen, darunter der Juwelier Tiffany & Co, ächzen unter den hohen Preisen. Der Preisschub verteuert ihre Silberwaren drastisch, der Absatz bricht ein. Am 26. März 1980 publiziert das Unternehmen in der «New York Times» ein Inserat, in dem es die «künstlich hohen Preise» als «skrupellos» anprangert. Von November 1979 bis Februar 1980 verlieren rund 6000 Angestellte in der US-Silberindustrie ihre Stelle.

Doch das Ende der Euphorie zeichnet sich bereits ab. Die Nachfrage nach Silber bricht ein, während der hohe Preis das Angebot in die Höhe schnellen lässt. Millionen von Amerikanern und Europäern beginnen, ihr über Generationen gesammeltes Tafelsilber zu verkaufen. Silberraffinerien sind auf Monate ausgebucht und operieren an ihrer Kapazitätsgrenze. Zum Leidwesen der Silberspekulanten erwachen die Aufsichtsbehörden, die bislang mehr oder weniger tatenlos zugeschaut hatten, aus ihrem Schlaf und verschärfen die Regulierung an den Warenbörsen. Aufgrund der Preisexzesse ruft die New Yorker Warenbörse am Montag, 21. Januar 1980, den Notstand aus. Ab sofort sind nur noch Liquidationsverkäufe an Parteien erlaubt, die ihre Silberpositionen absichern wollen. Spekulationskäufe sind nicht mehr möglich, die Preise brechen um 15% ein. Am Tag darauf fallen sie um weitere 7,5%.

5. Bankrotte Brüder

Bunker und seine Partner, die den Löwenanteil der Käufe auf Kredit abgewickelt hatten, stehen mit dem Rücken zur Wand. Paul Volcker, seit August 1979 Vorsitzender der Notenbank Fed, verschlimmert ihre Situation, indem er den Banken «nahelegt», keine Kredite mehr für Rohstoffspekulationen zu vergeben. Plötzlich versiegt die Liquidität. Am 27. März 1980, der als «Silver Thursday» in die Geschichte eingehen soll, bricht Panik aus. Wegen des Silberpreiszerfalls verlangt einer der Broker der Hunt-Brüder, Bache Halsey Stuart Shields in Chicago, eine Nachschussforderung über 100 Mio. $. Als die Hunts nicht zahlen können, droht der Finanz-GAU. Der Silberpreis halbiert sich, die Angst geht um, dass diverse kreditgebende Banken ebenfalls am Abgrund stehen.

Um die Lage zu stabilisieren, schliesst sich eine Gruppe von US-Banken zusammen, die den Hunt-Brüdern mit einem Notkredit über 1,1 Mrd. $ unter die Arme greifen. Damit können sie die Nachschussforderung erfüllen.

Dadurch entspannt sich zwar die Situation, aber der Silberpreis fällt weiter. Im Mai 1980 notiert er bei nur noch 10 $, oder 80% unter dem Januarhoch. Die Gebrüder Hunt verlieren im Crash über 1 Mrd. $ und müssen in der Folge einen Grossteil ihres Vermögens verpfänden.

Es dauert fast eine Dekade, bis sie ihre Vermögenswerte veräussert und alle Gläubigerforderungen beglichen haben. Im August 1988 werden sie verurteilt, ein Komplott zur Manipulation des Silbermarktes geschmiedet zu haben. Einen Monat später melden die Hunts Konkurs an. Der Silberpreis hat sein Höchst von 1980 bis heute nicht übertroffen.