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«Der Kapitalmarkt ist die Demokratie der Wirtschaft»

Christian Katz: «Wir wollen den langfristigen Abwärtstrend bei Neukotierungen brechen.»

Christian Katz, Division CEO Swiss Exchange von SIX, ist seit über einem Jahr Präsident der Organisation der europäischen Börsen FESE (Federation of European Securities Exchanges). Ihr Konzeptpapier (Blueprint) für die Förderung von Wachstum in Europa hat eine Reihe von weiteren Initiativen beflügelt, mit denen der Kapitalmarkt in die Finanzierungslücke der Banken springen könnte, um der Realwirtschaft die für Investitionen nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die FESE setzt sich zudem für die Förderung von Börsengängen (Initial Public Offerings, IPO) ein.

Herr Katz, Unternehmen finanzieren sich immer noch vor allem über Kredite. Hat die Bankenkrise in Europa die Bedeutung des Kapitalmarkts erhöht? - Wir sind in der FESE, der Organisation der europäischen Börsen, 2013 zum Schluss gekommen, dass die Banken wegen der schärferen Regulierung und der daraus folgenden Bilanzreduktion den Finanzierungsbedarf der nächsten Jahre kaum decken können. Wir erkannten, in Europa eine Vision erarbeiten zu müssen, damit der Kapitalmarkt das Defizit in der Kreditvergabe ausgleichen kann. Um diese Vision der neuen EU-Kommission und dem im Mai 2014 gewählten EU-Parlament vorzustellen, haben wir im Frühjahr 2014 den Blueprint mit unseren Vorschlägen veröffentlicht. Damit wollten wir den europäischen Institutionsvertretern der folgenden fünf Jahre eine Orientierungshilfe auf den Weg geben.

Wie war das Echo? - Wir haben offenbar sehr früh den Nagel auf den Kopf getroffen und geholfen, eine Diskussion anzustossen, die jetzt sehr breit geführt wird. Interessanterweise haben wir eine Reihe anderer Organisationen inspiriert, Konzepte mit ähnlichen Zielen zu produzieren – von der Bankenlobby bis zur City of London. Gegen Ende letzten Jahres ist unsere Vision dann beim neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und seinem Team angekommen.

Die FESE brachten einen Stein ins Rollen? - Wir haben sicher als Erste einen Beitrag geleistet, um das Bewusstsein zu schaffen, in dessen Geist auch der Juncker-Investitionsplan entstand. Die Europäische Kommission hat ausserdem soeben die Veröffentlichung eines Konzeptpapiers zur Kapitalmarktunion angekündigt.

Gibt es eine konkrete Zusammenarbeit? - Zusammen mit der Emittentenorganisation European Issuers und der europäischen Vereinigung für Venture Capital und Private Equity hat die FESE mit der EU-Kommission eine IPO-Task-Force gebildet, die übrigens in Kürze ihre Resultate vorlegen wird.

Welches Ziel hat die Task Force? - Die Idee ist, den langfristigen Abwärtstrend von Neukotierungen zu brechen. Wie unser Blue Print zeigt, handelt es sich um einen weltweiten Trend. Das kann eine Änderung in der Regulierung allein nicht bewerkstelligen. Es braucht auch Initiativen der Börsen, ihrer Teilnehmer und von Privaten.

Was bringen IPO einer Volkswirtschaft? - Viele Studien belegen, dass Unternehmen die meisten Arbeitsplätze schaffen, nachdem sie an die Börse gekommen sind.

Warum? - Wenn ein Unternehmen einmal kotiert ist, ist es einfacher, Nachfolgefinanzierung zu finden. Die Zahl möglicher Investoren, die sie für eine neue Idee gewinnen können, ist bei einer Publikumsgesellschaft viel grösser. Weil so schneller Finanzierungen gesichert werden, können auch schneller mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Gute Bespiele in der Schweiz sind Actelion und Geberit. Die Unternehmen sind stark gewachsen und heute beide im SMI.

Erhöhte Sichtbarkeit für das Unternehmen und mehr Sicherheit für den Investor? - Vor dem Börsengang absolviert ein Unternehmen gewöhnlich eine Roadshow, um sich vorzustellen. Zudem muss ein sogenannter Prospekt eingereicht werden. Er stellt sicher, dass alle regulatorischen Anforderungen erfüllt werden. Ist man einmal durch diesen Prozess durch, wird man in einem überschaubaren Universum wie dem der SIX mit 270 Aktienunternehmen derart bekannt, dass die Folgefinanzierung leichter fällt.

Was bringt die Förderung durch Small- und Mid-Cap Awards? - Die FESE hat die Awards letzten November zum zweiten Mal mit aktiver Mitarbeit der EU-Kommission verliehen. Sie sind ist einer der Mosaiksteine, mit denen die Wertschätzung für Unternehmen, die sich dem Publikum öffnen, erhöht werden soll. Der Kapitalmarkt ist die Demokratie im Wirtschaftsgefüge. Wir wollen die belohnen, die sich dieser Demokratie stellen.

Apropos Demokratie: Wird die Stimme der SIX innerhalb der FESE gehört? - Die seit vierzig Jahren bestehende FESE ist für uns einer der wichtigsten Brückenköpfe in die EU und den europäischen Kapitalmarkt. Ich sehe, dass die FESE auch von uns profitiert, weil wir eine grosse grenzüberschreitende Perspektive bringen. Wenn die FESE in Regulierungsfragen mit der EU zusammenarbeitet, bringen wir oft Vorschläge für grenzüberschreitende Probleme. Da wir die grösste Börse der FESE ausserhalb der EU sind, hört man auf uns.

Sie sind der erste Schweizer FESE-Präsident.  Was war das Highlight ihres ersten Präsidialjahrs, was wollen sie noch erreichen? - Das Highlight war sicher, dass wir mit unserem Blueprint die Diskussion in Europa über die Unternehmensfinanzierung ins Rollen gebracht haben. An unserer FESE-Convention im Juni ist es uns zudem gelungen, viele globale Entscheidungsträger, inklusive Ben Bernanke, nach Zürich zu bringen. Dieses Jahr werden wir einen neuen Generalsekretär bestimmen – eine wichtige Weichenstellung.

Wie schaffen Sie das zeitlich neben ihrem Job bei SIX? - Ich mache das ehrenamtlich und ich bin dankbar, dass mir SIX die Möglichkeit, die Zeit und die Unterstützung gibt, um dieses Amt auszuüben.

Was macht die SIX sonst noch für die IPO-Förderung? - Wir wollen ein förderliches Ökosystem schaffen. Dazu gehören Zulassungsbedingungen, die nicht zu hoch sind aber den Anlegerschutz gewährleisten. Die anerkannten Partner der Börse – Banken, Anwaltskanzleien, Revisionsgesellschaften – müssen zudem einen Anreiz haben, Unternehmen auf dem Börsengang zu begleiten. Vor allem bei kleineren IPO haben die Banken wegen der Finanzkrise und des Kollapses im Volumen nicht mehr so viel Ressourcen, um Research zu betreiben. Und nicht zuletzt müssen mögliche Kandidaten – auch international – aktiv angegangen werden, indem ihnen der Börsenplatz Schweiz näher gebracht wird.

Wie macht man das? - Wir wollen ein offenes Netzwerk sein und diesen Netzwerkcharakter auch leben – wie es das Motto auf unserer Homepage sagt: Wir sind «das unabhängige Investitionsnetzwerk Ihrer Wahl». Wir organisieren Anlässe, an denen wir kapitalsuchende Unternehmen mit Investoren zusammenführen. Und wir versuchen, die regulatorischen Bedingungen zu verbessern. Wir finden bei den Regulatoren Gehör bei Gesetzesveränderungen.

Wie zufrieden sind sie denn mit den Neuerungen in der Schweizer Regulierung? - In der Schweiz gibt es drei grosse Gesetzesinitiativen: das Finanzmarktinfrastrukturgesetz Finfrag, das Finanzdienstleistungsgesetz Fidleg und das Finig, das Finanzinstitutsgesetz. Obwohl das als Paket im Finanzbereich vom Bundesrat positioniert wurde, sind die Gesetze sowohl in der Ausgestaltung als auch in der Absicht sehr unterschiedlich.

Inwiefern? - Im Finfrag ist der Vernehmlassungsprozess bereits abgeschlossen. Hier sind wir zufrieden, dass im Gesetz die meisten unserer Anliegen aufgenommen wurden, mit einer Ausnahme: Gewisse Handelsplattformen werden immer noch nicht reguliert. In der EU dagegen sehr wohl.

Und wo stehen die zwei anderen Gesetze? - Bei Finleg und Finig ist man noch nicht so weit. Dort sehe ich die Gefahr, dass man über das Ziel hinausschiesst und den liberalen Kapitalmarktcharakter in der Schweiz zu stark einschränkt. Für alle drei Gesetze ist die EU-Äquivalenz ein vorrangiges Ziel des Bundesrats. Das sollte unser Anspruch sein. Aber die jetzige Situation auf der politischen Ebene zwischen der Schweiz und der EU hemmt diese Äquivalenzanerkennung.

Welche Situation? - Die Äquivalenz ist nicht so sehr gefährdet wegen der Finanzplatzkompatibilität – diese ist gegeben. Der Hemmschuh sind politische Streitpunkte wie Personenfreizügigkeit und bilaterale Verträge. Das muss politisch auf einer ganz anderen Ebene gelöst werden.

Wie soll denn der Swiss Finish aussehen? - Unter dem Swiss Finish versteht man in der Regel eine Schweizer Regelung, die strenger ist als die im Ausland, zu der man die Äquivalenz sucht – in diesem Fall mit der EU. Das ist nicht in jedem Fall negativ. Es kann auch heissen, dass wir einen höheren Qualitätsstandard setzen als unsere Äquivalenzpartner. Das ist sowohl für den Finanzmarkt als auch für die Unternehmen der Schweiz ein langfristiger Erfolgsfaktor. Im Fall dieser drei Finanzmarktgesetze ist ein Swiss Finish aber deshalb nicht anzuraten, weil unser Finanzmarkt historisch gesehen liberaler ist als die Konkurrenz in Europa.

Worin genau ist er liberaler? - Einerseits haben wir einen sehr offenen Markt über die Landesgrenzen hinaus. Das zeigt sich etwa daran, dass auch Banken und Effektenhändler im Ausland Teilnehmer der Schweizer Börse sein können, sogar an der Wertschriftenabwicklung beim Zentralverwahrer der Wertschriften von SIX Securities Services. Das ist anderswo in Europa nicht immer möglich.

Was macht die Schweizer Börse attraktiv? - Bei uns herrscht nicht nur auf der institutionellen Seite des Zugangs ein Klima der Offenheit, sondern auch auf persönlicher Ebene. Das wird uns immer wieder gesagt. Wir reden mit den Partnern in unserem Ökosystem. Zudem sind wir die siebtgrösste Börse gemessen an der investierbaren Marktkapitalisierung, also am Free Float. Wir haben den besten operativen Erfolgsausweis über die letzten fünfzehn Jahre und die tiefste Ausfallrate. Wir sind ein offener, stabiler Partner, der die Kundenbedürfnisse ernst nimmt.

Sie sprachen vom Kapitalmarkt als Demokratie des Kapitalismus. Wie halten Sie es mit der Aktionärsdemokratie, sind Sie für die Regel One Share, One Vote? - Die Diskussion von One Share, One Vote versus Wahlmöglichkeit von verschiedenen Aktienklassen wird schon lange geführt – auch in der Wissenschaft. Es gibt keine einheitliche Meinung, ob das eine besser ist als das andere. In der Schweiz haben wir historisch verschiedene Aktienklassen. Gleichzeitig haben wir viele – auch grosse – Unternehmen, die die Einheitsaktie eingeführt haben. Aus meiner persönlichen Einschätzung gereicht uns diese Flexibilität, verschiedene Aktienklassen zu schaffen – inklusive der Einheitsaktie –, zum Vorteil. Darum sehe ich keinen Handlungsbedarf, allen kotierten Unternehmen einen Typ Aktie vorzuschreiben.

Wie gross ist das Problem der Dark Pools in der Schweiz - Sinnvollerweise sollten Dark Pools als Block-Trading-Plattformen auftreten. Nur grosse bis sehr grosse Aufträge sollen ausgenommen werden von der vollen Transparenz. Nicht sinnvoll ist, wenn Dark Pools gleiche Ausführungsgrössen haben wie normale Handelsplattformen, die transparent sind.

Was bringt High Frequency Trading der Realwirtschaft? - Die Diskussion um den Hochfrequenzhandel ist noch nicht auf dem Niveau, auf dem sie sein sollte. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, alle Handelsteilnehmer zuzulassen, die die Grundvoraussetzungen erfüllen. Auch Hochfrequenzhändler dürfen vom Prinzip der Gleichbehandlung nicht ausgenommen werden. Wir setzen uns deshalb ein für eine prinzipienbasierte Regulierung. Unser Auftrag ist es, einen liquiden, transparenten Markt zu schaffen. Diesen Auftrag haben wir bisher mit einem guten Mix von Investoren – fundamental geleitete, kurzfristig orientierte, usw. – garantieren können. Hochfrequenzhändler sind ein Teil dieses Universums.

Birgt die rein prinzipienbasierte Gleichbehandlung nicht die Gefahr, konkrete Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen – etwa in der Geschwindigkeit des Zugriffs auf Daten? - Nein, alle haben dieselben Zugangsbedingungen. Hochfrequenzhändler sind schnell in der Verarbeitung von öffentlichen Informationen und in der Ausführung ihrer Transaktionen.

Sind die Kabel zu den Servern bei allen gleich lang? - Ja, in unserem Datencenter sie sind für alle gleich lang, nämlich 200 m. Wie schnell oder wie langsam, wie fundamental oder wie technisch sie diese Daten verarbeiten ist ihre Sache. Eine Pensionskasse hat mindestens einmal pro Monat,  wenn die Löhne gezahlt werden, grossen Investitionsbedarf. Sie betreibt viel Research und überlegt sich gründlich, wie sie das neue Geld investiert. Ein Hochfrequenzhändler, der Trends oder Preisunterschied auszunutzen versucht, macht täglich sehr viele Transaktionen, die er an mehreren Handelsplätzen schnell ausführt. Er wird mehr Energie in die Analyse von Trends investieren. Aber das heisst nicht, dass diese Aktivität weniger wertvoll ist oder dass ihm nicht erlaubt werden soll, mehr Serverkapazität in seine Art von Analyse zu investieren.