Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Wir haben ein Wachstumsproblem»

Ob Shire ein Auge auf Cosmo geworfen hat, will Flemming Ornskov nicht kommentieren. Ohne Zukäufe sei die Trendwende aber nicht zu schaffen.

Der irische Medikamentenhersteller Shire war in den vergangenen acht Jahren mit einem Durchschnittswachstum von 17% pro Jahr für ein Pharmaunternehmen erstaunlich dynamisch unterwegs. Jüngst hat der in erster Linie für seine Präparate gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekannte Konzern aber merklich an Tempo eingebüsst. Der seit Ende April amtierende neue CEO Flemming Ornskov, der zuvor die Marketingabteilung von Bayer geleitet und auch mehrere Jahre für Novartis gearbeitet hat, will Shire rasch wieder zweistellig wachsen sehen.

Im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» betont Ornskov, aktiv auf der Suche nach Zukäufen zu sein, und beziffert die dafür zur Verfügung stehenden Mittel auf mehrere Milliarden Dollar. Er kündigt zudem den Ausbau des Standorts Eysins bei Nyon an. Shire hat dort 2010 das internationale Geschäft angesiedelt. Nun soll Eysins auch Hauptstandort für den Bereich seltene Krankheiten werden, das zweite grosse Geschäftsfeld von Shire.

Herr Ornskov, das Unternehmen Shire war lange Zeit für seine Wachstumsstory bekannt. Seit zwei Jahren bewegen sich die Aktien aber trotz Hausse im Gesundheitssektor seitwärts. Wo liegt das Problem? - Shire hat während zehn Jahren exzellente Arbeit verrichtet. Für die Aktionäre schaute ein Gesamtertrag von 267% heraus. Während der vergangenen eineinhalb bis zwei Jahre haben die Schwierigkeiten aber eindeutig zugenommen. Einerseits macht uns das rückläufige Wachstum im Markt mit ADHS-Medikamenten zu schaffen. Es gibt dort zunehmend Generika. Andererseits sind wir nicht mehr quasi der einzige Anbieter von Therapien gegen eine Reihe seltener Krankheiten. Unser Hauptkonkurrent Genzyme hat seine früheren Probleme in der Produktion überwunden und ist zurück im Markt.

Sind die Probleme nur externer Natur, oder hat Shire nicht auch selbst versagt? - Wir sind vor allem in der Innovation gefordert. Hier ist der Fokus etwas verloren gegangen. Rückblickend lässt sich sagen, dass es das Unternehmen während der guten Zeiten in der Hand gehabt hätte, mehr in die Pipeline zu investieren. Doch das ist nicht passiert. Hinzu kommt, dass wir mit einigen Deals Pech hatten. Das prominenteste Beispiel dafür ist der Kauf von Advanced BioHealing, die Shire zahlreiche Probleme eingetragen hat.

Mit dem von BioHealing erworbenen ­Produkt Dermagraft zur Behandlung ­diabetischer Fussgeschwüre erlitt Shire im ersten Quartal einen Umsatzeinbruch von 62%. Wäre es nicht das Gescheiteste, diese Einheit wieder abzustossen? - Shire ist ein Unternehmen, das nicht einfach aufgibt. Wir haben seit der Gründung 1986 immer gekämpft. Trotz zahlreicher skeptischer Stimmen sind wir heute ein Unternehmen mit gegen 20 Mrd. $ Marktkapitalisierung. Das schaffen nur wenige.

Dennoch sind die Probleme mit ­Dermagraft nicht gelöst. - Ich hoffe, dass wir die von BioHealing geerbten Schwierigkeiten in der Compliance und im Wettbewerb zumindest stabilisiert haben und wir in einem nächsten Schritt zu einem ordentlichen Wachstum übergehen können. Wir verfügen über eine grössere Verkaufsmannschaft, deren Kapazität sich durch zugekaufte Produkte noch besser auslasten liesse.

Sie mussten Anfang Mai in Ihrer ersten Amtshandlung gleich enttäuschende Quartalszahlen präsentieren und die Wachstumsprognose des Konzerns für 2013 markant senken. Hatten Sie sich Ihren Antritt anders vorgestellt? - Im Voraus weiss man ja nie wirklich ­Bescheid, doch wurde mir schnell klar, dass wir ein Wachstumsproblem haben. Drei eigenständige Produktdivisionen zu führen, das liegt nicht drin. Wir sind dafür zu klein. Ich habe sofort ­gehandelt. Jetzt ist alles wieder unter einem Dach.

Sie haben zwei Managementausschüsse einberufen, die Sie selbst leiten. Was bezwecken Sie damit? - Wir müssen nicht nur härter im Geschäft mit unseren bestehenden Produkten kämpfen. Wir brauchen auch einen stärkeren Fokus auf die Pipeline.

Shire wird nach Ihrer Erwartung den ­Umsatz im laufenden Jahr nur noch um einen einstelligen Prozentsatz steigern. Müssen sich die Aktionäre auf längere Zeit an tiefe Wachstumsraten gewöhnen? - Nein, wir brauchen nicht jahrelang, um wieder auf Touren zu kommen. Die Reorganisation wird schnell Früchte tragen. Unser Ziel ist klar. Wir wollen zu zweistelligem Wachstum zurückkehren.

Bis wann? - In ein bis zwei Jahren. Sonst wäre ich enttäuscht.

Im ersten Quartal schnitt auch ein Stammprodukt von Shire, Replagal gegen das Fabry-Syndrom, schwach ab. Hat Shire die Rückkehr der Sanofi-Tochter Genzyme in diesen Markt unterschätzt? - Wir waren Anfang Jahr wohl zu optimistisch eingestellt. Genzyme hat Markt­anteile zurückerobert. Dennoch konnten wir 70 bis 80% der Patienten halten, die wegen der Lieferprobleme von Genzyme zu uns gewechselt hatten. Bei den neu diagnostizierten Patienten liefern wir uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Replagal zählt zur Kategorie der gegen ­seltene Krankheiten eingesetzten Orphan Drugs. Befürchten Sie, dass es in diesem Markt eng wird, weil sich vermehrt Pharmamultis zu positionieren versuchen? - Viele Pharmakonzerne, die einen Orphan-Drug-Bereich führen, kämpfen. Sie müssen erst noch herausfinden, ob dieses ­Geschäft wirklich zu ihnen passt.

Als Vorteil des Geschäfts mit Orphan Drugs wird oft der fehlende Preisdruck genannt. Erwarten Sie, dass die Preise dank vergleichsweise sehr kleinen Patientengruppen auf hohem Niveau verharren? - Preisdruck kommt auch hier. Wir sehen das bereits – besonders in Europa, wo zunehmend Diskussionen über Erstattungstarife geführt werden. Für mich sind Orphan Drugs vor allem deswegen ein Riesenwachstumsmarkt, weil es noch immer rund 7000 seltene Krankheiten ohne medikamentöse Behandlung gibt.

Haben Sie sich das Ziel gesetzt, Genzyme als Marktführer in der Behandlung seltener Krankheiten abzulösen? - Das würde ich gerne erreichen, auch wenn es hart wird. Wir sind hier forschungs­mässig sehr gut aufgestellt. Wir werden uns auch durch Zukäufe verstärken.

Wie viele Mittel stehen Ihnen generell für Akquisitionen zur Verfügung? - Wir können problemlos mehrere Milliarden ausgeben.

Ohne Kapitalerhöhung? - Ja.

Bei Magen-Darm-Krankheiten setzt Shire für die Produktion und die Verabreichungs­technologie des Colitis-ulcerosa-Präparats Lialda auf das Know-how von Cosmo. Steht Cosmo auf Ihrer Einkaufsliste? - Ich kommentiere keine Einzelfälle. Doch Lialda entwickelt sich am Markt ebenso wie sein Schwesterpräparat Pentasa gut. Wir schauen uns dieses Therapiegebiet sehr genau an. Nicht zuletzt weil sich hier nach Jahren geringer Aktivität Innovationen häufen. Wir suchen keine Me-too-Produkte, sondern echte Neuheiten.

Cosmo hat mit Uceris ein neues Colitis-Medikament in den USA im Verkauf. Wäre das nicht etwas für Shire? - Wie gesagt, kein Kommentar.

Shire wird selbst immer wieder als ­Übernahmekandidat gehandelt. Denken Sie darüber nach, sich wie Genzyme an ein Schwergewicht aus der Pharma­branche anzulehnen? - Ich verstehe nicht, wo für Genzyme der Vorteil liegt. Das Geschäftsmodell für Therapien gegen seltene Krankheiten unterscheidet sich fundamental vom typischen, durch riesige Verkaufsmannschaften geprägten Pharmageschäft. Wir sprechen viel kleinere Ärzte- und Patientengruppen an. Weil alles sehr spezialisiert ist, haben wir kein Problem, unsere Forschung zu ­finanzieren oder Verkaufsteams in den einzelnen Ländern zu etablieren.

Das umsatzstärkste Shire-Produkt, Vyvanse gegen ADHS, brachte 2012 erstmals über 1 Mrd. $ ein. Teilen Sie die Erwartung Ihres Vorgängers, dass sich der Umsatz von diesem Niveau noch verdoppeln kann? - Die Möglichkeit besteht. Näheres dazu wird sich in den nächsten neun Monaten herauskristallisieren, wenn wir die Ergebnisse aus zwei Phase-III-Studien für die erweiterte Anwendung von Vyvanse gegen Esssucht und schwere Depressionen erhalten. Allein der Markt des Binge Eating verspricht zusätzliche Einnahmen von mehreren hundert Millionen Dollar.

Die Abgabe von Medikamenten gegen ADHS steht in Europa und in den USA nicht nur wegen der rapiden Zunahme von Diagnosen unter Beschuss, sondern auch, weil die Substanzen oft unter der Hand verkauft werden. Droht Shire hier als Marktführer ein Reputationsrisiko? - Wir haben kein Interesse daran, dass unsere Produkte in falsche Hände geraten. Das bringt uns bloss in Misskredit. Shire gibt jedes Jahr grosse Summen für Aufklärungskampagnen aus, damit Diagnosen korrekt gestellt werden und Schüler oder Studenten nicht der Versuchung erliegen, sich vor Prüfungen mit Medikamenten in Form zu bringen. Ich verbringe viel Zeit mit Psychiatern sowie von ADHS betroffenen Kindern und ihren Eltern. Dabei zeigt sich, dass es nicht in allen, aber doch in vielen Fällen einen echten Bedarf an einer medikamentösen Behandlung gibt. Insofern ärgert mich die Schwarzweissoptik vieler Medien zum Thema ADHS.

Shire siedelte im Herbst 2010 die Betreuung des internationalen Geschäfts im waadtländischen Eysins an. Planen Sie, diesen Standort auszubauen. - Die Schweiz ist sehr wichtig für uns. Ich habe beschlossen, in Eysins nicht nur die internationale Abteilung, sondern auch unsere Aktivitäten für die Behandlung seltener Krankheiten zu konzentrieren.

Die Genferseeregion wurde schwer geprüft durch die Schliessung der Genfer Zentrale von Merck Serono. Werden Sie in Eysins auch Wissenschaftler beschäftigen? - Wir haben schon Forschungsleute dort und prüfen gegenwärtig, ob wir zusätzliche Mitarbeiter einsetzen sollen. Bisher entfällt der Grossteil der Forschung von Shire auf Boston in den USA.

Aktien-Alert

Von ABB bis Züblin – erhalten Sie sofort eine E‑Mail, sobald ein neuer Artikel zum Unternehmen Ihrer Wahl erscheint.

Um diesen Service zu nutzen, müssen Sie sich einloggen oder registrieren.