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Wie die Briten ihre Meinung zum Brexit ändern könnten

Wird 2018 das Jahr sein, in dem das Vereinigte Königreich seine Meinung über den Austritt aus der Europäischen Union ändert? Die vorherrschende Meinung besagt, dass ein Stopp des Brexit unmöglich ist. Aber was sagte sie über Donald Trump? Oder Emmanuel Macron? Oder das Brexit-Referendum? In revolutionären Zeiten können Ereignisse als unmöglich bis unvermeidlich gelten, ohne dadurch unwahrscheinlicher zu werden. Brexit war ein solches Ereignis, und die Umkehrung davon könnte ein anderes sein.

Man frage Nigel Farage, den früheren Führer der UK Independence Party, der plötzlich sagte, dass das Brexit-Referendum vom Juni 2016 aufgehoben werden könnte. Die Remain-Seite ist aktiv, warnte Farage seine Leavers-Freude jüngst: «Sie haben eine Mehrheit im Parlament, und wenn wir uns nicht organisieren, könnten wir den historischen Sieg, der Brexit war, verlieren.»

Die Voten für Brexit und Trump werden heute oft als die unausweichliche Folge tiefgreifender sozioökonomischer Faktoren wie Ungleichheit oder Globalisierung bezeichnet. In gewisser Weise ist diese Auffassung richtig. Politische Umwälzungen irgendwelcher Art waren nach der Wirtschaftskrise von 2008 zu erwarten.

Nur geringe Verhaltensänderung erforderlich

Doch die spezifischen Umwälzungen, die sich ereigneten, waren nicht unvermeidlich. Brexit war, wie Trump, ein zufälliges Ergebnis von kleinen Veränderungen im Wählerverhalten. Hätten nur 1,8% der Briten anders abgestimmt, wäre Brexit jetzt ein vergessenes Scherzwort. Wäre Hillary Clintons Volksmehr von 3 Mio. Stimmen unter den Staaten etwas anders verteilt gewesen, dann wäre der Ausdruck «Präsident Trump» heute genauso lächerlich wie im Januar 2016.

Um den Brexit zu stoppen, müssen vier ähnlich bescheidene Verhaltensänderungen stattfinden. Die öffentliche Meinung muss sich gegenüber der Brexit-Entscheidung, die nun im Nachhinein bereits als «falsch» angesehen wird, etwa 4% verschieben. Politiker, die den Brexit privat ablehnen, müssen sich öffentlich äussern. Vernünftiger Widerstand gegen die Regierungspolitik muss wieder als Kennzeichen der Demokratie anerkannt werden, nicht als Verrat; das Gefühl, dass der Brexit unvermeidlich ist, muss ausgeräumt werden.

Diese Anforderungen sind voneinander abhängig. Politiker werden sich nur dann äussern, wenn sie eine Verschiebung der öffentlichen Meinung spüren, doch die öffentliche Meinung wird sich nur mit einer glaubwürdigen politischen Führung verändern. Politiker werden eingeschüchtert, wenn alle Opposition als antidemokratisch gebrandmarkt wird. Und wenn der Brexit unvermeidlich erscheint, warum sollten die Wähler wieder nachdenken?

Protestwähler sind enttäuscht

Das Gefühl der Unvermeidlichkeit, das Umfragen und Fokusgruppen vermitteln, ist das wichtigste Hindernis für eine Umkehr. Trumps «Basis» wird auch immer «ihren» Präsidenten unterstützen, egal, wie er sich verhält.

Doch die unerschütterlichen EU-Skeptiker hätten nie die Mehrheit erreicht ohne die etwa 20% der Wähler, die sich wenig für die EU interessierten, doch das Referendum als Protestvotum nützten. Viele dieser Wähler sind nun enttäuscht darüber, dass der Brexit ablenkt von ihren tatsächlichen Anliegen wie Gesundheit, Ungleichheit, niedrige Löhne, Wohnungsbau. Aus genau diesem Grund wollen sie den unvermeidlich scheinenden Brexit vollziehen, um zur Tagesordnung überzugehen.

Angenommen, diese Wähler würden zu glauben beginnen, der Brexit, der weit davon entfernt ist, unvermeidlich zu sein, werde nie passieren. Sie würden fordern, dass die Politiker damit aufhören, auf Europa einzuprügeln, und damit anfangen, sich mit den wirklichen Sorgen der Menschen zu befassen.

Schlüsselfaktor Labour

Der Eindruck des Unvermeidlichen könnte durch jüngste interne Verschiebungen sowohl bei den regierenden Konservativen als auch bei der Labour-Opposition zerstreut werden.

Labour hat begonnen zu erkennen, dass der einzige Weg zurück zur Macht darin besteht, gegen den Brexit zu sein. Eine detaillierte Analyse der Wahlergebnisse von 2017 hat gezeigt, dass der unerwartete Zuwachs von Labour fast ausschliesslich von wohlhabenden jungen Wählern stammte, deren Motivation die Hoffnung war, den Brexit zu vereiteln. Ohne diese Anti-Brexit-Wähler hätte Premierministerin Theresa May den vorhergesagten Erdrutschsieg erreicht.

Wenn Labour-Chef Jeremy Corbyn jetzt in Tony Blairs Worten zum Helfershelfer des Brexit wird, indem er sich vor wirksamer Opposition dagegen scheut, werden sich diese neuen Wähler betrogen fühlen. Labour wird sich zwischen Marxisten und Zentristen aufspalten, und Labours Hoffnung, jemals eine Wahl zu gewinnen, wird sich zerschlagen. Würde Labour hingegen den Brexit bekämpfen, dann würde sich die öffentliche Meinung schnell verändern.

Konservative Rebellen brauchen Ermutigung

Widerstand gegen den Brexit würde so zum natürlichen Merkmal demokratischer Politik. Labour würde von den Verhandlungsfehlern der Regierung profitieren. Das Gefühl der Unausweichlichkeit des Brexit würde verschwinden.

Das wiederum würde den proeuropäischen Konservativen Mut machen. Tory-Abgeordnete werden wahrscheinlich nicht gegen ihre Parteiführung stimmen, wenn das Fehlen von Labour-Opposition gegen den Brexit es der Regierung ermöglicht, ohnehin zu gewinnen. Sollte jedoch konzertierter Widerstand durch Labour eine echte Chance eröffnen, den Brexit zu verhindern, so würden Tory-Abgeordnete, die das nationale Interesse über die Parteitreue stellen, für ihren Mut gelobt statt für Dummheit verspottet. Sie könnten sogar kalkulieren, dass es ihren Karrierechancen zuträglich wäre, wenn sich die Tories mit der EU versöhnten.

Diese Kette von Ereignissen scheint jetzt zu beginnen. Im Dezember verlor Premierministerin Theresa May ihre erste wichtige Brexit-Schlacht, als sich Labour-Abgeordnete mit zwölf Tory-Rebellen zusammenschlossen, um ein Gestz durchzubringen, das eine parlamentarische Abstimmung über jedwedes Abkommen vorsieht, das mit Brüsel vereinbart wird; das bedeutet, dass jeder Brexit-Plan, der entweder bei Hardliner-Nationalisten oder bei Pro-EU-Tories ernsthafte Opposition hervorruft, ein neues Referendum auslösen könnte. Nach diesem Durchbruch wird nun die erste ernsthafte parteiübergreifende Kampagne einsetzen, die ausdrücklich den Brexit stoppen will und nicht nur Schadensbegrenzung über einen milderen Scheidungsvertrag anstrebt.

Anspruchsvoll, aber nicht unmöglich

Um erfolgreich zu sein, will diese Kampagne die ernüchterten Remainers davon überzeugen, dass der Brexit nicht unvermeidlich ist. Sie wird den Protestwählern vor Augen führen müssen, dass der Brexit nicht die Antwort auf ihre Sorgen ist. Sie wird Labour-Politiker davon überzeugen müssen, dass Unterstützung des Brexit wahltechnischer Selbstmord ist. Sie wird Pro-EU-Tories zeigen müssen, dass eine Rebellion nicht aussichtslos sein muss. Schliesslich müssen EU-Spitzenpolitiker einhellig erklären, dass das Vereinigte Königreich das Recht hat, seine Meinung über den Austritt zu ändern. Diese Anforderungen sind anspruchsvoll, aber nicht unmöglich.

David Davis, der Pro-Brexit-Tory, der jetzt das britische Verhandlungsteam leitet, sagte einst: «Wenn eine Demokratie ihre Meinung nicht ändern kann, hört sie auf, eine Demokratie zu sein.» Das Vereinigte Königreich ist immer noch eine Demokratie, und es kann seine Haltung zum Austritt aus der EU immer noch ändern.

Copyright: Project Syndicate.

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