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Weko betreibt Wirtschaftshistorie

Mit ADSL, einer früheren Übertragungstechnologie der Telekommunikation, konnten auf Teilnehmeranschlussleitungen einige Megabit pro Sekunde übertragen werden. Heute sind Hochbreitbandtechnologien mit einem Vielfachen dieser Übertragungsgeschwindigkeit im Einsatz. Trotzdem muss sich das Bundesgericht noch mit dem ADSL-Markt der Jahre 2005 bis 2007 befassen. In dieser Zeit soll Swisscom im Angebot von ADSL-Teilnehmeranschlüssen marktbeherrschend gewesen sein und kartellgesetzlich missbräuchliche Preise durchgesetzt haben.

Zu diesem Schluss kam die Wettbewerbskommission (Weko) im Jahr 2009 und büsste Swisscom mit 220 Mio. Fr. Sechs Jahre später bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das Urteil der Weko weitgehend, reduzierte aber die Busse auf 186 Mio. Fr. Heute, über zwölf Jahre nach dem fraglichen Marktmachtmissbrauch, ist der Fall immer noch vor dem Bundesgericht hängig.

Ende Februar dieses Jahres hat die Weko in einer Medienmitteilung den Abschluss ihrer Untersuchung gegen Kies- und Betonwerke im Raum Bern bekannt gegeben. Sie sollen bis zum Jahr 2013 unzulässige Wettbewerbsabreden  getroffen und umgesetzt haben und hierfür gemäss Verfügung der Weko mit 22 Mio. Fr. gebüsst werden. Die Untersuchung war Anfang 2015 aufgenommen und nach vier Jahren, Ende 2018, abgeschlossen worden. Wie üblich, wenn hohe Bussen auf dem Spiel stehen, ziehen die verurteilten Unternehmen das Verfahren weiter – zunächst an das Bundesverwaltungsgericht. Es dürfte auch in diesem Fall lange dauern, bis endlich ein rechtskräftiges Urteil vorliegen wird.

Mit aktuellen Märkten wenig zu tun

Diese Beispiele sind keine krassen Ausreisser bezüglich Verfahrensdauer. Vielmehr ist es die Regel, dass sich Vorabklärungen und Untersuchungen der Weko über Jahre erstrecken und in sehr vielen Fällen weitere Jahre an Rekursverfahren hinzukommen. Ebenfalls eher die Regel denn die Ausnahme ist, dass die kartellgesetzlichen Untersuchungstatbestände – mutmasslich unzulässige Abreden oder Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen – bei der Untersuchungseröffnung schon nicht mehr bestehen oder von den Untersuchungsadressaten sogleich aufgegeben werden. Wenn diese Tatbestände schon am Anfang einer sehr langen Untersuchung nicht mehr gegeben sind, degeneriert dieser Vollzug des Kartellgesetzes faktisch zur wirtschaftshistorischen Analyse und zum Akt der Vergangenheitsbewältigung (Busse) und hat mit den heutigen Märkten und Wettbewerbsproblemen nichts zu tun. Bei Verfahren, die Jahre in Anspruch nehmen, ist diese Degeneration fast systemimmanent.

Natürlich können auch «Retro-Untersuchungen» über längst nicht mehr existierende Märkte und Verhaltensweisen präventive Signale für aktuelle Märkte und Verhaltensweisen aussenden. Doch gerade in dieser Hinsicht sind sehr lange dauernde Verfahren ein zweischneidiges Schwert. Bei der Eröffnung einer Untersuchung werden die zu untersuchenden Märkte und Unternehmen sowie die Verdachtsmomente für kartellrechtswidrige Tatbestände publiziert. Dadurch und durch Risikoerwägungen sehen sich auch immer nicht direkt betroffene Unternehmen in scheinbar vergleichbaren Märkten und unter scheinbar vergleichbaren Umständen veranlasst, ihr Verhalten schon anzupassen, bevor ein rechtskräftiges Urteil vorliegt (antizipative Compliance).

Entspricht schliesslich nach Jahren das Urteil den Erwartungen, dürfte diese präventive Wirkung wettbewerbsökonomisch durchaus von Vorteil gewesen sein. Lag die Weko mit ihren Verdachtsmomenten hingegen nicht richtig und stellt dies erst nach Jahren selbst fest oder wird noch später von den Rekursbehörden «zurückgepfiffen», dann dürfte die präventive Wirkung des Verfahrens wettbewerbsökonomisch schädlich gewesen sein. Je länger Verfahren dauern, die am Schluss ohne Folgen abgeschlossen werden – was in etwa der Hälfte der Fälle so ist –, desto schädlicher dürfte ihre kontraproduktive Prävention sein.

Das Kartellgesetz bezweckt, volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern (Art. 1 KG). Die Wettbewerbsbehörden müssen sich deshalb die Frage gefallen lassen, ob sie mit ihren jahrelangen retrospektiven Untersuchungen ihre eigenen Ressourcen und diejenigen der untersuchten Unternehmen wirklich in die richtige Richtung lenken. Sie tun dies meines Erachtens nicht. Indem bereits aufgegebene Wettbewerbsbeschränkungen jahrelang mit grossem Aufwand untersucht werden, werden wohl keine aktuellen schädlichen Auswirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen verhindert. Hohe Bussen für vergangene Taten füllen zwar die Bundeskasse, nützen aber in dieser Hinsicht auch nicht viel.

Heute erinnern sich vermutlich nur noch ältere Telekommunikationsspezialisten an die technisch-ökonomischen Gegebenheiten der ADSL-Zeit. Aus dem ADSL-Verfahren, sobald es endlich rechtskräftig abgeschlossen wird, dürften sich kaum noch praxisrelevante Lehren für die aktuellen, dynamischen Telekommunikationsmärkte oder andere Technologiemärkte ergeben. Die Weko und das Bundesverwaltungsgericht können nur noch hoffen, dass wenigstens von der Busse etwas übrig bleibt, weil alles andere nach achtjähriger Untersuchung schlicht peinlich wäre. Vermutlich ergibt sich daraus jetzt sogar ein gewisser Druck auf das Bundesgericht, die Urteile der Vorinstanzen zu bestätigen. Wie auch immer – man kann sich nur schwer vorstellen, warum dieser Fall vor Bundesgericht inzwischen auch schon wieder vier Jahre hängig ist.

Unberechenbare Behörden

Im Berner Kies-und-Beton-Fall haben sich nicht die Technik und die Märkte, sondern das Kartellgesetz und sein Vollzug wesentlich verändert – offenbar zuungunsten der von der Weko Verurteilten. Zur Inkraftsetzung des Kartellgesetzes im Jahr 1996 haben die beiden Kies- und Betonunternehmen ihre früheren harten Wettbewerbsabreden aufgegeben und nur noch Vereinbarungen getroffen, die ihrer Ansicht nach mit dem neuen Gesetz konform waren. Diese Vereinbarungen haben sie im Hinblick auf die Kartellgesetzrevision 2003 weiter angepasst und schliesslich um das Jahr 2013 ganz aufgegeben.

Erst danach, im Jahr 2015, gerieten sie ins Visier der Weko. Noch später, nämlich Mitte 2016, fällte das Bundesgericht den fatalen Gaba-Elmex-Entscheid. Er hat Abreden, wie nach Auffassung der Weko die beiden Kies- und Betonunternehmen sie nur bis zum Jahr 2013 praktiziert haben sollen, einer strengeren Beurteilung unterstellt als zuvor üblich.

Was folgt aus dieser Geschichte? Die beiden Berner Kies- und Betonunternehmen wurden von der Wettbewerbskommission nach einem strengeren, erst seit 2016 bekannten und gültigen Dogma für Abreden gebüsst, die sie nach dem Jahr 2013 gar nicht mehr praktiziert haben. Zur Zeit ihrer Abreden konnten sie mit einer weit weniger strengen Beurteilung rechnen – und nur nach dieser damals bekannten und gültigen Dogmatik mussten und konnten sie ihr Handeln richten. Man darf also gespannt sein, was nun das Bundesverwaltungsgericht zu dieser rechtsstaatlich doch sehr fragwürdigen Vorgehensweise der Weko sagen wird.

Vermutlich werden wir aber auch auf diese Antwort lange warten müssen.