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Unnachgiebig gegen den Strom

Er war einer der grössten Gelehrten seiner Zeit, ein scharfsinniger und -züngiger Intellektueller. Immer kantig, dem Zeitgeist gegenüber kompromisslos – das kostete Ludwig von Mises die glänzende akademische Karriere, die einer Persönlichkeit seines Kalibers zustünde. Freilich entsinnt man sich heute und wohl auch künftig noch seines Namens – ob mit Ehrerbietung oder Schaudern –, während diejenigen stromlinienförmiger Zeitgenossen Mises’ in Vergessenheit geraten.

Ludwig Edler von Mises kam als Kind einer in den Adelsstand erhobenen jüdischen Familie in der Donaumonarchie zur Welt. Seine Ausbildung erwarb Mises in Wien. Zu Studienbeginn stand er unter dem Einfluss der dominierenden Strömungen, des Etatismus und des Historismus etwa eines Gustav Schmoller (der im Gegensatz steht zu abstrakt-theoretischer Nationalökonomie).

Doch dann las er Werke Carl Mengers und besuchte das Seminar Eugen von Böhm-Bawerks, der von der Spitze des ­Finanzministeriums an die Universität ­gewechselt hatte. Böhm-Bawerk, der Mengers Österreichische Schule fortsetzte, wurde Mises’ wichtigster Lehrer. Mit seiner Habilitationsschrift «Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel» etablierte sich Mises kurz vor dem Ersten Weltkrieg als der führende Kopf der dritten ­Generation dieser Lehrmeinung.

Auf Menger (1840–1921) geht die Grenznutzenlehre zurück: Der Wert eines Gutes wird durch den Beitrag einer weiteren Einheit dieses Gutes zur Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses bestimmt. Böhm-Bawerk (1851–1914) ergänzte Mengers Lehre um eine subjektivistische Kapitaltheorie, die besagt, dass der Kapitalzins in einem Marktprozess zwischen Individuen mit unterschied­lichen Zeitpräferenzen entsteht. Der Eigentümer von Kapital verzichte auf ­Konsum in der Gegenwart, um als Gegenleistung für seinen Verzicht den Zins zu ­erhalten. Ludwig von Mises erweiterte diese Denkrichtung mit seiner Geld- und Konjunkturtheorie.

So zeigt er, dass eine Vermehrung der Geldmenge keinen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, sondern nur die Kaufkraft des Geldes mindert. Von der Regierung bzw. der Notenbank, die ursprünglich das neue Geld besitzt, fliesse es an andere Personen und erhöhe dabei Schritt für Schritt die Preise weiterer Güter. In diesem Prozess komme es zu einer Einkommensumverteilung zugunsten der frühen Neugeldbesitzer zulasten der späteren oder der leer Ausgehenden – vor dem Hintergrund der aktuellen expansiven Geldpolitik der meisten Zentralbanken, die namentlich auf Wertschriftenmärkten Teuerung anregt (Asset Inflation), liest sich das wenig verheissungsvoll.

Fatale Geldschöpfung

Auch für Konjunkturzyklen sind Mises zufolge Regierungen und Notenbanken verantwortlich. Wird staatlich neu geschöpftes Geld über Kredite in die Wirtschaft eingespeist, dann ermässigt sich die Zinsrate unter das Marktniveau (das durch die tatsächliche Sparleistung bestimmt ist). Zu niedrige Zinsen lösen überhöhte Investitionen aus. Diesem Boom muss die Korrektur (Bust) folgen, weil sich an der effektiven Spar- und Konsumneigung nichts geändert hat. Für Mises ist ein schmerzhafter Bereinigungsprozess unausweichlich, doch verkenne die Öffentlichkeit bzw. die Politik die Ursachen und sehe «in noch mehr Geld und Kredit das einzige Heil­mittel gegen das Übel, das durch die Geld- und Kreditexpansion hervorgerufen wurde». Mises hätte wohl viel zu sagen zur heutigen Notenbankpolitik. Er empfahl – radikal – den Rückzug des Staates aus dem Geldwesen und den Goldstandard.

Mit seinen unpopulären, prononciert liberalen Ansichten hatte Mises keine Aufstiegschancen im damaligen geistigen Klima in der deutschsprachigen Academia. Dort wurde Staatssozialismus gelehrt, und der Kapitalismus galt als überholt. Seine Privatdozentur an der Universität Wien war unbezahlt, Wissenschaftler und unermüdlicher Publizist war er in ­seiner Freizeit. Lohn «lukrierte» (österreichisch) Mises als Referent der wirtschaftspolitisch einflussreichen Wiener Handelskammer.

Im Seminar Böhm-Bawerks hatte Mises mit Otto Bauer Bekanntschaft geschlossen (wo übrigens ­Joseph Schumpeter ­zugegen war). Bauer, wie Mises jüdisch-grossbürgerlicher Herkunft, war, jawohl, ein deutschnationaler Austromarxist. Nach dem Zusammenbruch der habsburgischen Doppelmonarchie 1918 führte Bauer de facto die österreichischen Sozialdemokraten. Mises brachte Bauer von dessen bolschewistischer Linie ab und auf eine an der deutschen Sozialdemokratie orientierte Reformlinie. Zudem trug Mises dazu bei, dass die Krone sich nach anfänglichem massivem Wertverfall stabilisieren konnte.

Mit dem Sozialismus rechnete Mises buchstäblich ab, nach 1920 in seinem Werk «Die Gemeinwirtschaft». Wirtschaftsrechnung sei unmöglich, wo alle Produktionsfaktoren in Staatsbesitz und somit nicht verkäuflich sind – weil es für sie keine ihre Knappheit anzeigenden Marktpreise gibt. Ohne Marktpreise jedoch sei jede Berechnung von Kosten und Erlösen ausgeschlossen. Der Staat sei nicht in der Lage, anhand irgendwelcher objektiver Daten Preise (und auch Löhne sind Preise, wohlgemerkt) zu setzen. An diesem Kalkulationsproblem werde der Sozialismus scheitern, prophezeite Mises sehr früh und zutreffend.

Wider den «dritten Weg»

Dazu formulierte der polnische Ökonom Oskar Lange das Gegenmodell eines Konkurrenzsozialismus («dritter Weg»), der von reiner Planwirtschaft abweicht – doch Lange bestätigte Mises mit unbeabsichtigter Ironie: Die staatlichen Planer müssten bloss einen amerikanischen Warenhauskatalog zu Rate ziehen, um das richtige Preisgefüge zu erkennen.

Ab 1920 veranstaltete Mises in seinem Büro in der Handelskammer alle zwei Wochen ein Privatseminar mit jeweils rund zwei Dutzend vorwiegend jüngeren Gelehrten verschiedenster Fachrichtungen.

Es ging um Nationalökonomie, Sozialphilosophie, Soziologie und Erkenntnistheorie. Anschliessend verschob sich der «Mises-Kreis» erst ins Restaurant, dann weiter debattierend ins Kaffeehaus. Ein Teilnehmer war Friedrich von Hayek , den Mises zum Leiter des Österreichischen Konjunkturforschungsinstituts bestellte, das er 1927 gegründet hatte. In diesen Jahren befasste sich Mises mit dem erwähnten «dritten Weg» bzw. mit staatlichen Markteingriffen, der unvermeidlich die Probleme verschärfe, gegen die er interveniere, mit Dirigismus, der in den Sozialismus führe.

Endlich, 1934, erhielt Mises einen Lehrauftrag, am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales in Genf. Er ­zögerte nicht, das zunehmend unruhige Österreich zu verlassen, hielt jedoch weiterhin Kontakt zur Handelskammer, zum Wirtschaftsforschungsinstitut und zu seinem Kreis. Die Jahre bis 1940, die er in Genf verbrachte (wo er u. a. auch Wilhelm Röpke traf), zählten zu seinen glücklichsten – 1938 heiratete er dort die Schauspielerin Margit Sereny-Herzfeld – und produktivsten. In der Schweiz hatte er ausreichend Musse, sein Hauptwerk, «Nationalökonomie», abzufassen. Darin entwickelte er seinen axiomatisch-deduktiven Erkenntnisansatz, aus der Prämisse heraus, dass Menschen handeln (sog. Praxeologie). Ein Axiom laute zum Beispiel: Jeder freiwillige Austausch ist – in der ­Vorschau – für beide Seiten von Vorteil, sonst fände er nicht statt. Damit umriss er scharf den Gegensatz zum Historismus, der die Existenz ökonomischer Gesetze bestreitet und nur die Geschichte anerkennt, aber auch zum Positivismus, der solche Gesetze nur als stets empirisch zu prüfende Hypothesen versteht.

Die führenden Positivisten, etwa ein Karl Popper, waren Naturwissenschaftler oder Mathematiker. Mises betrachtete die Empirie eher als blosses Sammeln vergangenheitsbezogener Daten, die höchstens zur Geschichtsschreibung dienten – statt zu rechnen, sollten Ökonomen lieber denken, um Erkenntnisse zu gewinnen. In der Tat muss das Urteil über die Mathematisierung der Ökonomie gerade im Licht der Finanzkrise ungnädig ausfallen. Darüber stritt er sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Mont-Pelerin-Society mit dem Positivisten Milton Friedman , ihm und der monetaristischen Chicago School überhaupt warf Ludwig von Mises, der aufbrausend sein konnte, barsch vor, ein Haufen von Sozialisten zu sein.

Erst posthum salonfähig

1940 wurde es dem Ehepaar Mises in Europa zu gefährlich, es floh in die USA. Mises war fast schon sechzig Jahre alt, als er in New York ankam. Zwar war er international berühmt, und sein Werk war auch in englischer Sprache publiziert worden, doch selbst in der vermeintlichen Heimstatt des Kapitalismus, wo Roosevelts «New Deal» im Schwange war, erhielt er – weil als zu extrem, zu dogmatisch, zu rationalistisch taxiert – keine angemessene akademische Stellung. Mises war zu keinen Verbeugungen vor den keynesianischen «New Economics» bereit.

Erst ab 1945 konnte er an der New York University lehren, was er bis ins hohe Alter tat; sein Gehalt bezahlte eine Stiftung. 1949 erschien die überarbeitete «Nationalökonomie», ein flammendes Plädoyer für den Kapitalismus, das Erfolg hatte und für die Neuauflage anderer Werke in Englisch sorgte. Er führte nun auch in New York ein Seminar durch, an dem unter anderem Israel Kirzner (geb. 1930; er forschte an der New York University über die Funktion des Unternehmers) und Murray N. Rothbard teilnahmen.

Ein Jahr nach Mises’ Tod, 1974, erhielt sein Schüler Hayek den Nobelpreis. «Austrian Economics» wurden in der angelsächsischen Welt respektabel, wenngleich nicht in misesianisch radikaler, sondern in gemässigteren Formen, die Schule erhielt Zugang zum Weissen Haus unter Reagan und zu 10, Downing Street unter Thatcher. Der Anarcho-Libertäre Rothbard (1926–1995) trieb die Österreichische Schule auf die Spitze und entwickelte einen naturrechtlich begründeten Liberalismus, der sogar staatliche Institutionen ablehnt, während Mises noch für einen minimalistischen Staat mit der Hauptfunktion als Garant des privaten Eigentumsrechts eingetreten war. 1982 wurde in Alabama das Ludwig-von-Mises-Institut gegründet, das in Rothbards Tradition steht. Sein Denken hat die Tea Party beeinflusst, zu der der britische «Economist» neulich treffend festhielt: Ihr Wunsch nach gar keinem Staat sei falsch, derjenige nach einem schlankeren Staat jedoch richtig.

Und mit Mises über das staatlich beherrschte Geldwesen als Verursacher von Finanz- und Wirtschaftskrisen nachzudenken, ist mehr als nur wünschbar: über Notenbanken als Geldangebotsmonopolisten und Geschäftsbanken, die durch Kreditvergabe neues Geld schaffen.