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Wohin steuert das multilaterale Handelssystem?

Der Freihandel scheint in diesen Tagen kaum Anhänger zu haben. Obwohl sich die tatsächlichen Handelsvolumen inzwischen von der Rezession und dem Fall der Rohstoffpreise nach der Krise erholen, ist die Globalisierung zunehmend umstritten. Exemplarisch zeigt sich dies an der Wahl von US-Präsident Donald Trump auf der Basis von Versprechen, internationale Verträge platzen zu lassen und harte Saiten gegenüber den Handelspartnern aufzuziehen. Was bedeutet dies für die Zukunft des regelbasierten Handelssystems?

Vor rund sechzig Jahren, als das gegenwärtige regelbasierte globale Handelssystem entwickelt wurde, waren die USA die weltweit einzige wirtschaftliche «Supermacht». Sie wiesen in den hochentwickelten Fertigungsbranchen jener Zeit eine eindeutige Dominanz auf. Machtvoll genug, um anderen Regeln aufzuerlegen, und dominant genug, um den grössten Anteil der Vorteile für sich zu beanspruchen, konnten sie die Rolle eines «wohlmeinenden Hegemonen» spielen, und das taten sie auch.

Als Japan und Europa sich vom Zweiten Weltkrieg erholten – wobei Letzteres zusätzlich von seiner wirtschaftlichen Integration profitierte –, begann Amerikas Vorsprung zu schwinden, und in den Siebziger- und Achtzigerjahren teilten die USA die Macht über die weltweite Handelsagenda mit Europa. Trotzdem verfolgten beide, da sie so viele gemeinsame Interessen teilten, im Allgemeinen einen kooperativen Ansatz.

Schaffung der WTO war ein Fortschritt

Erst als die Importe begannen, eine wachsende Anzahl von Branchen in den USA zu überfordern, was das Auftreten hoher und anhaltender Aussendefizite anheizte, wurde die Handelspolitik des Landes defensiver; das rief Spannungen mit vielen seiner Partner hervor. Doch selbst dann waren sich die führenden US-Politiker des Werts des liberalen multilateralen Handelssystems bewusst und unterstützten die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), als Nachfolgeorganisation des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt), im Jahr 1995.

Die Schaffung der WTO war ein wichtiger Fortschritt, denn diese befasste sich nicht nur mit Zolltarifen, sondern auch mit anderen Handelsschranken, darunter indirekten Barrieren, die sich aus nationalen Bestimmungen ergaben. Angesichts der Komplexität der Bewertung, wie nationale Regelungen den Handel beeinträchtigen könnten – besonders im Vergleich zur Beurteilung, ob ein Zolltarif korrekt angewandt wurde –, brauchte die WTO wirksame Mechanismen zur Beilegung von Streitigkeiten, bei denen sich die Mitglieder einer verbindlichen Schlichtung unterwarfen. Das System funktionierte, weil seine wichtigen Mitglieder die Legitimität unabhängiger WTO-Panels anerkannten, auch wenn diese manchmal politisch unbequeme Urteile fällten.

Doch diese Anerkennung steht nun zunehmend in Zweifel. Man überlege, was für eine Art Volkswirtschaft ein regelbasiertes System unterstützen würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten die USA ein derartiges System aufgrund ihrer unangefochtenen wirtschaftlichen Überlegenheit. Ein offenes regelgestütztes System wäre auch für eine Welt attraktiv, die ausschliesslich aus kleinen Ländern besteht, von denen keines hoffen kann, davon zu profitieren, dass es sich auf seine relative wirtschaftliche Macht stützt.

Es fehlt an Kooperation

Die Sache wird komplizierter, wenn die Weltwirtschaft eine kleine Anzahl Volkswirtschaften ähnlicher Grösse umfasst, die grösser sind als die kleinen Volkswirtschaften aus dem vorherigen Beispiel, aber nicht gross genug, um das System allein zu dominieren. Dies ist das Szenario, das der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom Paul Krugman in einem Aufsatz zum Bilateralismus aus dem Jahr 1989 erörterte. Krugman schrieb, dass eine Welt, die aus drei grossen Handelsblöcken bestehe, die für den Handel schlechteste Konstellation darstelle, da ein Mangel an ausdrücklicher Kooperation zwischen allen dreien zu zunehmenden Handelsschranken führen würde.

Unglücklicherweise ist das genau die Situation, in der sich die Weltwirtschaft heute befindet. Es gibt drei dominante Volkswirtschaften oder Handelsblöcke – China, die Europäische Union und die USA – mit sehr ähnlichen Handelsvolumen (Exporte plus Importe) von jeweils rund 4 Bio. $. (Japan, das vor fünfundzwanzig Jahren ein starker Wettbewerber war, hat heute ein viel geringeres Handelsvolumen.) Gemeinsam entfallen auf die G-3-Volkswirtschaften 40% des Welthandels und 45% des weltweiten BIP.

Angesichts der auf diese Weise verteilten Wirtschaftsmacht ist eine ausdrückliche Kooperation aller drei Akteure äusserst wichtig. Doch es gibt zwingende Gründe, warum diese in Bezug auf eine derartige Kooperation zurückhaltend sein könnten.

Handelskrieg unwahrscheinlich

Selbst wenn Trump nicht US-Präsident wäre, würde das derzeitige globale Handelssystem die USA, deren Handelspolitik sich lange Zeit auf Industriegüter konzentrierte, vor Probleme stellen. (Der Handel mit Rohstoffen war schon immer relativ frei, und der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen gilt gewöhnlich als Sonderfall und unterliegt daher keinen Regeln wie dem «Meistbegünstigungsgrundsatz», der auf Fertigungsartikel Anwendung findet.)

Weil die USA heute in Bezug auf ihre Energieversorgung autark sind, müssen sie weniger Fertigungsgüter exportieren als Industrieländer, die nicht über heimische Energievorkommen verfügen. Die jährlichen US-Exporte von Industriewaren belaufen sich daher heute nur noch auf rund 1 Bio. $ jährlich – deutlich weniger als im Fall der EU bzw. Chinas, die jeweils fast doppelt so viele Fertigungswaren exportieren, obwohl ihre Volkswirtschaften etwas kleiner sind.

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass Trump einen ausgewachsenen Handelskrieg beginnt, denn jeder US-Zoll würde den Interessen der grössten Konzerne des Landes schaden, die enorme Summen in Produktionsstätten im Ausland investiert haben. Doch andererseits wird kaum ein Unternehmen bereit sein, viel von seinem politischen Kapital zu verbrauchen, um das regelgestützte System zu verteidigen, weil es die Verluste tragen müsste, während seine Mitbewerber die Gewinne teilen würden. Dasselbe gilt für die G-3-Handelsblöcke: Wenn die EU politisches Kapital aufwendet, um die USA abzuhalten, die WTO-Mechanismen zu untergraben, wird davon China (und die übrige Welt) am meisten profitieren.

China zögert mit Grund

Diese Dynamik erklärt zu einem guten Stück, warum die chinesische Führung, obwohl sie ihre Unterstützung für das multilaterale regelbasierte Handelssystem erklärt hat, keine konkreten Massnahmen ergriffen hat, um dieses zu stärken. Ihr Zögern wird vermutlich durch die Annahme verstärkt, dass ihr Land noch innerhalb der aktuellen Generation die Weltwirtschaft dominieren wird; an diesem Punkt möchte es dann möglicherweise nicht mehr an anderer Leute Regeln gebunden sein.

Dass die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) kürzlich in allen Bereichen der Wirtschaft zusätzliche Macht erhalten hat, macht die Sache nicht besser: Alle grossen Unternehmen müssen inzwischen einen KPCh-Vertreter in ihrem Verwaltungsrat akzeptieren. Es ist schwer vorstellbar, wie eine dominante Wirtschaftsmacht, die von einer einzigen Partei beherrscht wird – besonders einer mit derart umfassender Kontrolle über die Wirtschaft –, das Primat internationaler Regeln und Verfahren gegenüber nationalen Gesichtspunkten akzeptieren würde.

Die Schlussfolgerung ist klar. Die Welt sollte sich auf die Erosion des in der WTO angelegten regelbasierten Handelssystems vorbereiten.

Copyright: Project Syndicate.