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Welche Bilanzen neu zu lesen sind

Valora unterhält rund 2800 Leasingverträge für ihre Kioskverkaufsstellen.

Rechnungslegungsvorschriften lassen den Puls der Anleger meist nicht höher schlagen. Der seit Anfang Jahr gültige Standard IFRS 16 hat es aber in sich. Und könnte bei manch unvorbereitetem Investor für Nervosität sorgen. Denn auf einen Schlag werden einige kotierte Unternehmen einen teils massiv höheren Betriebsgewinn und eine grössere Schuldenlast ausweisen, ohne dass sich an ihrem Geschäftsverlauf etwas Grundlegendes geändert hätte. Historische Gewinnvergleiche und Vergleiche zwischen konkurrierenden Gesellschaften werden dadurch noch anspruchsvoller.

Dabei behandelt IFRS 16 eine vermeintliche Nebensache, nämlich die Verbuchung von Leasingverträgen. Leasing  ist für manche Unternehmen ein wichtiges Instrument im Finanzmanagement. «Ziel des Standards ist, dass alle Leasingverhältnisse in der Erfolgsrechnung auftauchen», sagt Jan Widmer, Fondsmanager bei der St. Galler Kantonalbank. Das ist etwas, was in der bisherigen Praxis nicht gewährleistet war. Es führte mitunter dazu, dass gewisse Leasingvereinbarungen ausserbilanziell aufgeführt wurden, was das Ausmass der Verbindlichkeiten verschleiern kann.

Unterschiedlich betroffen

Obschon der Standard seit Anfang Jahr für alle Konzerne gilt, wird er nicht alle gleichermassen tangieren. IFRS ist besonders  bei grossen, international ausgerichteten Konzernen ein verbreiteter Rechnungslegungsstandard. «Die neuen Bestimmungen haben den grössten Einfluss auf Unternehmen, die bedeutende Sachanlagen mieten statt kaufen», resümiert Anna Schweizer, IFRS-Expertin bei PwC.

Einen Anhaltspunkt, welche Branchen es hauptsächlich betrifft, gibt eine internationale Studie des Wirtschaftsprüfers aus dem Jahr 2016. Für die Schweiz erwartet die Expertin ein ähnliches Bild. Fondsmanager Widmer sieht in der Schweiz insbesondere die Logistik-, die Telecom- und die Retailbranche betroffen. Unter den kotierten Unternehmen vertreten mit Ceva Logistics, Kühne + Nagel und Panalpina sowie Sunrise, Swisscom, Dufry und Valora.

Anna Schweizer gibt derweil zu bedenken, dass nicht nur die Branchenzugehörigkeit relevant ist, «auch wie die Unternehmen kostenseitig geführt werden», sagt sie. So hat der Telecomkonzern Sunrise mit dem Verkauf der Mobilfunkmasten im Jahr 2017 die Kapitalintensität des Geschäfts reduziert. In Fällen wie diesen bemühen sich Unternehmen, möglichst wenig Betriebsmittel zu binden. Für sie ist das Leasen von Assets hilfreich, um die Bilanz schlank zu halten.

Gewinnschub aus dem Nichts

«Bei den von IFRS 16 stark betroffenen Unternehmen kann der Ebitda stark steigen, auf Stufe Nettogewinn wird es im langfristigen Durchschnitt indes kaum Auswirkungen geben», sagt Buchführungsexpertin Schweizer. Das bedeutet, dass besonders der mittlere Teil der Erfolgsrechnung neu gelesen werden muss. Kennzahlen wie der Betriebsgewinn vor Abschreibungen und Amortisationen (Ebitda) erfahren wie aus dem Nichts einen Schub. Auf den freien Cashflow ist der Einfluss indes gering, weshalb auch der Unternehmenswert konstant bleibt, betont Fondsmanager Widmer.

Werden aber wichtige Kennzahlen wie Ebitda oder Verschuldungsgrad stark verzerrt, können sie ihre Aussagekraft verlieren, gibt der Anlageexperte zu bedenken.  Das gilt beispielsweise auch für das Verhältnis von Unternehmenswert zu Ebitda. Ein (positiver) Nebeneffekt daraus könnte sein, dass sich die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer verstärkt von Gewinnvielfachen auf cashflowbasierte Kennzahlen verschiebt.

IFRS 16 wirkt sich je nach Unternehmen und Bilanzstruktur unterschiedlich aus. Doch im Grundsatz wird die Bilanz länger, der Betriebsgewinn – besonders der Ebitda – nimmt zu, und die Finanzkosten fallen niedriger aus. Verwenden alle denselben Standard, dürfte sich die Vergleichbarkeit verbessern. «Die Darstellung ist auch näher an der ökonomischen Realität», sagt PwC-Expertin Schweizer.

In der Praxis bemerkbar

In der laufenden Jahresabschlusssaison macht sich das neue Regime erstmals in der Bilanzierungspraxis bemerkbar. Ein Beispiel hat jüngst der Telecomkonzern Swisscom geliefert. Im Ausblick für 2019 stellt er unter anderem einen Ebitda von 4,3 Mrd. Fr. in Aussicht, 100 Mio. Fr. mehr als im Vorjahr. Durch die Neubewertung der Miet- und Leasingverhältnisse unter IFRS 16 erhält Swisscoms Ebitda-Ausblick einen Schub von 200 Mio. Fr. und suggeriert damit das Erreichen eines höheren Betriebsgewinns als im Vorjahr.

Doch der Schein trügt. Ohne den IFRS-16-Effekt ist das angepeilte Ebitda-Ziel de facto niedriger als im Vorjahr. Swisscom geht also davon aus, operativ nicht mehr, sondern weniger zu verdienen – für Anleger ist das eine wichtige Information. Auch auf Sunrise wird sich der Standard auswirken. Die Swisscom-Konkurrentin dürfte es stärker treffen, weil sie – wegen der Auslagerung ihrer Mobilfunkmast-Infrastruktur – weniger kapitalintensiv arbeitet. Sunrise will auf Anfrage erst mit der Publikation der Jahreszahlen am 28. Februar auf die Wirkung von IFRS 16 eingehen.

Ausser auf die beiden Telecomgesellschaften wirkt sich IFRS 16 auch auf die Logistikunternehmen Ceva Logistics, Kühne + Nagel und Panalpina merklich aus ( vgl. hier: Logistiker sind weniger gut vergleichbar ). Doch möglicherweise am stärksten dürfte die neue Praxis die Kioskbetreiberin Valora treffen. Ihre Bilanz wird sich drastisch verlängern, die Verschuldung stark steigen ( vgl. hier: Valora bekommt Nachteile zu spüren ).

Gemäss Jan Widmer sind die zu erwartenden Änderungen so grundlegend, dass einige Gesellschaften gar erwogen haben, auf die einfachere Rechnungslegungsordnung Swiss GAAP FER umzustellen. So weit muss es aber nicht kommen. Gemäss Widmer ist es Aufgabe der betroffenen Unternehmen, die Investoren proaktiv über die Auswirkungen des neuen Standards zu informieren – «damit kein Vertrauen verloren geht», sagt er. Ebenfalls Aufgabe der Unternehmen sei es, die Vergleichbarkeit über mehrere Jahre zu garantieren, auch wenn es sich für sie um einen «aufwendigen Prozess» handle.

Logistiker sind weniger gut vergleichbar

Leasing spielt auch in der Logistik eine wichtige Rolle. Entsprechend gross sind die Auswirkungen auf die einzelnen Unternehmen. Während Panalpina den neuen Standard bereits seit 2018 anwendet, werden Kühne + Nagel und Ceva Logistics, aber auch die dänische DSV, die Panalpina übernehmen möchte, erst ab Januar 2019 wechseln. Ab dann sind die Vorgaben verpflichtend. Ein Vergleich ist damit schwieriger geworden.

Kühne + Nagel rechnet auf Stufe Ebitda mit einem positiven Effekt von 420 bis 460 Mio. Fr. Das Unternehmen hatte 2017 auf dieser Stufe der Erfolgsrechnung 1150 Mio. Fr. ausgewiesen. Die Zahlen für 2018 werden am 27. Februar vorgelegt. Die Bilanz wird sich wegen IFRS verlängern, einen Einfluss auf den Cashflow gibt es gemäss Kühne + Nagel aber nicht.

Auch Panalpina sieht IFRS 16 als Cash-neutral an. Das Unternehmen habe sich unter anderem deshalb für eine frühere Anwendung entschieden, um Ressourcen verfügbar zu haben, die nun im Rahmen des strategischen Fahrplans und für M&A-Aktivititäten gebraucht würden, sagt eine Sprecherin.

Panalpinas Ebitda dürfte 2018 wegen IFRS 16 gemäss FuW-Schätzungen rund 125 Mio. Fr. höher ausfallen als ein Jahr zuvor. 2017 hatte Panalpina 146 Mio. Fr. erzielt. Das Unternehmen ist in Investoren-Präsentationen bereits auf das Thema eingegangen. Ceva Logistics, die wie Panalpina am 28. Februar die Zahlen für 2018 veröffentlicht, will sich nicht im Detail zu den Effekten äussern.

Das Unternehmen übt aber generelle Kritik. «Die mit der Umsetzung und Einhaltung von IFRS 16 verbundenen Kosten sind erheblich, während IFRS 16 den Aktionären nur sehr begrenzte zusätzliche Informationen zur Verfügung stellen wird», sagt ein Sprecher. Sowohl Kühne + Nagel als auch Ceva Logistics wollen Herleitungen zur Verfügung stellen, um den Einfluss von IFRS 16 aufzuzeigen. (CC)

Valora bekommt Nachteile zu spüren

Als Detailhändler mit rund 2800 Ladenmietverträgen ist Valora von dem neuen Leasingstandard IFRS 16 besonders stark betroffen – er stellt nach Unternehmensangaben eine erhebliche Herausforderung dar, betreffend den Aufwand wie die Kommunikation mit dem Finanzmarkt. Die neue Vorschrift habe nicht nur zu Mehraufwand bei der Umstellung der Rechnungslegung geführt. Sie binde auch laufend beträchtliche Ressourcen – mit fraglichem Nutzen.

Wie Finanzchef Tobias Knechtle resümiert, ändere sich damit die Rechnungslegung, «aber grundsätzlich bleiben das operative Geschäft, die Profitabilität und der Netto-Cashflow unverändert». Ihm zufolge führt IFRS 16 zu einer erhöhten und signifikanten Volatilität insbesondere in den Bilanzzahlen. Schliesslich werde der Mietaufwand, einer der grössten Kostenpositionen von Valora, neu teilweise unter Kosten und teilweise unter Abschreibungen verbucht – je nachdem, ob es sich um variable oder um fixe Mieten handelt.

Die Valora-Gruppe steuert ihr Geschäft nach dem Betriebsgewinn auf Stufe Ebit. Er ist durch die Anwendung von IFRS 16 eher weniger betroffen. Weil der fixe Mietaufwand durch die Abschreibungen der sogenannten Right-of-Use Assets ersetzt wird, steigt die Kennzahl Ebitda jedoch stark an – ohne dass sich laut Knechtle «an der ökonomischen Realität etwas geändert hätte». Der Ebitda werde als Kenngrösse über verschiedene Branchen hinweg wenig vergleichbar.

Nach der gleichen Logik wie beim Ebitda steigt auch der freie Cashflow. Der effektive Mittelabfluss für die fixen Mieten wird neu als Amortisation der Leasingverbindlichkeiten im Finanzierungs-Cashflow abgebildet – und damit unterhalb des freien Cashflow. Dieser spiegle die Cash-Generierung deshalb «nicht wirklich», sagt Knechtle. Er kündigt an, Valora werde den freien Cashflow um die Effekte aus IFRS 16 bereinigen.

Betroffen durch die Änderung in der Rechnungslegung sind auch die Nettoschulden und das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda, das in Kreditverträgen wichtig ist. In bestehenden Verträgen werden laut Knechte die Kreditklauseln (Covenants) unter alter Logik berechnet. In neuen Verträgen werden sie unter Berücksichtigung von IFRS 16 verhandelt. (AK)