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«Wir sind alle etwas Warmduscher geworden»

«Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns die Notenbank an der Hand nimmt und sagt, wo es lang geht.»

Herr Schenk, seit den kräftigen Kursgewinnen Anfang Jahr wechseln sich Skeptiker und Optimisten an den Börsen ab. Welchen Typus verkörpern Sie? - Ich würde mich aktuell als skeptischen Optimisten bezeichnen. Optimist, weil die Notenbanken eine Kehrtwende vollzogen haben, Zinssteigerungen dieses Jahr wegfallen und so die konjunkturelle Abkühlung gestoppt werden soll. Skeptiker, weil die Verlangsamung der Wirtschaft Tatsache ist und sich erst weisen muss, ob sie wieder an Fahrt gewinnt. Diese Unschlüssigkeit spiegelt sich auch an den Märkten. Wachsamkeit ist deshalb wichtig.

Worauf ist besonders zu achten? - Das Problem ist, dass zurzeit besonders in Europa eine Reihe von Sonderfaktoren – Brexit, Gilets Jaunes, Dieselskandal – die Sicht trüben. Global ist es der Handelskonflikt, der je nach Nachrichtenlage Angst oder Hoffnung schürt. Diese Faktoren erzeugen mehr Lärm, als dass sie fundamental von Bedeutung sind. Sowohl für den Brexit als auch für den Handelsstreit wird sich eine Lösung finden lassen. Ganz allgemein hat niemand Interesse an einem Chaos, sprich einem Absturz der Wirtschaft oder einer neuen Finanzkrise.

Das heisst? - Entscheidend für die Börse sind allein die Unternehmensgewinne und die Konjunktur. Die Notenbanken haben kehrtgemacht, Regierungen ergreifen fiskalische Impulse, allen voran die chinesische. Chinas Wirtschaft ist zentral für die globale Konjunktur. Und die Unternehmensgewinne wachsen weiterhin, wenn auch nicht mehr so schnell wie bisher. Das sind die Elemente, auf die es ankommt.

Fassen wir sie zusammen: Welche Zukunft verspricht das für die Märkte? - Unsere Einschätzung ist: konjunkturelle Abkühlung ja, Rezession nein. Eher erwarten wir, dass sich die Wirtschaft ab dem zweiten Quartal wieder belebt. Kursniveau und ökonomische Zukunft stehen, so weit absehbar, ziemlich im Einklang. Weder stehen ein Crash noch eine frappante Kurssteigerung bevor. Falls es doch nochmals zu einem Kursaufschwung wie Anfang Jahr kommen sollte, hätten wir definitiv den überkauften Bereich erreicht. Denn so gut sieht die Welt auch wieder nicht aus.

Aktien sind also weder zu teuer noch zu billig, selbst wenn viele Märkte auf oder nahe Allzeithöchst notieren? - Ja. Der flotte Jahresstart darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur die Verluste aus dem letzten Jahr wettgemacht worden sind, und das nicht mal überall. Global ist die Aktienbewertung vernünftig. In den Schwellenmärkten liegt sie unter, in der Schweiz und in den USA etwas über dem fairen Wert. Eine leicht höhere Bewertung für die Schweiz und für die USA ist gerechtfertigt, denn bei beiden handelt es sich um eher defensive Märkte.

Wenn sie eine wieder lebhaftere Konjunktur ab diesem Quartal erwarten, wären dann nicht zyklische Aktien gefragt? - Im Grundsatz ja, aber so weit sind wir noch nicht. Zurzeit bleiben wir lieber bei einer breiten Diversifikation und legen den Schwerpunkt auf defensive Qualitätstitel. Defensiv heisst, ich halte an Aktien fest. Es ist vergleichbar mit einer Party, die schon weit fortgeschritten ist. Man weiss, dass die Stimmung den Höhepunkt überschritten hat, aber man bleibt dennoch und nimmt noch ein Glas. Wenn das, was die Notenbanken und verschiedene Regierungen mit ihrer expansiven Fiskalpolitik aufgegleist haben, Wirkung zeigt, kann man sich immer noch stärker zyklisch ausrichten.

Sie scheinen den Zentralbanken weniger zu trauen als der Markt. - Ich halte es einfach für verfrüht, schon jetzt die Ernte der geldpolitischen Wende einzufahren. Warten wir noch eine Weile.

Wie sollen sich Anleger positionieren? - Mit Schweizer Aktien macht der Investor nichts falsch. Er hält die Nestlé, Novartis und Roche dieser Welt, ist aber auch an kleineren Unternehmen beteiligt, die hervorragende, hochmargige Nischenprodukte herstellen. Nicht umsonst gab der Schweizer Markt im vergangenen Jahr weniger stark nach als andere Börsen.

Was gefällt der ZKB am US-Markt? - Auch der US-Aktienmarkt bietet einen guten Mix. Er umfasst zudem Sektoren, die es in der Schweiz nicht oder kaum gibt. Die FANG beispielsweise – die Onlinegrössen Facebook, Amazon, Netflix und Google – werden ihre Dominanz im Zug der fortschreitenden Digitalisierung weiter festigen. Auch im Energiesektor sind die USA prominent vertreten. Das Land besitzt zudem einen starken Binnenmarkt. Selbst wenn der Handelskonflikt eskalieren sollte, sind die USA besser versorgt als alle anderen.

Und die Schwellenländer? - In Schwellenländern sind wir schon länger übergewichtet, der expansivere Kurs der Notenbanken verleiht Rückenwind. Die Bewertung ist attraktiv, der Zinsanstieg hinausgeschoben und der Dollar verliert an Stärke. Das kommt den Emerging Markets stark entgegen. Über alles gesehen sind wir in Aktien neutral positioniert, suchen aber innerhalb des Segments laufend Opportunitäten. Anders kommt kein Ertrag zustande. Es ist wie beim Rasenmähen nach einer längeren Trockenperiode. Das Gras wird nur dort gemäht, wo es am höchsten steht.

Mit welchem Risiko, auch für defensive Titel? Die US-Zinskurve ist invers, die kurzen Sätze übersteigen die langen. In der Regel bedeutet das Rezessionsgefahr? - Bis im Januar kannten die Zinsen nur eine Richtung, nach oben. Dann kam die geldpolitische Wende, und viele Anleger, die erkannten, dass die Rendite sinken wird, deckten sich mit Obligationen ein. Das trieb die Preise in die Höhe und die langen Sätze nach unten. Ich sage nicht, wir müssen die inverse Zinskurve missachten, deshalb: skeptischer Optimist. Aber für mich ist es eher eine technische statt eine fundamentale Reaktion und sollte nicht überinterpretiert werden.

Könnte die US-Notenbank den Leitzins sogar wieder senken? - Das halte ich für unwahrscheinlich. Fed-Chef Jerome Powell sagte explizit, er schaue auf die Daten. Sind sie gut, steigen die Zinsen, sind sie schlecht, fallen sie. Doch der Markt preist bereits eine Zinssenkung ein, was ich nicht verstehe. Ja, die USA verlieren an Wachstum, doch von Rezession kann keine Rede sein. Eine Zinssenkung wäre absolut sinnlos. So wie man am Markt vorher zu ängstlich war, ist man jetzt fast wieder übereuphorisch. Das Fed macht seine Politik datenpfadabhängig, was ich für vernünftig halte, auch wenn damit ein wichtiges Element verloren geht, nämlich die Forward Guidance.

Erleben wir ein Zurück zur Stop-and-go-Politik, mit mehr Ungewissheit und Volatilität, was die Zentralbanken mit ihrem Richtungshinweis doch brechen wollten? - Ich glaube tatsächlich, dass mit der monetären Kehrtwende im Januar die Forward Guidance beendet ist, zumindest für die nächste Zeit. Allerdings war während der Stop-and-go-Politik unter Fed-Chef Volker in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts die Aktienvolatilität nicht höher als heute. Man musste sich viel mehr damit beschäftigen, was läuft im Umfeld, wie verhalten sich die Währungshüter. Eine geldpolitische Veränderung überraschte nicht mehr als heute, weil die Marktteilnehmer auf vieles gefasst waren. Schauen wir noch wöchentlich die Veränderung der Geldmenge an, oder die Handelsstatistik? Nein, weil wir erwarten, dass die Notenbank die Analyse macht und uns sagt, was passiert.

Also ist wieder mehr Eigenverantwortung verlangt? - Ja. Wir sind alle ein bisschen Warmduscher geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns die Notenbank an der Hand nimmt und sagt, wo es lang geht. Jetzt müssen die Marktteilnehmer wieder vermehrt selbst steuern und das Fahrzeug, sprich das Portfolio, stabilisieren.

Woran soll man sich orientieren? Ist auf die Notenbanken kein Verlass mehr? - Natürlich ist auf sie weiterhin Verlass. Immerhin haben sie es fertiggebracht, die Kapitalmärkte in den letzten Monaten zu beruhigen. Aber sie machen es einem nicht mehr so leicht. Fed-Chef Powell sagte klar, er handle pfadabhängig, also müssen wir den Pfad beobachten.

Und der führt wohin? - Der gegenwärtige wirtschaftliche Aufschwung ist nicht nur bald der längste der Geschichte, sondern auch der schwächste. Und weil es kein Steigerungslauf war, ist auch kein fulminanter Rückschlag zu erwarten. Konsum und Löhne steigen, das Gewinnwachstum ist weiterhin positiv, bei gesunkenen Erwartungen. Die Digitalisierung führt dazu, dass für die gleiche Wertschöpfung weniger Kapital gebraucht wird. Das hält die Inflation auf der Güterseite niedrig, sodass die Notenbanken ihre expansive Geldpolitik fortsetzen können. Warten wir noch ein paar Monate, und meine Skepsis lässt nach, und meine Grundhaltung als Daueroptimist kommt wieder zum Tragen.