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Neuer Mindestkurs statt Negativzinsen

Die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vom 15. Januar, die Untergrenze für den Euro aufzugeben, ist inzwischen Geschichte. Auch kann es keinen Zweifel geben, dass sich die SNB vor dieser Entscheidung in einem Dilemma befand. Dies wurde etwas verspätet von Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg mit der Aussage klargestellt, dass ohne diese Entscheidung allein im Januar mit einer Zunahme der Devisenreserven um 100 Mrd. Fr. hätte gerechnet werden müssen. Das aber hätte die Reserven der SNB in die Nähe des jährlichen schweizerischen Bruttoinlandprodukts (BIP) gebracht.

Aber sind mit der Freigabe des Wechselkurses die Währungsprobleme gelöst? Ich glaube nicht.

Besonders betroffen durch den nun sehr starken und bereits vorher überbewerteten Franken werden die Tourismusindustrie und die kleinen und mittleren Unternehmen, die bei erheblichen Exporten nur geringe Vorleistungen importieren. Zwar ist zutreffend, dass diese Unternehmen seit 2011 produktiver geworden sind. Aber ob das im Umfang der Aufwertung gegenüber dem Euroraum geschehen ist, in den der grösste Teil der Ausfuhren erfolgt, muss bezweifelt werden.

Selbst die SNB rechnet nun mit einem Rückgang des Preisniveaus, den sie vorher als Grund für den Mindestkurs angegeben hatte. Unter diesen Bedingungen muss wohl auch bei kaum nach unten veränderlichen Löhnen mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit gerechnet werden.

Höhere Interventionen

Die Ansicht, dass es sich bei der Aufwertung des Frankens auf etwa 1.05 Fr./€ um ein vorübergehendes Überschiessen handelt, wie SNB-Präsident Thomas Jordan vermutete, kann ich nicht teilen, da sie  vielen historischen Erfahrungen widerspricht. Es gab mehrere Male Über- und Unterbewertungen des Dollars von bis zu 30% gegenüber DM bzw. Euro seit 1972, die mehrere Jahre anhielten (vgl. Grafik). Entsprechende Entwicklungen bei geringem Inflationsunterschied gab es auch für andere Episoden mit flexiblen Wechselkursen bis zurück ins 17. Jahrhundert. Gleiches geschah mit dem Franken nach Aufgabe des Festkurses zum Dollar 1973.

Hinzu kommt die nun von der Europäischen Zentralbank (EZB) verfolgte expansive Geldmengenpolitik (Quantitative Easing, QE), die ohne Interventionen der SNB eher für eine weitere Schwächung des Euros zum Franken spricht. Daher stellt sich die Frage, wie sich die SNB der damit zu erwartenden Entwicklung gegenüber verhalten will oder wird.

Während der etwa 40 Monate der festen Untergrenze zum Euro brauchte die SNB nur in ca. vier Monaten zu intervenieren, weil sie mit der Festlegung der Untergrenze und der Aussage, sie werde diese mit allen Mitteln verteidigen und könne dafür Franken in beliebiger Höhe schaffen, entschieden die Markterwartungen beeinflussen konnte. Das wird nun selbst bei kräftigen Interventionen nicht mehr der Fall sein, wegen der fehlenden Untergrenze und eines gewissen Vertrauensverlustes in die SNB. Es muss daher im kritischen Fall mit eher höheren Interventionen gerechnet werden.

In diese Überlegungen platzte kürzlich die Empfehlung des Internationalen Währungsfonds, die Zentralbankgeldmenge M0 durch Kauf ausländischer Anlagen zu erhöhen (also eine neue Art des QE), um den Wechselkurs zu schwächen und möglicherweise eine höhere Inflation statt der zu erwartenden leichten Deflation zu erreichen. Obwohl man sicherlich nicht zustimmen wird, dass die Schweiz ihre relativ inflationsstabile Geldpolitik aufgeben und den Wechselkurs bewusst generell schwächen sollte, scheint klar zu sein, dass die gegenwärtige Überbewertung des Frankens unerwünscht ist und eine den Kauf ausländischer realer Anlagen vorsehende Politik zu bedenken wäre.

All das scheint eine längerfristige Betrachtungsweise erforderlich zu machen. Wie der frühere Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, 2007 am 100. Geburtstag der SNB betonte, hat es diese geschafft, seit ihrer Gründung und besonders seit dem Fall des Systems von Bretton Woods die niedrigste durchschnittliche Inflationsrate aller Länder zu verwirklichen. Das bedeutet aber nach allen historischen Erfahrungen bei flexiblen Wechselkursen eine stetige Tendenz zur Überbewertung des Frankens. Als Folge muss auch bei freiem Devisenverkehr mit einer langfristigen Zunahme der Reserven gerechnet werden, wenn diese Überbewertung in gewissen Schranken gehalten werden soll.

Eine niedrigere Inflationsrate als im Ausland wird Devisenausländer veranlassen, Franken als Liquiditätsreserve nachzufragen und zu halten. Die Höhe derselben kann nur durch merkbar höhere ausländische als inländische Zinsen begrenzt werden. Tatsächlich haben die Reserven der SNB im Durchschnitt während ihrer Existenz immer weiter zu­genommen. Das gilt besonders seit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen seit 1973. Die Reserven haben nur bei starken Einbrüchen des Goldpreises und besonders beim Verkauf der sogenannten «überflüssigen» Goldreserven seit 2000 abgenommen, deren Erlös Kantonen und Bund zuflossen.

Ohne diesen Verkauf ­wären die gesamten Reserven auch nach jenem Jahr unverändert gewachsen.

Dramatisch haben die Reserven seit Beginn der Krise 2007 zugenommen. Dies ist besonders angesichts der Nullzinspolitik der US-Notenbank Fed zusammen mit der erheblichen Ausweitung der US-Zentralbankgeldmenge M0 durch QE nicht erstaunlich. Denn diese dann auch von anderen Ländern mehr oder minder verfolgte Geldpolitik führte zusammen mit der europäischen Schuldenkrise zu ­einer Verminderung des Vertrauens in die langfristige Stabilität der betroffenen Währungen und einer zusätzlichen Nachfrage nach Franken.

Franken wird immer stärker

Insgesamt lässt sich also schliessen, dass sich der Franken als die Währung mit der langfristig niedrigsten Inflationsrate durchschnittlich einer stetigen ausländischen Nachfrage erfreut, die durch krisenhafte Entwicklungen noch verstärkt wird, und die grundsätzlich bei einer Begrenzung der Überbewertung weiterhin zu einer Erhöhung der Reserven der SNB führen wird. Daraus folgt aber auch, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass die Reserven künftig einmal zur Milderung einer Flucht aus dem Franken benötigt werden, um eine Abwertung zu verhindern.

Aber auch das Argument, dass man die ausserordentlich gestiegene Zentralbankgeldmenge M0 zur Verminderung einer künftigen Inflationsgefahr durch einen Verkauf umfangreicher Devisenreserven reduzieren müsse, kann nicht überzeugen. Seit Jahren hat die SNB die Möglichkeit, sich durch die Ausgabe von T-Bills zu verschulden und damit M0 zu reduzieren. Und solange die hiesige Inflationsrate dank der SNB-Politik unter der des Auslands bleibt, wird kein Mangel an Nachfrage nach solchen T-Bills bestehen.

Die geschilderten Zusammenhänge können daher bei einer entsprechenden Anlagepolitik der SNB durchaus positiv gesehen werden. Dem Ausland wird das von diesem gewünschte stabile Geld fast kostenlos zur Verfügung gestellt, während die Reserven bei geeigneter Anlage langfristig einen positiven Ertrag abwerfen würden. Allerdings müsste dazu der Anteil ausländischer Aktien ebenso wie von anderen realen ausländischen Anlagen deutlich erhöht werden, da diese im Gegensatz zu Obligationen auf lange Sicht nicht dem Inflationsverlust unterliegen. Letzteres gilt selbst für eine höhere Goldanlage, da sich der Goldpreis auf lange Sicht in einer Weise entwickelt hat, die die schweizerische Inflation ausgleicht.

Welches wäre also die alternative Politik, die die SNB verfolgen könnte? Sie bestünde offenbar aus der Beibehaltung der niedrigen Inflationsrate, einer Fixierung des Wechselkurses z. B. gegenwärtig gegenüber einem Währungskorb 50:50 in Euro und Dollar, der der realen Wirtschaft Luft zum Atmen liesse, und der im Lauf der Zeit entsprechend der Inflationsunterschiede und der Änderung der Aussenhandelsströme angepasst würde. Auch flexible Wechselkurse wären bei einer Abnahme der Überbewertung keinesfalls ausgeschlossen. Weitere Zuflüsse an Reserven wären wie beschrieben anzulegen.

Allerdings sollte eine leichte Überbewertung des Franken durchaus beibehalten werden, da diese zu Effizienz und Innovationstätigkeit der Wirtschaft beiträgt, wie der frühere SNB-Präsident Fritz Leutwiler schon in den 70er-Jahren feststellte.

Stabiles Geld exportieren

Ein Wachstum der Reserven über die Höhe des BIP brauchte unter diesen Umständen keine Besorgnis auszulösen. Warum sollte man nicht statt wie Norwegen Erdöl stabiles Geld ausführen dürfen? Bekanntlicherweise machen die Anlagen des norwegischen Fonds, der von der Zentralbank verwaltet wird, bereits etwa das Zweifache des norwegischen BIP aus. Die Erträge haben die sozialpolitischen Ausgaben aus dem normalen staatlichen Budget reduziert. Charles Kindleberger vom MIT äusserte mir gegenüber vor etwa dreissig Jahren: «Wir (die USA) verschulden uns kurzfristig zu niedrigen Zinsen und legen die Erträge langfristig zu höheren Erträgen an.» Das Argument, dass das für ein kleineres Land nicht möglich sei, scheint nicht überzeugend zu sein. Denn die Kontrolle der Geldpolitik könnte wie dargelegt auch in diesem Rahmen erfolgen. Und ein Verhalten gemäss der geschilderten Anlagepolitik lässt sich nicht nur bei Norwegen, sondern auch bei China und den Golfstaaten verfolgen.

Schliesslich könnte auf die wenig wirksamen Negativzinsen verzichtet werden. Sie sind bereits mit erheblichen negativen Folgen verbunden: Sparer und Pensionskassen erleiden Verluste bei ihren Anlagen, Geld wird in schon überbewertete Aktien und Immobilien umgeleitet, in der realen Wirtschaft kommt es zu Fehlinvestitionen, und bereits werden Kantonen von ausländischen Banken Kredite zu einem Negativzins von –1% angeboten. Es ist hohe Zeit, diese Fehlentwicklungen so weit wie möglich zu unterbinden.

Daraus folgt gegenwärtig für die erwünschte Politik der SNB: Erstens bei der erwünschten Beibehaltung der Politik niedriger Inflation ist vermutlich für Jahre nicht mit einem Ende des Überschiessens des Frankens gegenüber dem Euro zu rechnen. Daher ist es notwendig, wieder eine für die reale Wirtschaft ­erträgliche Untergrenze festzusetzen, diesmal aber gegenüber einem Währungskorb aus Euro und Dollar im Verhältnis 50:50. Diese Untergrenze könnte etwa mit 1.14 Fr./€ und 1 Fr./$ kalkuliert werden. Das würde eine im Voraus angekündigte Aufrechterhaltung eines Kurses für den Währungskorb von 1.07 Fr. mit allen Mitteln bedeuten.

Käme es bei diesem Kurs zu weiteren Devisenzuflüssen, sollten sie ebenso wie die bereits vorhandenen Reserven der ­Nationalbank langfristig wertbeständig zu einem weit höheren Anteil – beispielsweise zu 80% – in Aktien, Gold und weiteren realen Werten angelegt werden. Staatsanleihen und andere liquide Mittel sollten nicht mehr als 20% der gesamten Reserven ausmachen, da sie der ausländischen Inflation ausgeliefert sind. Natürlich sollten diese Relationen je nach Marktlage angepasst werden.

Gleichzeitig sollten die für die reale Wirtschaft, Pensionskassen und Sparer äusserst schädlichen Negativzinsen beseitigt werden. Damit würde auch die steigende Gefahr des Platzens von gefährlichen Blasen an Aktien- und Immobilienmärkten vermindert.

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