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Schwindelerregende Linien

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Heydar Aliyev Kulturzentrum, Baku, Aserbaidschan.
Heydar Aliyev Kulturzentrum, Baku, Aserbaidschan.
Das MAXXI in Rom ist der Bruch mit der linearen Ordnung der klassischen Architektur.

Nach ihrem plötzlichen Tod am 31. März 2016 trauerten die Medien weltweit um die futuristische und visionäre Architektin. Die Stiftung des renommierten Pritzker-Preises, den die Architektin 2004 erhalten hatte, schrieb: «Zaha Hadid ist eine Pionierin der Architektur».

Als Pionier oder Visionär bezeichnet man jemanden, der die Intuitionen der Zukunft hat und den Weg dorthin bahnt. War Zaha Hadid wirklich all das? Welches Erbe hat sie hinterlassen? Sie war die erste Frau, die mit dem Pritzker-Preis, dem Nobelpreis für Architektur, und mit der Goldmedaille des Royal Institute of British Architects ausgezeichnet wurde.

2012 wurde sie von Königin Elisabeth in den Adelsstand erhoben. Ihr erstes Bauwerk entstand auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein bei Basel. Das spitzwinklige Feuerwehrhaus erinnert mit seinen gebrochenen Wänden und Kanten an eine kühne Skulptur.

Dieser Erstling markierte den Anfang einer höchst erfolgreichen Karriere. Zaha Hadids Kreationen prägten die Welt, von den USA bis nach China. Sprungschanze in Innsbruck, Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cincinnati, das Museum Maxxi in Rom, das Riverside Museum in Glasgow, Opernhäuser in Kanton, Dubai, Cardiff, Aquatics Centre in London und eine Vielzahl von Bauwerken und laufenden Projekten zeugen von ihrer Virtuosität.

Die Architektin gewann den Wettbewerb für den grössten Flughafen der Welt, das Beijing New Airport Terminal Building im Süden der Stadt, mit dem sie ihre Lust an Gigantismus stillen konnte. Das pharaonische Gebäude erinnert an Schmetterlingsflügel und wird gemäss traditioneller chinesischer Architektur um einen zentralen Hof gebaut, der zu den verschiedenen Bereichen führt. Ab 2019 werden sich hier jährlich über 45 Mio. Passagiere begegnen.

Architektonisches Manifest

Das Museum für Kunst im 21. Jahrhundert in Rom, Aquatics Centre in London oder das Kulturzentrum Heydar Aliyev in Baku in Aserbaidschan sind Manifeste ihres Strebens nach freiem Raum und fliessender Leichtigkeit, weg von der Tyrannei der Schwere.

Ihre Bauten sind gleichzeitig leicht und komplex, ein Ensemble von ineinander verschachtelten Räumen, dynamischen Raumkonzepten, die manchmal zu Polemiken führten. Die Ausstellungsräume des römischen Museums, ein Dampfer aus Beton, sind offen und ohne Trennung von Innen und Aussen.

Eine Kathedrale, die mehr Architektur ist als Ausstellungspalast , und die mit den langen, kurvigen Rampen den Besucherfluss kompliziert. Von Libération als elefantös bezeichnet, schrieb die Zeitung bei der Eröffnung des Maxxi im Jahr 2010, Zaha Hadid habe «ihrer eigenen Göttlichkeit ein Mausoleum» errichtet. Tatsächlich stellt diese Kreation den Bruch mit der linearen Ordnung der klassischen Architektur dar.

Ebenso spektakulär ist das monumentale London Aquatics Centre, das für die Olympischen Sommerspiele 2012 errichtet wurde. Die fluide Architektur erinnert an die Bewegung des Wassers. Das von einer wellenförmigen Struktur gekrönte Gebäude wurde vom Guardian als das «atemberaubendste Schwimmbad der Welt» bezeichnet.

Nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 begann Aserbaidschan in die Infrastruktur zu investieren, um das Land zu modernisieren und sich vom sowjetischen Regime und dessen Architektur abzugrenzen. 2007 gewann Zaha Hadid die Ausschreibung für das Kulturzentrum Heydar Aliyev in Baku.

Für dieses hochsymbolische Werk wendete die Architektin die freie Geometrie an. Es sollte eines ihrer grossartigsten Bauwerke werden. Die Linien fliessen wie leuchtende Lava vom Gipfel eines Vulkans und symbolisieren Bewegung – ein Gegensatz zur Rigidität der Vergangenheit. Eine kurvige weisse Struktur, die sich vom Hügel abhebt, eine Architektur, die je nach Blickwinkel ihr Aussehen verändert.

Es verkörpert das architektonische Erbe einer ideellen Vision von einer offenen, vielfältigen und demokratischen Kultur. Indem es architektonische Grenzen überschreitet prägt das Gebäude die Umgebung und wird zum eigentlichen Kunstwerk. Es wirkt leicht und robust zugleich.

Dank dem Kontinuum von Innen und Aussen entstehen Leichtigkeit und Fluss, eine einzige Fläche, wie eine reversible Jacke, die nicht sichtbare Struktur wird von der architektonischen Hülle absorbiert. Die weissen Böden münden in die weissen Wände, in die weissen Decken, wodurch ein makelloser, irrealer Raum entsteht. Der Ort wurde schnell zum Symbol für die Wiedergeburt und die Emanzipation des Landes.

Technologie und Innovation

Als Pionierin in der Anwendung der Informatik stellte Zaha Hadid stets Technologie und Innovation ins Zentrum ihrer Arbeit. Ihre Visionen manifestierten sich im Einsatz neuer Materialien, Technologien und innovativen Bautechniken. Die tollkühnen Projekte führten zu neuen Entwicklungen in der Architektur und in verwandten Bereichen, das Unmögliche wurde möglich.

Die irakische Architektin hat die Baukunst des 21. Jahrhunderts neu definiert, ihr Repertoire fasziniert und inspiriert die kollektive Fantasie. Sie lehnte die lineare Ordnung der modernen Architektur ab, identifizierte sich mit dem Bruch mit Geschichte, Gesellschaft und Umfeld.

Zaha Hadid ist eine der wichtigsten Figuren des architektonischen Dekonstruktivismus. Mit den Windungen, Auflösungen und gebrochenen Strukturen störte sie tradierte Sichtweisen und Wahrnehmungen, war an der Kreation neuer räumlicher Konfigurationen massgeblich beteiligt.

Ihre Kreationen werden von ihren Gegnern zwar als rein formale Stilübungen kritisiert. Fest steht jedoch, dass jedes ihrer Projekte Ausdruck ihres unerschütterlichen Glaubens an die Zukunft war. Und diese wird auch das letzte Wort haben.