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Zwei Spitzen-Frauen der Juwelen- und Uhrenszene

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Carole Forestier-Kasapi: «Ich habe keinerlei Lust, Trends zu folgen, ich will sie machen».
Lucia Silvestri: «Ich spüre ihre Energien. Deshalb muss ich die Steine immer berühren».
Carole Forestier-Kasapi: «Ich habe keinerlei Lust, Trends zu folgen, ich will sie machen».

Rom. Lungotevere. Im Saal der Steine. Lucia Silvestri betrachtet die Kleinode, Hunderte von kostbaren Steinen, die ein zufälliges Mosaik ergeben. Das Ritual wird seit dreissig Jahren gepflegt, Lucia Silvestri und Paolo Bulgari treffen sich zum Morgenkaffee. Sie sind allein, sitzen sich gegenüber. In einer fast kirchlichen Stille reden sie über Befindlichkeiten, tauschen Tagesneuigkeiten aus. Dann beginnen sie Colliers zusammenzustellen, reihen Cabochons von Smaragden, birmanischen Saphiren und noch selteneren Steinen zusammen. Die beiden ergänzen sich perfekt.

Die junge Frau, die als Neunzehnjährige für einen Sommerstage bei Bulgari eingetreten ist, geniesst das volle Vertrauen des Patrons, den sie siezt und dessen Zustimmung sie mit ihren jadefarbigen Augen sucht. Lucia verdankt ihr berufliches Wissen den Brüdern Paolo und Nicola Bulgari. Sie hat es sich im täglichen Kontakt mit ihnen angeeignet und hätte es aus keinem Buch lernen können. Wissenschaft der Farben, Einkauf der Steine, Geheimnisse, die nur die Edelsteine verraten. Vorausgesetzt, man weiss sie zu interpretieren, zu betrachten, zu berühren, ihre Energie und ihren Wert zu spüren. «Vielleicht weil die Steine Millionen Jahre alt sind», vermutet Lucia Silvestri. «Ich spüre ihre Energien, die ich nicht wirklich erklären kann. Deshalb muss ich sie berühren. Ich glaube, die Liebe ist gegenseitig. Damals im Sommer habe ich mich Hals über Kopf in die farbigen Steine verliebt, die Passion hat mich seither nie mehr verlassen.»

Männerdomäne

Lucia Silvestri studierte Biologie, die Bulgari-Brüder, beide Väter noch kleiner Kinder, suchten eine Person, der sie ihr Know-how weitergeben konnten. Sie fanden sie in einer Frau, eine Novità in diesem Milieu. Lucia erzählt von den anfänglich schwierigen Verhandlungen mit Verkäufern, von der Härte dieses Business. Aber sie hatte Respekt vor dieser Arbeit, lernte und hielt durch. Heute lacht sie darüber. «Jetzt macht es mir Spass, die Männer in Verlegenheit zu bringen, die Oberhand zu behalten. Leider bin ich nach wie vor eine der wenigen Frauen, die in diesem Metier einkaufen und verhandeln. Auch ist es immer aufregend, in die Minen hinabzusteigen. Ich tue es zwar selten, denn ich kaufe keine Rohsteine, aber es lohnt sich, wenn man die Arbeitsbedingungen verstehen will. Wenn man bedenkt, dass in Sri Lanka Frauen in den Minen nicht willkommen sind, denn sie sollen Unglück bringen. Bei mir macht man eine Ausnahme, aber nur widerwillig.»

Lucia gilt heute als eine der wichtigsten Expertinnen für Farbsteine. Sie besitzt die Fähigkeit, bei jedem einzelnen Stück das Potenzial zu entdecken und den Bulgari-Geist aufzuspüren. Das ist ihre eigentliche Aufgabe, denn aussergewöhnliche Steine wollen alle grossen Bijoutiers. «Es geht darum, den zu finden, von dem man sich vorstellen kann, dass er Bulgari verkörpert. Ich kann den seltensten Saphir der Welt in der Hand halten und werde ihn nicht wählen, wenn er nicht den Visual Appeal besitzt, das heisst diese bestimmte Sanftheit, die weder zu helle noch zu dunkle Farbe. Er darf auch nicht zu schwer sein, sonst müssen wir ihn schneiden, damit er die italienische Eleganz erhält, den typischen Cabochon-Griff. Bei uns kommt Stil vor Karat.

Das Beste aus einem Stein herausholen

Sie erinnert sich an die Risiken, die sie einging, als sie vor zwei Jahren wegen eines Colliers mit zylinderförmigen Saphiren von insgesamt 3000 Karat nach Jaipur reiste. «Als ich das wuchtige, zu ethnische Collier mit den zu dunklen Steinen sah, konnte ich es so nicht akzeptieren. Obwohl ich im Kern der Saphire Leben sah. Also empfahl ich meinem Kontaktmann, einem renommierten indischen Lieferanten, der schon für die Maharadschas gearbeitet hatte, die Steine entzweizuschneiden. Er hielt mich für verrückt. Verständlich, denn wer will schon bei 3000 Karat ein Risiko eingehen. Acht Monate später präsentierte er mir die halbierten Steine. Es war ein Schock, ein Wunder! Er war meiner Intuition gefolgt, das Resultat war spektakulär. Ich telefonierte mit Paolo Bulgari, der mir vertraute, ohne die Steine gesehen zu haben. Ich blieb in Jaipur, um zu verhandeln. Ich war überaus nervös, denn die Steine waren von einmaliger Grösse und repräsentierten eine Riesensumme Geld. Das Risiko war enorm.

Als die Steine schliesslich in Rom eintrafen, setzte sich Paolo Bulgari mir gegenüber, wie immer streng und ernsthaft, und öffnete das Papier. Er schwieg lange und rief dann aus: ‹Brava, bellissimo! Wir machen daraus ein Armband.› Und begann unverzüglich mit der Skizze. Das Bracelet wurde eines der schönsten Schmuckstücke in der Geschichte von Bulgari. Es ist einmalig, ein Kunstwerk, 250 Karat Smaragde sowie Diamanten, Rubine, Spinelle. Die erste Kundin, die am ersten Tag den Bulgari-Haute-Joaillerie-Event in Portofino besuchte, kaufte es auf der Stelle. Es war eine Asiatin mit exquisitem Geschmack. Der einmalige Takhti-Schliff wurde Basis einer neuen Kollektion. Bei Bulgari ist immer ein Stein oder ein römisches Symbol die Ausgangslage.»

Gewaltige Herausforderungen

Bulgari, die Marke für Haute Joaillerie und Haute Horlogerie, gehört heute zum Luxuskonzern LVMH (die Übernahme fand im März 2011 für 4,3 Mrd. € statt) und hat grosse Ambitionen. Bernard Arnault will das italienische Luxuslabel zum Zugpferd des Marktes machen. In den vergangenen achtzehn Monaten war der Bulgari-Sitz in Rom Schauplatz für Reorganisation und Internationalisierung der Produktionskette, für Modernisierung der Kreation, Investitionen in Innovation. In Rom arbeiten 35 Personen in der Produktion, darunter achtzehn Goldschmiede und acht Mitarbeiter, die Prototypen anfertigen. Mit einem Produktionswachstum 2013 von 13% gegenüber dem Vorjahr und einem Umsatz von geschätz über einer Milliarde will Bulgari im gleichen Tempo weiterfahren.

Beim Besuch der Ateliers, wo der hochpreisige Schmuck entsteht, wird ersichtlich, dass die Kollektionen 2016 und 2017 konzipiert sind, um die Marktanteile der Marke zu erhöhen. Lucia Silvestri arbeitet mit einem Kreativteam von sechs Personen, aber sie ist es, die die grossen Linien der Haute-Joaillerie-Kollektionen vorgibt und entwirft, die jedes Jahr aus fünfzig Einzelstücken bestehen.

Im Juni wurde den Medien und den internationalen Kunden in einem noblen toskanischen Palazzo mit grandiosem Park die Kollektion «I Giardini» vorgestellt. Der Geist des Dolce Vita vermag immer noch zu begeistern, denn drei Viertel der Stücke wurden in wenigen Tagen verkauft. Von dieser Faszination zeugen auch die zahllosen Neugierigen, die die Schaufenster der legendären Boutique an der Via Condotti bewundern, wo schon Richard Burton und Liz Taylor sich mit Smaragden und Saphiren ihre Liebe gestanden. Eine Erfolgsstory, die weitergeht. Allerdings, so der Manager des Geschäfts, nehmen auf den berühmten Velourssofas weniger altmodische Romantiker und Hollywood-Stars Platz, sondern Geeks aus Asien, die auf ihrem Tablet spielen und warten, bis die Partnerin ihre Wahl getroffen hat. Eine andere Art von Glamour eben. -

Carole Forestier-Kasapi – Die Revolutionärin

Carole Forestier-Kasapi lässt sich von der Geschichte der Uhrmacherei ebenso wenig beeindrucken wie von der Technik eines hundertfach neu interpretierten Mechanismus. Bei dieser Frau mit dem hellwachen Blick wirkt alles einfach und trivial. Trotz der grossen strategischen Herausforderungen der Branche führt sie bei Cartier die Divisionen Haute Horlogerie und Uhrwerke mit fester Hand, aber auch risikofreudig. Sie trägt die Verantwortung für die Abteilung Uhrwerke mit den rund hundert für technische Entwicklung zuständigen Ingenieuren mit offensichtlichem Vergnügen.

Die grosse Manufaktur (Cartier ist der grösste Arbeitgeber in La Chaux-de-Fonds) ist noch jung genug, um sich nicht von Uhrmacherlegenden einengen zu lassen. In sechs Produktionsstätten unterteilt, fertigt das Unternehmen in La Chaux-de-Fonds Gehäuse, Mineralgläser, Zeiger, Armbänder und Schliessen; es gibt eine Fassondreherei für Triebe und Räder, eine Fertigung für Brücken und Platinen, eine Abteilung für Assemblage, Einschalen und sogar für die Restaurierung von alten Uhren. Im Jahr 2000 eingeweiht, wurde die Produktion neu organisiert und online vernetzt, wodurch die Zeitspanne zwischen Produktion eines Modells bis zur Verfügbarkeit im Laden von 250 auf 20 Tage reduziert werden konnte.

Heute ist Carole Forestier als eine der bedeutendsten Expertinnen der Haute Horlogerie anerkannt. Sie ist eine der wenigen Frauen, denen es dank genialen Ideen gelungen ist, sich auf dem Schachbrett der allmächtigen Könige einen Platz zu verschaffen. Die Anfänge waren hart. «Es ist ein sehr konservatives Milieu. Wie in jeder anderen Branche auch muss man sich beweisen, als Frau allerdings doppelt. Man startet mit einem zweifachen Handicap. Und dass ich Pariserin bin, hat auch nicht gerade geholfen, ich hatte also alle Nachteile», lacht sie.

In 3-D denken

Carole ist im Uhrmachermilieu aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben in Paris ein Atelier für die Restaurierung alter Uhren, Mikromechanik war quasi ihr Spielfeld. «Nach der Schule hielt ich mich am liebsten im Atelier auf, erfand neue Werke, zerlegte Uhren, um die Funktionsweise zu verstehen. Aber die Uhrwerke wieder zusammenzusetzen, dafür fehlte mir die Geduld. Zum Leidwesen meines Vaters interessierte ich mich nicht für Uhrmacherei, sondern wollte Ingenieurin werden. Dieser Beruf war meine Passion.» Sie kam an die Uhrmacherschule in La Chaux-de-Fonds in einer Zeit, als die Branche fast am Boden war. Man arbeitete damals noch auf dem Zeichenbrett, aber sie wollte ihren Abschluss in Informatik machen – das hatte es noch nie gegeben.

Anschliessend besuchte sie eine Ingenieurschule und versuchte ihr Glück in einem unabhängigen Ingenieurbüro. «Ich war aber schnell frustriert, denn ich konnte nicht den ganzen Produktionsprozess kontrollieren. Auf die von mir kreierten Werke erhielt ich keinerlei Feedback. Schliesslich bot mit Giulio Papi von Renaud & Papi, der Zulieferfirma für Uhrenkomplikationen, die Leitung des technischen Büros an. Endlich hatte ich eine integrierte Manufaktur zur Hand, die es mir ermöglichte, auch beim kreativen Prozess mitzuwirken.»

Die grosse Herausforderung in der Manufaktur Cartier entspricht ganz ihrem Talent. Sie hat 45 Uhrwerke entwickelt, davon 33 im Bereich Haute Horlogerie. Wobei ihr die Anzahl unwichtig ist. Ihre Stärke? Sie besitzt die Fähigkeit, sich in ein dreidimensionales Werk hineinzudenken, sie kann sich vorstellen, wie gross ein Chip ist, sich virtuell auf den Rand einer Ausfräsung setzen und den Rädern zusehen, die sich über ihr drehen. Sie träumt fast jede Nacht von der Uhrmacherei. «Ich habe stets einen Notizblock auf dem Nachttisch, damit ich jederzeit meine Träume aufschreiben kann. Dies kommt häufig vor.» Sie schmunzelt: «Es sind die einzigen Träume, an die ich mich erinnere.»

Innovation muss sinnvoll sein

Carole Forestier sagt, dass sie noch nie eine kreative Idee in der Manufaktur gehabt hat. Vor Ort muss sie führen, Lösungen finden. «Ich weiss, wie ich den kreativen Prozess auslösen kann. Das kann man erarbeiten und kultivieren. Kreativität ist nur möglich, wenn man positiv gestimmt ist. Bin ich traurig oder melancholisch, kann ich es gleich vergessen.» Vor allem ist sie überzeugt, dass man sein Wissen lebendig erhalten muss, um kreativ zu sein. Seit ihrer Kindheit sind die Uhrenbücher der umfangreichen Familienbibliothek Quelle dieses Wissens.

Wenn sie eine Komplikation erfinden muss, macht sie sich kundig und liest alles, was zum Thema geschrieben wurde. Auch dies sei Kreativität, und sie braucht es. Perfektes technisches Wissen ist geradezu eine Obsession und auch eine Frage des Vertrauens. «Es ist unmöglich, alles zu wissen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Geschichte der Uhrmacherei fortzuschreiben, sonst ist es völlig uninteressant. Aber das braucht Zeit, und Cartier schenkt mir Vertrauen.

Wenn ich mich ins Jahr 2025 versetzen muss, verfüge ich über keinerlei Parameter. Der einzige Massstab, den ich mir gestatte, ist der Kunde, dessen Bedürfnisse ich vorauszusehen versuche. Ich habe keinerlei Lust, Trends zu folgen, ich will sie kreieren. Dies entspricht auch seit jeher dem Esprit von Cartier.» Besser sein als die Vergangenheit, besser als Berufskollegen in einem hoch kompetitiven Kontext – ein doppelter Anspruch? Carole Forestier hat den riesigen Vorteil, dass sie nicht von einem Unternehmen eingeschränkt wird, das einem grossen Erbe verpflichtet ist. Sie kann sich neue Sichtweisen und Visionen erlauben, die diversen Entwicklungen der Uhrmacherei definieren und ihnen Sinn geben.

Was liebt sie am meisten? Das berühmte weiss Blatt. «Als Cartier mich beauftragte, das Tourbillon neu zu erfinden, war ich glücklich. Ich musste die Anzeige neu erfinden, gleichzeitig dem Cartier-Geist treu bleiben. Also stellte ich mir die kleine Sekunde vor, die oft im Tourbillon-Käfig integriert ist. Davon ausgehend entwickelte ich die Zentralsekunde, indem ich den Tourbillon-Käfig ins Zentrum positionierte. Die Idee hatte ich im Handumdrehen, und ich wusste, wie ich vorgehen musste. Das Astrotourbillon war geboren!» Für die Uhrmacherin ist es viel spannender, ein kreatives Element zu erfinden, als ein neues Teil, das schliesslich in mehreren Werken verwendet wird. Beide Projekte aber setzen die Projektion in die Zukunft und eine hoch entwickelte Produktionslogik voraus.

Einer der kreativsten Geister der Branche

Carole Forestier gilt als einer der kreativsten und visionärsten Köpfe der Branche. Das Team ihrer Entwicklungsabteilung für Uhrwerke besteht aus rund vierzig Personen, die jedes Jahr Neuheiten erarbeiten. «Die Ideen entstehen nicht beim Durchblättern von Uhrenfachzeitschriften, um zu sehen, was die Kollegen machen. Das funktioniert nicht. In erster Linie muss man neugierig sein. Neulich habe ich den Staubsauger auseinandergenommen. Mein Mann glaubte, ich sei verrückt geworden», lacht sie. «Ich wollte wissen, wie das Teil funktioniert, welches das Kabel aufrollt. Dazu musste ich das Ding zerlegen. Nachher war ich natürlich unfähig, es zusammenzusetzen.

Doch Innovation kennt keine Grenzen, und die Uhrmacherei ist nicht das Zentrum der Welt. Man muss sich auch in der Medizin, im Automobil- oder im Flugzeugbau umsehen. Trotz allem gibt es immer wieder jemanden, der vor Ihnen die gleiche Idee hatte. Das ist mir einmal ein paar Monate vor dem SIHH passiert. Ich musste mich also wieder ans Werk machen, es modifizieren. Dies wünsche ich niemandem, denn die Welt stürzt ein.» Carole Forestier kann gelassen in die Zukunft schauen beziehungsweise das Jahr 2025 abwarten. Sie hat bereits Dutzende von Konzepten in der Pipeline. Nur die Konjunktur könnte ihr einen Strich durch die Rechnung machen.