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IWF und das «grosse G»

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinem jüngsten Länderbericht der Schweiz wieder einmal geraten, ihre Fiskalpolitik expansiver zu gestalten – sprich: Der Bund soll mehr ausgeben. Den Ökonomen ist besonders die Schuldenbremse ein Dorn im Auge.

Sie würde den Spielraum der Finanzpolitik zu sehr einschränken; gerade im Zuge der sich abzeichnenden Konjunkturabkühlung seien mehr Ausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft das Gebot der Stunde, aufgrund des niedrigen Zinsniveaus sollte man dabei auch gleich noch etwas die Staatsverschuldung ausbauen.

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, der IWF gebe seine Empfehlungen einfach angelehnt an ein Basislehrbuch in Makroökonomik ab, ohne sich die spezifische Situation der Schweiz anzuschauen. In solchen Lehrbüchern steht, dass der Staat durch die Erhöhung seiner Ausgaben – in einer Formel meist dargestellt durch ein grosses G für «Government» – das Wachstum und die Beschäftigung (dauerhaft) ankurbeln könne.

Jeder, der in der einen oder anderen Form mit den Grundlagen der Volkswirtschaftslehre konfrontiert war, wird von dieser auf den Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) zurückgehenden Vorstellung irgendwann mal gehört haben.

Unsinnige Tipps

Auch wenn die Grundlagen der IWF-Empfehlung komplexer sein mögen, nachvollziehbar sind sie deswegen nicht. Erstens fragt man sich, welche konjunkturellen Probleme eine Politik der erhöhten Staatsausgaben bekämpfen soll. Zwar sind die prognostizierten Wachstumsraten des Seco für 2019 nach unten korrigiert worden, doch eine Rezession der Schweizer Wirtschaft zeichnet sich keineswegs ab, die Aussichten für 2020 sind – bei allen weltwirtschaftlichen Risiken wie zum Beispiel dem Brexit – weiterhin positiv.

Zweitens eignet sich eine aktivistische Fiskalpolitik in der Schweiz zur Beeinflussung der Konjunktur noch weniger als in anderen Ländern. Ihr haftet generell das Problem an, dass sie sektorspezifisch und damit strukturerhaltend wirken kann. In der Schweiz als kleiner offener Volkswirtschaft kommt dazu, dass fiskalische Impulse, also mit Steuergeldern alimentierte fragwürdige Projekte, ab einem gewissen Grad nicht allein im Inland, sondern auch im Ausland «verpuffen».

Systemisch bedingt verfügt die Schweiz über sogenannte automatische Stabilisatoren (Arbeitslosenversicherung, Kurzarbeit etc.), die in einer Rezession stützend auf den Konsum und die Konjunktur wirken. Die Schuldenbremse des Bundes ist überdies so ausgestaltet, dass sie die konjunkturelle Entwicklung berücksichtigt, bei einem Abschwung also Mehrausgaben erlaubt (man spricht vom sogenannten K-Faktor).

Für die Stabilisierung der Konjunktur viel entscheidender ist in der Schweiz jedoch ohnehin die Geldpolitik, wie sich in der Vergangenheit oft gezeigt hat. Der Einwand des IWF, dass die Schweizerische  Nationalbank schon jetzt im negativen Zinsbereich operiere und deshalb nicht adäquat auf einen Wirtschaftseinbruch reagieren könne, greift dabei zu kurz.

Auch wenn die Zentralbankbilanz dadurch allenfalls weiter aufgebläht würde, steht in einem weltwirtschaftlich exponierten Land wie der Schweiz der Zentralbank über den Wechselkurskanal jederzeit ein wirkungsvoller Mechanismus zur konjunkturellen Stabilisierung zur Verfügung. Dies etwa im Unterschied zu den USA, wo der Aussenhandel für die Konjunktur eine viel kleinere Rolle spielt.

Doch auch aus struktureller Perspektive lässt sich drittens nicht nachvollziehen, weshalb der IWF nach Mehrausgaben ruft. Im Gegenteil, sowohl die Ausgaben für Infrastruktur als auch diejenigen für die Bildung – beides Bereiche, die langfristig Wachstumsimpulse setzen können – sind in den vergangenen dreissig Jahren überproportional gewachsen, wie Avenir Suisse in diversen Studien schon aufgezeigt hat.

Dringendes Aufholpotenzial, zum Beispiel aufgrund einer unterentwickelten oder schlecht gewarteten Infrastruktur, konnte auch der IWF nicht ausmachen. Entsprechend fragwürdig ist deshalb die Empfehlung, das niedrige Zinsniveau für zusätzliche Verschuldung und neue Staatsinvestitionen auszunutzen.

Natürlich lassen die niedrigen Zinsen einzelne Projekte heute lohnender erscheinen, als sie es in einem anderen Zinsumfeld wären. Doch auch bei günstiger Verschuldung gilt: Irgendwann muss das Geld zurückgezahlt werden (das heisst, wir, die Steuerzahler, müssen dafür aufkommen), denn Infrastrukturen werfen bekanntermassen meist keinen unmittelbaren Ertrag ab.

Natürlich steigern Infrastruktur und eine gute Bildung die fiskalische Ertragskraft der Volkswirtschaft als Ganzes, was die Kosten aufwiegen kann. Doch genau diese Kosten-Nutzen-Überlegung muss bei entsprechenden Ausgaben unabhängig von den Schuldzinsen immer im Vordergrund stehen. Deren gegenwärtig niedriges Niveau darf nicht als Freipass für von der finanzpolitischen Vernunft losgelöste «Infrastrukturträume» verstanden werden.

Viertens kritisiert der IWF, dass die Schuldenbremse zu strukturellen Überschüssen im Bundeshaushalt führe, sie müsse deshalb reformiert werden. Ersteres trifft zwar zu, doch vernachlässigt das IWF-Team die gewichtige Tatsache, dass die Schweiz bei den Sozialversicherungen als dem Wachstumstreiber der öffentlichen Ausgaben keine Schuldenbremse hat, obwohl sich gerade in diesem Bereich ein grosser Anstieg der Staatsschulden abzeichnet. Der durch die Überschüsse ausgelöste permanente Schuldenabbau kompensiert hierfür immerhin ein wenig.

Wieso nicht Steuern senken?

Davon abgesehen rät der IWF explizit davon ab, den finanzpolitischen Spielraum für Steuersenkungen zur verwenden. Offenbar ist den Experten entgangen, dass das Schweizer Steuersystem in vielen Bereichen sehr verzerrend wirkt bzw. an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen müsste, eine Entlastung also Wachstumsimpulse auslösen könnte.

Zu erwähnen sind die hohe Progression der direkten Bundessteuer, die negative Arbeitsanreize verursacht, die Emissionsabgabe auf Eigenkapital, die den Finanzplatz belastet, oder die Heiratsstrafe, die sich negativ auf die Arbeitsmarktpartizipation von Zweitverdienenden auswirkt. Sollte die Bundesrechnung Spielraum aufzeigen, könnten hier mit entsprechenden Entlastungen effizient und nachhaltig positive Wachstumseffekte ausgelöst werden.

Die Schweizer Politik ist gut beraten, sich nicht von den Empfehlungen des Währungsfonds leiten zu lassen und eine smarte Finanzpolitik über das «grosse G» hinaus zu verfolgen.