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«Der Mindestkurs hatte seinen Preis»

Am 15. Januar hat die Nationalbank den Mindestkurs zum Euro von 1.20 Fr./€ aufgehoben. Nachdem sie über dreieinhalb Jahre beteuert hatte, er sei notwendig zur Erfüllung ihres Mandats der Preisstabilität, hat dies weltweit grosses Aufsehen erregt.

Fritz Zurbrügg, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, führte am traditionellen Geldmarktapéro der SNB in Zürich die Beweggründe dafür aus, warum der Mindestkurs an jenem Datum fallen musste. Er ging dazu zuerst auf die Umstände ein, die zur Einführung der Eurountergrenze im September 2011 geführt hatten.

Von der Finanzkrise zum Mindestkurs

Nach dem Kollaps von Lehman Brothers im Herbst 2008 senkten die Zentralbanken zügig die kurzfristigen Zinsen auf zuvor nicht gesehene Tiefststände, führte Zurbrügg aus. Auch die SNB: Sie senkte das Zielband für den Dreimonats-Libor Anfang 2009 auf 0 bis 0,75%. «Die konventionelle Geldpolitik, d.h. die Steuerung der Wirtschaft über die kurzfristigen Zinssätze, war damit an eine Grenze gestossen», erinnert sich Zurbrügg.

Während andere Notenbanken wie das Fed zu Wertschriftenkaufprogrammen griffen, bestand die unkonventionelle Geldpolitik im Fall der SNB auch in Interventionen am Devisenmarkt zur Schwächung des Frankens, der in der Finanz- und Euroschuldenkrise zur Fluchtwährung geworden war. Zwischen den frühen Achtzigerjahren und 2009 habe die SNB im Gegensatz dazu nur ganz selten am Devisenmarkt interveniert.

Interventionen wurden insbesondere im Frühjahr 2010 notwendig, als die Eurokrise erstmals eskalierte, und in ihrer zweiten akuten Phase in der ersten Jahreshälfte 2011. «Der Aufwertungsdruck auf den Franken war immens», blickt das SNB-Direktoriumsmitglied zurück. «Im August 2011 lag der reale exportgewichtete Wechselkurs des Frankens zeitweilig um 40% über seinem langjährigen Durchschnitt.» Trotz einer weiteren Senkung des Libor-Zielbandes auf 0 bis 0,25% verstärkte sich der Aufwertungsdruck im September 2011 noch weiter. Am 6. September führte die SNB den Mindestkurs ein. Damit habe sie die akute Bedrohung der Wirtschaft und das Risiko einer Deflation, die beide vom starken Franken ausgingen, eindämmen können.

Alles hat seinen Preis

Das SNB-Direktorium sei sich von Anfang an bewusst gewesen, dass dieser positive Effekt mit einem Preis verbunden sei: dem Risiko, die Devisenkäufe weiter ausdehnen zu müssen – und darauf womöglich Verluste zu erleiden. Die SNB müsse zur Durchsetzung ihrer Geldpolitik bereit sein, dieses Risiko zu fahren. Und sie habe diese Bereitschaft auch bewiesen: «Vom 6. September 2011 bis zum 15. Januar 2015, also über mehr als drei Jahre und vier Monate, haben wir den Mindestkurs konsequent durchgesetzt.» Als die Euroschuldenkrise im Jahr 2012 ihren Höhepunkt erreichte, waren dazu Devisenkäufe in Höhe von 188 Mrd. Fr. notwendig, rechnete Zurbrügg vor. Zusammen mit den Käufen der Vorjahre habe dies die Devisenreserven von 50,5 Mrd. Fr. 2007 auf 432,2 Mrd. Fr. Ende 2012 anschwellen lassen.

Vergangenes Jahr kam dann die Rechnung für die SNB-Aktionäre, Bund und Kantone: Zum ersten Mal in der Geschichte der SNB konnten für das Geschäftsjahr 2013 keine Dividenden und Gewinne ausgezahlt werden. Goldpreisverfall und Wechselkursverluste hatten zu einem stark negativen Jahresergebnis geführt. Zwar habe das keine Begeisterungsstürme ausgelöst, räumte das Direktoriumsmitglied ein. Die Tatsache, dass mit einer hohen Bilanzsumme auch ein hohes Verlustrisiko einhergehe, sei aber «allgemein verstanden und anerkannt» worden.

Warum jetzt?

Trotz der mehrjährigen erfolgreichen Durchsetzung des Mindestkurses sei das Direktorium der SNB am 15. Januar zum Schluss gelangt, dass diese Massnahme nicht mehr nachhaltig und somit geldpolitisch nicht mehr zu rechtfertigen sei. Als Grund nennt Zurbrügg die sich 2014 vollziehende Divergenz der Geldpolitik von Fed und Europäischer Zentralbank. Während sich in den USA Erwartungen einer Leitzinserhöhung aufbauten, zeichnete sich in der Eurozone eine Lockerung der Geldpolitik ab. Der Euro wertete sich erneut ab, der Druck auf den Mindestkurs nahm wieder zu.

Noch an der Lagebeurteilung von Dezember sei die SNB-Spitze überzeugt gewesen, dass der Mindestkurs das richtige Instrument sei. Die danach zunehmende Dynamik der Euroabwertung habe aber klargemacht, dass eine Untergrenze für den Euro von 1.20 Fr./€ nicht mehr nachhaltig sei, sagt Zurbrügg. «Die SNB hätte sie nur noch mit anhaltenden und rasch zunehmenden Interventionen am Devisenmarkt durchsetzen können», gibt er zu bedenken. Die Ausweitung der SNB-Bilanz hätte ausser Kontrolle geraten und ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandprodukts (BIP) erreichen können. Die damit verbundenen Risiken hätten in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Wirtschaft gestanden. Aber nicht nur: Die künftige geldpolitische Handlungsfähigkeit der SNB wäre stark beeinträchtigt und die Erfüllung ihres gesetzlichen Mandats auf lange Sicht gefährdet gewesen.

«Es gibt Ausnahmen von der Transparenz»

«In Zeiten, in denen Transparenz und Offenheit in der Geldpolitik hoch im Kurs stehen, ist die abrupte Beendigung der Mindestkurspolitik bei manchen Beobachtern auf Unverständnis gestossen», weiss Zurbrügg. Und die SNB sei darum bemüht, die Märkte mit ihren Aktionen nicht zu überraschen. Doch es gebe Ausnahmen – und dazu gehöre der Ausstieg aus dem Mindestkurs als «Massnahme mit direktem Bezug zum Devisenmarkt». Schon der geringste Hinweis auf die bevorstehende Aufhebung des Mindestkurses hätte zu massiven Spekulationen gegen die SNB geführt. Auch ein gradueller Ausstieg oder der «sanfte» Übergang zu einer Politik mit einem anderen expliziten Wechselkursbezug wie zu der Anbindung an einen Währungskorb wären deshalb nicht praktikabel gewesen.

Den Morgen des Donnerstag, 15. Januar, habe man deshalb zur Kommunikation gewählt, weil sich die Marktteilnehmer der schwierigen neuen Situation damit in einem normalen Marktumfeld stellen konnten. «Mit der Aufhebung des Mindestkurses an einem Wochentag und bei voller Marktpräsenz wurde das Risiko gering gehalten, einen Teil der Banken und ihrer Kunden gegenüber anderen zu benachteiligen oder Einzelne zu privilegieren», führt der Notenbanker aus.

Die Bekanntgabe der Mindestkursaufhebung an einem Wochenende hätte zu einer unklaren Situation über die Handelsbedingungen bei Eröffnung des Devisenmarktes am Sonntagabend Schweizer Zeit geführt. Zu den Handelszeiten in Australien wäre der dortige Markt, wo normalerweise nur rund 1% des täglichen Umsatzes am Frankendevisenmarkt abgewickelt werde, von den Handelsvolumen überrollt worden. «Man kann sich leicht vorstellen, dass die Verwerfungen im australischen Markt noch grösser gewesen wären als jene vom Morgen des 15. Januar und sich vielleicht erhebliche Übertragungseffekte am Finanzmarkt insgesamt breitgemacht hätten», schliesst Zurbrügg die Begründung ab.

«Negativzinsen wirken lassen» -

Das Ende des Mindestkurses bedeute nicht, dass die SNB das Geschehen am Devisenmarkt nur noch als Zuschauerin beobachten werde, hält der SNB-Mann fest. Bei Bedarf werde sie auch künftig dann intervenieren, wenn die monetären Rahmenbedingungen es erheischten. Der Zinssteuerung werde nun aber wieder mehr Bedeutung zukommen. Die Senkung des Zinses auf Giroguthaben von den im Dezember beschlossenen –0,25% auf –0,75% diene dazu, die Frankenaufwertung seit dem 15. Januar abzufedern.

Die Erfahrung mit Negativzinsen sei zwar nicht sehr gross. Ausser der SNB haben bisher nur die dänische Nationalbank, die schwedische Reichsbank und die EZB vom Negativzinsinstrument Gebrauch gemacht, weiss Zurbrügg. Mit der bisherigen Wirkung sei die SNB aber zufrieden: Der Dreimonats-Libor notiere seit der Ankündigung im negativen Bereich und liege nun ungefähr in der Mitte des Zielbandes. Auch die langfristigen Zinsen seien gefallen, und der Wechselkurs habe sich von den Extremwerten unmittelbar nach der Mindestkursaufhebung gelöst. Handelsgewichtet liege der Franken derzeit immer noch gut 10% höher als Anfang Jahr. Damit sei er noch immer deutlich überbewertet.

Die SNB sei sich bewusst, dass viele Menschen wegen der tiefen Zinsen besorgt seien. Allerdings dürfe nicht vergessen gehen, dass für Sparer nicht der nominale Zins, sondern allein der reale – also der um die Inflationsrate bereinigte – Zins ausschlaggebend sei. Wegen der seit einiger Zeit sehr tiefen und derzeit gar negativen Inflation liege der Realzins über dem Nominalzins. Es gehe aber vor allem darum, dass in dieser für die Schweizer Wirtschaft schwierigen Situation der Negativzins seine Wirkung entfalten könne und zu einer Abschwächung des Frankens beitrage. Bestrebungen, den Negativzins durch Ausnahmeregelungen oder Umschichtungen in Bargeld zu umgehen, seien daher im gegenwärtigen Umfeld nicht im Gesamtinteresse der Schweiz.