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Wie Big Data uns ausnimmt

Alphabet (Google), Apple, Microsoft, Amazon und andere Digitalisierungskonzerne haben es verstanden: Wer die Daten hat, beherrscht den Markt.

Wer mithilfe kluger Algorithmen und künstlicher Intelligenz die nahezu in unendlichen Mengen verfügbaren Kundendaten erfassen, sortieren, verdichten, veredeln und vernetzen kann, ist in der Lage – ähnlich, wie es Monopolisten immer schon getan haben –, die Preise für jeden einzelnen Käufer entsprechend dessen Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit zu setzen. Satte Profite der Datenkonzerne sind die Folge.

Wie strategisch die Digitalisierungsgiganten im Aufbau ihrer Marktbeherrschung vorgehen, offenbart sich  derzeit exemplarisch. Vergangene Woche haben Amazon, die grösste US-Bank J. P. Morgan Chase und Warren Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway die Gründung einer gemeinsamen (zunächst noch nicht gewinnorientierten) Krankenkasse angekündigt.

In dieser Woche folgte eine Kooperation von Allianz, Apple und Cisco, die gemeinsam (Cyber-)Versicherungen gegen Computerkriminalität anbieten wollen. Das zeigt, wohin die Reise der Digitalisierungsökonomie geht: zur Verschmelzung der Kompetenz des Datenmanagements mit Versicherungen und Finanzinstituten.

Strategisches Ziel der neuen Konglomerate ist es, mithilfe von Big Data einen gläsernen Menschen zu schaffen, mit dem sich Big Business und Big Profit machen lassen.

Fülle intimer Informationen

Das alles und jedes durchdringende Smartphone ist das Trojanische Pferd, mit dem sich der Mensch mehr oder weniger bewusst und freiwillig ausspionieren lässt. Es weiss einfach alles über das Verhalten seiner Besitzer, wann sie aufstehen, wann und mit wem sie ins Bett gehen, wen sie lieben, wen sie hassen, wie viel sie sich bewegen, was sie essen und trinken, wo und was sie arbeiten, wie, mit wem und womit sie ihre Freizeit verbringen.

Vor allem werden mit Apps zunehmend auch Bankkonti geführt, Versicherungspolicen abgeschlossen, Wertschriften gehandelt und Vermögen verwaltet. Deshalb ergeben die in der Digitalisierungswirtschaft erkennbaren neuen Allianzen von Datenfirmen mit Banken und Versicherungen strategisch immer mehr Sinn.

Die millionenfach im Alltag verwendeten Bonus-, Payback- und Treuekarten tun ein Übriges, um die Datenkonzerne mit einer Fülle mit intimer Informationen über Konsumgewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen und Zahlungsverhalten zu füttern.

Dazu kommt, dass Kundenkarten oft online verwaltet werden. So lassen sie sich von Kauf- oder Versandhäusern ohne viel Aufwand mit einer beachtlichen Zahl persönlicher Merkmale vernetzen. Dazu gehören Alter und Geschlecht, Familienstand und -grösse, Wohnlage und Nachbarschaft, Beruf, Einkommen und Zahlungsfähigkeit, Gesundheitszustand und Lebenssituation.

Datenkonzerne wissen vor allen anderen

Kundenkarten werden oft im naiven Glauben verwendet, dass damit (Online-)Händler, Kaufhäuser, Supermärkte und Handelsketten nicht das eigene Interesse, sondern das der Verbraucher verfolgen. Ein tragischer Irrtum, auch wenn es vordergründig tolle Prämien oder gar ein klein wenig Geld zurückgibt. Anders als sie jedoch vorgaukeln, führen Kundenkarten dazu, dass Verbraucher am Ende mehr und nicht weniger zahlen.

Ein Blick in den (elektronischen) Warenkorb genügt den (Online-)Händlern, um mit intelligenten Algorithmen die Kunden oft besser einzuordnen, als es der Selbsteinschätzung gelingt.

Das kann so weit gehen, dass Datenkonzerne früher als alle anderen wissen, was gleich anstehen und passieren wird – etwa wenn Frauen schwanger werden, ein Haustier zur Familie stösst, eine Ferienreise geplant ist oder eine Trennung bevorsteht.

Mit ihren Bonuskarten tauschen die Kunden viele meist sehr private Daten gegen extrem geringe Belohnung. Damit versorgen sie nahezu ohne Entschädigung die Digitalisierungskonzerne mit den Informationen, mit denen sie aus Big Data Big Business machen – zum Nachteil derer, die ihnen mehr oder weniger kostenlos das Insiderwissen geliefert haben, das sie zum gläsernen Kunden werden lässt.

Für die Digitalisierungskonglomerate hingegen sind die Datenströme wie Manna: Sie müssen die Informationen bloss mit künstlicher Intelligenz und klugen Algorithmen analysieren. So können sie für jeden einzelnen Kaufvorgang haarklein und unfassbar genau errechnen, welchen Preis der Kunde gerade noch zu bezahlen bereit ist – oder zu zahlen bereit sein muss, weil er keine andere Wahl hat.

Wie moderne Preisbildung im Digitalisierungszeitalter geht, lässt sich gut beobachten, wenn Flüge oder Reisen gebucht werden. Dann kann bei wiederholtem Interesse der Preis in der Zwischenzeit zweier Anfragen bereits höher geworden sein.

Anders als viele behaupten

Ähnlich wird das Pricing bald schon bei vielen anderen Geschäften ablaufen, nicht nur im Onlinehandel. Bald werden auch Tankstellen schon bei der Anfahrt anhand der Fahrzeugkennzeichen wissen, ob sie beim einen oder anderen Spritsuchenden mit dem Benzinpreis noch Luft nach oben haben – wenn der eine oder andere weder Lust noch Zeit hat, wegen ein paar Rappen pro Liter rechtsum kehrtzumachen und andernorts billiger zu tanken. Und flugs geht der Preis nach oben.

Anders als viele behaupten, wird mit der Digitalisierung der Kunde nicht vom König zum Zaren. Im Gegenteil: Er wird zur Marionette der Datenkonzerne. Händler werden den Verbraucher so gut kennen, dass sie im Kauf-Verkauf-Vorgang, wie es ihnen gefällt, mit dem Kunden spielen können.

Das führt, etwas technisch formuliert, zum Ende der Konsumentenrente. Damit ist gemeint, dass Verbraucher genau so viel werden bezahlen müssen, wie sie maximal zu zahlen bereit sind – und sie somit nicht, wie heute, Güter und Dienstleistungen zu einem niedrigeren Durchschnittspreis erhalten, obwohl sie bereit gewesen wären, mehr dafür zu bezahlen.

Genauso werden Versicherungen Kunden mit Boni, niedrigeren Prämien und besseren Leistungen dafür belohnen, wenn sie «freiwillig» persönliche Daten preisgeben, Gesundheits-Apps nutzen, sich intelligente Sensoren implantieren oder vernetzte Blackboxen im Auto einbauen lassen.

Die Kunden haben dann die Wahl: Entweder sie bewahren sich ihre Intimsphäre und bezahlen immer höhere Versicherungsbeiträge, oder aber sie werden zum gläsernen Menschen, der deutlich weniger für den Versicherungsschutz zu bezahlen hat.

So wollen Apple, Cisco und der weltgrösste Versicherungsmakler Aon mit einem neuen Verbundangebot «gläsernen Kunden» günstigere Konditionen mit geringerem Selbstbehalt oder ohne Eigenbeteiligung anbieten.

Zum Schaden der Konsumentenrente

Ab hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem Anreizsystem, das im Voraus und immer wieder diejenigen belohnen (oder bestrafen) wird (wiederum durch geringere bzw. höhere Prämien), die sich – auch präventiv – «korrekt» verhalten (oder eben nicht), also nicht trinken, genug schlafen, sich häufig bewegen und viel «Gesundes» mehr.

Die Versicherungen der Digitalisierungsallianzen werden die vollständige Transparenz ihrer Kunden erzwingen und sie so in eine Abhängigkeit bringen, die bisher nur in Science-Fiction-Filmen vorkam.

Wenn Konglomerate von Datentechnologiegiganten und Finanzkonzernen zu allwissenden Versicherungsriesen werden, wird das Zusammenleben in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft revolutioniert.

Ein von Big Brother angeordneter «Paternalismus des korrekten Verhaltens», Informationsungleichgewichte und die Gefahr von Datenmissbrauch zulasten der Versicherten (und damit aller) sind das eine.

Macht, Dominanz und Abhängigkeiten des gläsernen Menschen von Big Data, Big Business und Big Profit sind das andere. Beides zusammen dürfte eher zum Schaden denn zum Nutzen von Kunden und Konsumentenrente sein.