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Malaysias Wirkung auf Singapur

Erstmals seit über sechzig Jahren hat in Malaysia ein Regierungswechsel stattgefunden. Über die krasse Korruption von Regierungschef Najib Razak empört, haben die Wähler die «ewige» Regierungspartei, United Malays National Organisation (UMNO), in die Wüste geschickt. In der Region, besonders im benachbarten Singapur, das seit seiner Unabhängigkeit von derselben Partei, der People’s Action Party (PAP), regiert wird, blickt man mit Interesse auf die politischen Entwicklungen.

Malaysia schafft es nicht häufig in die internationalen Schlagzeilen. Mit seinen 32 Mio. Einwohnern ist es zwar erheblich grösser als der Stadtstaat Singapur, liegt aber weit hinter Indonesien, der mit über 260 Mio. Menschen bevölkerungsstärksten Muslimnation der Welt, zurück. Malaysia eignen eher leise Töne denn grosse Auftritte.

Die Malaien, die knapp über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind von Natur aus zurückhaltend und werden im Berufsleben häufig von den aggressiveren Chinesen und Indern an den Rand gedrängt, mit ein Grund, weshalb die Verfassung dieses Vielvölkerstaats sie gleich mehrfach bevorzugt.

Üblicherweise sind Staaten darauf aus, ihr Territorium zu vergrössern. Malaysia ist eine Ausnahme, da ein Teil des Staatsgebiets ausgeschlossen wurde. Nachdem die Föderation von Malaya 1957 von den Briten in die Unabhängigkeit entlassen worden war, folgte bereits acht Jahre später der Hinauswurf von Singapur. Offensichtlich ging es bei dieser drastischen Massnahme darum, den Anteil der tüchtigen Chinesen an der Gesamtbevölkerung des neuen Staatsgebildes zu reduzieren. Derweil stellten die Chinesen im unabhängigen Singapur von Anfang mit einem Anteil von drei Vierteln an der Bevölkerung eine deutliche Mehrheit.

Stabilität als oberstes Gebot

Unzweideutig war aber auch, dass hinter dem Hinauswurf ein bitterer Familienstreit stand. Der im traditionellen malaiischen Feudalismus verankerte Tunku Abdul Rahman, der seit der Unabhängigkeit die Regierung in Kuala Lumpur führte, konnte den chinesischstämmigen Streber Lee Kuan Yew, der 1954 in Singapur die überwiegend chinesische PAP gegründet hatte, nicht ausstehen. Er wusste wohl auch, dass der brillante Rhetoriker Lee sich kaum mit einer zweitrangigen Rolle im frisch unabhängig gewordenen Malaysia würde begnügen wollen. Durch den Hinauswurf von Singapur sorgte Tunku dafür, dass sein gefährlichster Widersacher entfernt wurde und er während dreizehn Jahren an der Spitze von UMNO das Land führen konnte.

Als Folge einer bewegten Geschichte hat die malaysische Halbinsel eine ethnisch, religiös und kulturell sehr heterogene Bevölkerung. Die Strasse von Malakka war schon immer eine viel befahrene Meerenge. Hierher kamen Händler und Zuwanderer aus dem fernen China, vor allem aus Guangdong und aus den Gemeinschaften der Hokkien und der Hakka. Vom Süden des indischen Subkontinents wanderten besonders Tamilen zu. Etliche von ihnen wurden von den Briten als Zwangsarbeiter auf den Plantagen eingesetzt. Der Islam schliesslich wurde schon früh durch arabische Händler aus dem Mittleren Osten eingeführt, was unter anderem auch dazu geführt hat, dass ein Teil der malaysischen Bevölkerung arabisches Blut hat und die eingeborene Stammesbevölkerung heute nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung Malaysias ausmacht.

Ein solches Völkergemisch trägt natürlich stets die Gefahr von Konflagrationen in sich. 1963/64 kam es in Singapur zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die den Politikern klarmachten, welches Gewaltpotenzial unter der Oberfläche schlummerte. Lee Kuan Yews Staatsphilosophie wurde stark davon geprägt, indem er Ordnung als oberste Bürgerpflicht verordnete, wohlwissend, dass Singapur – ohne natürliche Ressourcen und ohne Hinterland – keinen anderen Standortvorteil als eine arbeitsame und loyale Bevölkerung ausweisen konnte. Auch Lees grosser Gegenspieler in Malaysia, Mahathir Mohamad, von 1981 bis 2003 vierter Ministerpräsident, wusste um die existenzielle Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenlebens zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Er förderte dies durch eine ausgefeilte Anwendung des von der UMNO praktizierten Klientelismus. Unverkennbar war, dass während seiner langen Regierungszeit der soziale und ökonomische Status der Bumiputras, der malaiischen Mehrheit, sich spürbar und nachhaltig verbesserte.

Lee Kuan Yew starb 2015 im Alter von 92 Jahren. Mahathir hat soeben im selben biblischen Alter abermals die Zügel der malaysischen Regierung in seine Hände genommen. Wie lange der rüstige Doktor im Amt bleiben wird, steht in den Sternen. Zwei Zäsuren hat er bereits vollzogen: die Ablösung der UMNO und die Haftentlassung von Anwar Ibrahim, der aller Voraussicht nach Mahathirs Nachfolge antreten wird.

Der Machtwechsel in Kuala Lumpur ist zwar eine bemerkenswerte Machtdemonstration der Wähler, aber keine Revolution. Offensichtlich war die Empörung über die dreiste Plünderung des Staatsfonds durch Ministerpräsident Razak und seine Komplizen selbst für nachsichtige Malaysier zu viel. Die Abstrafung der Regierungspartei war dennoch unerwartet deutlich, auch wenn in Rechnung zu stellen ist, dass wichtige Exponenten auf der Seite der siegreichen Opposition aus dem alten Personalbestand der UMNO stammen. Anwar Ibrahim ist mit seinen siebzig Jahren zwar kein Jungpolitiker mehr, doch steht er für einen Generationenwechsel, der in Malaysia zwar noch nicht vollständig vollzogen, aber zumindest deutlich angebahnt ist.

Angesichts der Entwicklungen in Kuala Lumpur richtet sich der Blick auch auf den Nachbarn Singapur. Niemand wird vermuten, dass im gut regierten und kompetent verwalteten Stadtstaat Exzesse möglich sind, wie sie sich Razak geleistet hat. In einem Punkt waren sich indessen Malaysia und Singapur bis vor kurzem gleich: In beiden Staaten herrschte seit der Unabhängigkeit dieselbe Partei, und es galt als unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zukunft eine valable Alternative geben würde. In Malaysia ist dies zumindest teilweise gelungen, in Singapur steht eine solche Zäsur noch aus.

Neue Generationen

Wenn eine Partei kompetent regiert und eine gute Verwaltung führt, wenn die Mehrheit der Bevölkerung das Vertrauen in die bestehenden Institutionen hat und diesem Vertrauen auch mit der Wahl der Regierungspartei Ausdruck gibt, so darf die Legitimität der bestehenden Ordnung nicht fahrlässig in Frage gestellt werden. Jenseits der Regierungskompetenz der PAP stellt sich aber auch die Herausforderung des Generationenwechsels.

Die Zahl der Singapurer, die sich der Pionierzeiten unter Lee Kuan Yew und des rasanten Aufstiegs Singapurs zu einem der reichsten Staatswesen der Welt erinnern, schrumpft. Es wachsen junge Singapurer heran, die die heroischen Zeiten nur aus den Schilderungen ihrer Eltern und Grosseltern kennen und die den Wohlstand für garantiert nehmen. Für sie ist der Staatsgründer nur noch ein Held aus dem Geschichtsbuch, im Vergleich zu dem die heutigen Exponenten der Grossfamilie Lee zweitrangig sind. Dass es zudem im Lee-Klan Streitereien gibt, trägt auch nicht zu seinem Prestige bei.

Wer die inhärenten Stärken Singapurs kennt, wird nicht auf den Gedanken kommen, dass ein allfälliger Machtwechsel und die Verdrängung der PAP in die Opposition die Stabilität des Stadtstaats gefährden würden. In Malaysia liegen die Dinge in mancher Hinsicht etwas anders. Doch das Land demonstriert in diesen Tagen gerade, wie man mit einem Machtwechsel umgehen kann. Es ist durchaus möglich, dass es in Singapur wegen der Regierungskompetenz der PAP dazu gar nicht kommen wird, doch selbst die Option eines Machtwechsels sollte kein Grund zur Beunruhigung sein.