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Wie «Big Tech» zu regulieren ist

Bereits vor zwei Jahren schien mir klar, dass eine Kombination von Faktoren zu wachsenden Forderungen nach Regulierung der Technologieunternehmen – besonders der Technologiegiganten Amazon, Apple, Facebook und Google – führen würde. Wenn es so weit sei, so meine Argumentation damals, müsse die Regulierungspolitik einen vernünftigen Kompromiss finden, um einerseits die schädlichsten Auswirkungen der Technologie abzumildern und es andererseits den Technologieunternehmen zu ermöglichen, das Leben der Menschen weiter zu verbessern.

Nun ist dieser Tag da, und das Erreichen eines derartigen Kompromisses wird schwierig werden. Nachdem sie diese Unternehmen jahrelang mit wohlwollender Vernachlässigung behandelt haben, produzieren die demokratischen Regierungen derzeit eine schwindelerregende Palette von Politiken zu ihrer Regulierung. Die Gefahr dabei ist, dass diese hektische politische Betriebsamkeit zu einer Überkorrektur führt und mehr Schaden als Nutzen anrichtet, nicht zuletzt, indem sie unbeabsichtigt Innovation und Wettbewerb erstickt.

Es gibt mindestens vier separate regulierungspolitische Probleme, die es anzugehen gilt: den Schutz der Privatsphäre, die Marktmacht, Redefreiheit und Zensur (einschliesslich solcher von unangemessenen Inhalten) sowie nationale Sicherheit und Strafverfolgung. Die politischen Massnahmen in Bezug auf den Technologiesektor müssen daher sehr gezielt und sorgfältig gestaltet sein, um das Risiko kontraproduktiver Ergebnisse zu minimieren.

«Es muss etwas geschehen»

Alle vier Probleme kommen in den jüngsten peinlichen Enthüllungen über die Praktiken der Technologieunternehmen – von denen einige in Büchern von Brancheninsidern detailliert beschrieben wurden – in prominenter Weise zum Ausdruck. Was den Datenschutz angeht, hören beispielsweise Tausende von Amazon-Mitarbeitern dem zu, was Kunden zu ihren Echo-Lautsprechern sagen, ohne dass sich der Konzern um die vorherige Erlaubnis der Nutzer hierfür bemüht hätte. Obwohl Amazon erklärt, dass die Aufnahmen zur Verbesserung des digitalen Sprachassistenten Alexa beitrügen, betrachten die meisten Normalbürger dies als Orwell’sches Big-Brother-Verhalten.

Was die Marktmacht angeht, so hat die Europäische Union vor kurzem ihre dritte hohe Geldstrafe gegen Google in genauso vielen Jahren wegen dreier separater Missbräuche der Marktmacht verhängt. (Google hat Berufung eingelegt.) Was Content angeht, wurden die Massenmorde in Moscheen in Christchurch (Neuseeland) im vergangenen März live auf Facebook gestreamt, während es tägliche Kontroversen über die Löschung von Hassreden und die mögliche antikonservative Ausrichtung ihrer Definition gibt. In der Frage der nationalen Sicherheit enthält der Bericht von US-Sonderermittler Robert Mueller belastende Informationen über die Nutzung sozialer Medien durch russische Agenten schon seit 2014 mit dem Ziel, Zwietracht bei den amerikanischen Wahlen zu sähen.

Unter diesen Umständen kommt das Gezeter von Öffentlichkeit und Politik, dass «etwas geschehen müsse», nicht überraschend. Es besteht eindeutig Regulierungsbedarf, wie selbst einige Chefs von Technologieunternehmen eingestehen. Facebooks CEO Mark Zuckerberg hat die Regierungen kürzlich aufgefordert, eine «aktivere Rolle» in der Regulierung des Internets zu übernehmen, um klare Regeln für schädliche Inhalte, die Integrität von Wahlen, den Schutz der Privatsphäre und die Datenübertragbarkeit festzulegen. Vielen erschien das wie die Bitte eines Alkoholikers oder eines Drogenabhängigen, «mich vor mir selbst zu schützen».

Neue Ära wirtschaftlicher Konzentration

Die Regulierer waren schon lange vor Zuckerbergs Appell tätig geworden. Was den Datenschutz angeht, verpflichtet die im März 2018 in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU alle Unternehmen, die in der EU Geschäfte machen, zur Einhaltung. Dies gilt für die weltweiten Aktivitäten dieser Gesellschaften, nicht bloss diejenigen in der EU, wobei es egal ist, ob die Unternehmen selbst ihren Sitz in der EU haben oder nicht. Doch weil die hohen Fixkosten der Einhaltung der Verordnung kleine Gesellschaften stärker belasten als grosse, könnte die DSGVO die Grossunternehmen letztlich vor der Konkurrenz durch kleinere Wettbewerber schützen.

Zudem schaffen die Netzwerkeffekte, die die grossen Technologieunternehmen geniessen – und durch die zusätzliche Nutzer alle Nutzer wertvoller machen –, Eintrittsbarrieren und begrenzen den Wettbewerb. Zusätzlich zu den EU-Geldstrafen hat die US Federal Trade Commission ihre Kartellpolitik in dieser neuen Ära wirtschaftlicher Konzentration auf den Prüfstand gestellt. Einige Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei für 2020 haben eigene Vorschläge zur Beschränkung der Marktmacht der grossen Technologieunternehmen gemacht.

Doch auch Versuche zur Bekämpfung der Marktkonzentration können kontraproduktive Auswirkungen haben. Der radikalste, von der Demokratischen Kandidatin Elizabeth Warren stammende Vorschlag würde es den grossen Technologieunternehmen verbieten, Plattformen zu betreiben und zugleich eigene Produkte darauf anzubieten. Doch die Verbraucher profitieren derzeit von der Benutzerfreundlichkeit und möglicherweise niedrigeren Preisen, darunter von den durch die Werbegewinne dieser Plattformen ermöglichten «kostenlosen Diensten».

Risiko übermächtiger Behörden

Technologieplattformen in regulierte Versorgungsunternehmen zu verwandeln, ist ebenfalls problematisch. Ein aktueller Berichtsentwurf im Vereinigten Königreich hat die Einrichtung einer Regulierungsbehörde zur Durchsetzung von Verhaltenskodizes vorgeschlagen, die u.a. gleiche Wettbewerbsbedingungen für Konkurrenzprodukte auf digitalen Plattformen, offene Standards für Nutzerdaten und die stärkere Berücksichtigung künftiger Wettbewerbsbeeinträchtigungen bei Fusionsentscheidungen vorsehen. Obwohl dies vielversprechender ist als Warrens Vorschlag, birgt es die Gefahr, dass auf diese Weise für eine Vereinnahmung durch zu regulierende Gesellschaften anfällige Behörden zu viel Macht erhalten.

Schliesslich müssen sich die Technologieunternehmen mit den potenziellen Gefahren für die nationale Sicherheit auseinandersetzen, die sich aus der Nutzung ihrer Produkte ergeben. Die aktuelle Debatte über die 5G-Ambitionen des chinesischen Mobiltelefoniegiganten Huawei unterstreicht diese Notwendigkeit. Das Gleiche gilt für die Konfrontation zwischen Apple und dem FBI im Jahr 2016 über die Weigerung des Konzerns, das iPhone eines Terroristen freizuschalten, und das Beharren der Google-Beschäftigten darauf, dass das Unternehmen keine amerikanischen Rüstungs- und Geheimdienstaufträge annehmen dürfe.

Der Entwicklung vorgreifen

Derartige Fälle erfordern Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis zwischen den Technologieunternehmen und den Mitarbeitern der Strafverfolgungs- und der nationalen Sicherheitsbehörden. So sorgte sich beispielsweise in der FBI-Episode der CEO von Apple, Tim Cook, dass eine in iPhones integrierte «Backdoor» gestohlen oder gehackt werden könne, was potenziell viel mehr Schaden anrichten würde. Doch die Technologiekonzerne müssen begreifen, dass Massnahmen, die ihren Gewinn schmälern können, unter aussergewöhnlichen Umständen notwendig sein können, um Leben zu retten, wobei gegeben sein muss, dass die Massnahmen eng begrenzt sind und durch die Gerichte überwacht werden.

Mit zunehmendem technologischem Fortschritt werden sich die vier hier diskutierten Herausforderungen noch verschärfen. Dies schafft umso mehr Grund für die Technologieunternehmen und Regierungen, dieser Entwicklung vorzugreifen, bevor ein besonders unangenehmer Vorfall für noch mehr öffentliche Empörung und eine drastischere Regulierung sorgt, die den unbestreitbaren Nutzen der Technologie unnötig einschränkt.

Copyright: Project Syndicate.