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Chinas Herausforderung kommt noch

Vor vierzig Jahren, im Dezember 1978, beschloss die Kommunistischen Partei Chinas, die Volksrepublik wirtschaftlich zu öffnen. Dieser Kurswechsel war ein voller Erfolg. Dass sich ein derartiges Wirtschaftswunder ereignen würde, hatte niemand vorausgesehen.

Das von langen Jahren innerer und äusserer Wirren geschwächte Land, dessen Bruttoinlandprodukt in Dollar gerechnet damals etwa gleich gross war wie das der Schweiz, ist seither zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Die absolute Armut konnte nahezu ausgemerzt werden, und Chinas Mittelklasse ist heute grösser als die der USA.

Dennoch hat China den harten Teil des Modernisierungsprozesses erst vor sich. Das nicht nur, weil das bisherige Entwicklungsmodell, getragen von Exporten, billigen Arbeitskräften und reichlich vorhandenem günstigen Kapital, nicht mehr zweckmässig ist, sondern mehr noch, weil sich im autoritären Staat die politischen Reformen aufgestaut haben.

Legitimität dank Wachstum

China ist heute dank des boomenden Konsums der Privathaushalte und der massiven staatlichen Investitionen in Infrastrukturprojekte deutlich weniger von den Ausfuhren abhängig als noch vor zehn Jahren. Auch weist auf den ersten Blick nichts darauf hin, dass die Macht der KP von einer organisierten Opposition direkt herausgefordert wäre. Das nicht einmal in erster Linie, weil ein allmächtiger Sicherheitsapparat die Bevölkerung unter enger Kontrolle hält, sondern weil der Staat – zumindest bisher – dafür gesorgt hat, dass sich Millionen von Bürgern dank rasant gewachsener Kaufkraft Autos, Ferien im Ausland und eine gute Ausbildung ihrer Kinder leisten können. Die gestiegene Lebensqualität verleiht der Kommunistischen Partei in den Augen breiter Bevölkerungsschichten Legitimität.

Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Wirtschaftswunderland nicht alles zum Besten steht. Das zeigt sich etwa an der Kapitalflucht ins Ausland und an der grossen Zahl gut ausgebildeter und wohlhabender Chinesen, die sich sozusagen als Rückversicherung einen ausländischen Pass besorgen. Vor allem aber hat in den vergangenen fünf Jahren die Repression gegen Menschenrechtsanwälte, kritische Künstler, religiöse Gruppierungen oder auch Arbeiteraktivisten immer schärfere Züge angenommen. Gleichzeitig ist nun auch die aussenpolitische Lage weit schwieriger als noch vor wenigen Jahren. Das nicht nur in Bezug auf die intensivere wirtschaftliche und geostrategische Rivalität mit den USA, sondern vor allem auf die ungelösten Territorialkonflikte mit Nachbarn wie Indien, Japan, Vietnam und den Philippinen.

All das findet vor dem Hintergrund eines sich seit Jahren stetig verlangsamenden Wachstums statt. Ungebremst gestiegen ist dagegen die Schuldenlast, die sich gemessen am Bruttoinlandprodukt 300% genähert hat. Offensichtlich wird Chinas  Wachstum durch eine massive Flut von weiterhin wenig effizient angelegter Liquidität gestützt. Solange die Wirtschaft rasant expandierte, wurde das kaum als Problem wahrgenommen. Heute jedoch stellen die ausstehenden Verbindlichkeiten eine Gefahr für die Finanzstabilität Chinas dar, nicht zuletzt wegen der mangelnden Transparenz über den Anteil der notleidenden Kredite. Dabei ist nicht einmal der Grad der Verschuldung das grösste Problem, sondern das Bankensystem, das nach wie vor in erster Linie auf die Bedürfnisse der mächtigen, doch oft wenig produktiven Staatskonzerne und der öffentlichen Körperschaften ausgerichtet bleibt.

Eine Ausnahme sind bemerkenswerterweise die von der Regierung als strategisch wichtig definierten staatsnahen Konzerne wie Huawei, Tencent oder Alibaba, zudem Unternehmen wie HNA Group oder Wanda, die enge Beziehungen zur Staats- und Parteielite haben. Der Privatsektor, der vor allem dank der Millionen von kleinen und mittleren Unternehmen 80% der Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und 60% des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet, musste sich zumindest bis vor kurzem bei den wenig transparenten Schattenbanken Kapital besorgen. Seit die Regierung im Vorjahr Massnahmen gegen diese riskante Praxis ergriffen hat, ist es vermehrt zu Zahlungsausfällen und Unternehmenspleiten gekommen.

Das alles ist nicht etwa die Folge schlechter Planung, sondern systemimmanent, denn die Macht der KP beruht nicht nur auf der Zensur und der umfassenden Überwachung der Bevölkerung, sondern auch auf der Kontrolle der Staatsunternehmen und der von den staatlichen Banken vergebenen Kredite.

Doch der Gesellschaftsvertrag zwischen der Regierung und dem Volk dürfte spätestens dann einem Stresstest unterzogen werden, wenn die Wirtschaft in eine längere zyklische Schwächephase eintreten wird, was über kurz oder lang unvermeidbar ist. So war es zumindest 1989, als die Inflationsrate zeitweise beinahe 30% erreichte. Die fallende Kaufkraft trug dazu bei, dass der ohnehin seit einiger Zeit vernehmbare Ruf nach mehr politischer Mitsprache lauter wurde. Die Proteste wurden von der Armee blutig unterdrückt.

Heute wie damals fehlt es in China an Mechanismen, um über die freie Debatte, unabhängige Gerichte oder auch Wahlen dramatische gesellschaftliche Konflikte zu entschärfen, ohne ein willkürliches und gewaltsames Eingreifen des Staates. Wirtschaftlich schwierigere Zeiten müssen nicht unbedingt demokratischen Kräften Aufwind geben. Ebenso gut könnte das Land in einen ideologischen Taumel verfallen.

Gefährlicher Nationalismus

Diese Gefahr ist umso grösser, als die Regierung nicht nur politische Reformen versäumt, sondern in den vergangenen Jahren zusätzlich den Nationalismus geschürt hat. Damit nimmt das Risiko zu, dass sich die Volksrepublik in innen- oder aussenpolitische Abenteuer stürzt.

Chinas Führung hat sich in der Vergangenheit immer wieder als bemerkenswert anpassungsfähig erwiesen. Aussenstehende wissen heute so wenig wie vor vier Jahrzehnten, was sich innerhalb der höchsten Gremien der Partei abspielt. Vielleicht stehen politische Reformen an, und ein dereinst weltoffenes, friedliches China könnte die Welt überraschen. Angesichts des heute herrschenden politischen Klimas sollte darauf jedoch nicht allzu viel Hoffnung gesetzt werden.