Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Was Inaugurationen verheissen

Auguren hiessen im alten Rom Beamte, die aus Zeichen der Natur zu lesen versuchten, ob ein vom Staat oder von einem Sippenoberhaupt geplantes Unternehmen den Göttern gefällig sei. Das englische Verb to augur bedeutet verheissen, Gutes oder Schlechtes, well or ill. Die Inauguration Donald Trumps als US-Präsident am Freitag verheisst so oder so spannende Zeiten.

Das Staatsritual um den Amtseid eines Präsidenten der USA ist das vielleicht eindrücklichste seiner Art. Die meisten Elemente haben sich seit mehr als zwei Jahrhunderten als Traditionen herausgebildet. Die Verfassung schreibt bloss vor, dass der Präsident vor der Übernahme der Staatsgeschäfte einen Schwur zu tun hat – wem gegenüber, ist offen. Das zeigt sich schon an den neun irregulären Inaugurationen (von insgesamt 66). Acht Mal starb ein Präsident im Amt; der Vizepräsident musste jeweils umgehend und ohne Pomp schwören – mitunter improvisiert.

Wenn der Vater mit dem Sohne

Als Präsident Warren Harding am Abend des 2. August 1923 in San Francisco an einer Hirnblutung verschied, weilte Vizepräsident Calvin Coolidge auf dem Bauernhof seiner Familie im Weiler Plymouth Notch, fernab im ländlichen Neuengland – es gab dort weder Strom noch Telefon. Nachdem ein Bote am 3. August die Nachricht überbracht hatte, machte sich Coolidge frisch, sprach ein Gebet und begab sich ins Wohnzimmer. Dort nahm ihm, zum flackernden Licht einer Kerosinfunzel, sein Vater den Amtseid ab. John Calvin Coolidge Sr. war Notar des Staates Vermont und Friedensrichter.

Tags darauf reiste Coolidge nach Washington, wo ihn am 21. August der Bundesrichter des District of Columbia abermals einschwor. Inzwischen war nämlich die Frage aufgeworfen worden, ob der Notar eines Bundesstaates überhaupt befugt sei, einen Präsidenten ins Amt einzuführen. Coolidge  wurde dann 1924 zum Präsidenten gewählt, sodass er am 4. März 1925 vor dem Ostportal des Kapitols den Eid leisten konnte. Der 4. März war seit der zweiten Inauguration George Washingtons 1793 gebräuchlich – am 4. März 1789 war nämlich die amerikanische Verfassung in Kraft getreten.

Der 20. Januar gilt erst seit 1937 als Inaugurationsdatum, aufgrund eines Verfassungszusatzes, der den Amtsbeginn des Präsidenten neu auf diesen Termin festlegte. Die Lokalität, das East Portico des Kapitols, war mit wenigen Ausnahmen Usus von 1829 (Andrew Jackson) bis 1977 (Jimmy Carter). Ronald Reagan schwor dann 1981 als Erster vor der Westfront des Kapitols, was sich seither durchgesetzt hat. Auch Donald Trump wird dort dem obersten Bundesrichter die übliche Formel nachsprechen. Dass der Chief Justice diese Amtshandlung vornimmt, ist seit 1797 (John Adams) die Regel.

In den Anfangsjahren der jungen Republik gab es noch keine Hauptstadt und erst ansatzweise Institutionen. George Washington wurde am 30. April 1789 in New York vereidigt, vier Jahre später zur zweiten Amtszeit in Philadelphia, sein Nachfolger John Adams 1797 daselbst. Erst Thomas Jefferson konnte 1801 im neu erbauten Kapitol angelobt werden.

1817 gab es einen Unterbruch: James Monroe schwor vor dem Old Brick Capitol, dem Ausweichquartier des Kongresses – im Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812 bis 1814 hatten Truppen der früheren Kolonialmacht die öffentlichen Gebäude in Washington niedergebrannt.

Monroe war der letzte Präsident der Gründervätergeneration. 1837 schwor mit Martin Van Buren der erste Präsident, der nicht mehr als Untertan der britischen Krone zur Welt gekommen war (zudem war seine Muttersprache Niederländisch).

Längste Rede, kürzeste Amtszeit

1841 verlas William Henry Harrison die bis heute längste Antrittsrede eines neuen Präsidenten – doch seine Amtszeit war mit nur einem Monat die kürzeste: Schon am 4. April war er tot. Harrison, 68, hatte sich fatal erkältet. Am 4. März war es bitter frostig gewesen, und Harrison trug keinen Mantel. Allerdings traten die Symptome erst gegen Ende März auf.

Als Abraham Lincoln am 4. März 1861 den Amtseid ablegte, gab es die USA in gewohnter Form nicht mehr. Washington hatte die Kontrolle über wesentliche Teile von «Dixie» bereits verloren. Nach der Wahl von «Old Abe» im November des Vorjahres waren sieben Südstaaten aus der Union ausgetreten, weitere vier folgten später. Gut einen Monat nach Lincolns Amtsantritt brach der Sezessionskrieg aus.

Barack Obama schwor beide Male auf Lincolns Bibel. Eine solche Geste ist freiwillig. Dagegen steht seit 1884 die Eidesformel fest; sie gilt auch für Senatoren, Repräsentanten und hohe Beamte.

Besondere Aufmerksamkeit gilt naturgemäss stets der präsidialen Ansprache, der «Inaugural Address». Die meisten davon gehen jedoch rasch vergessen. Sprichwörtlich wurde ein durchaus zwiespältiger Satz von John F. Kennedy von 1961: «Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country», frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst. Wohl gibt es gerade in Sozialstaaten Menschen, die sich den ersten Teil zu Herzen nehmen sollten, doch müssen sich freie Bürger vordringlich fragen, was sie für den Staat tun können?

So wahr ihm Gott helfe

Die notfallmässige Vereidigung von Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson erlangte traurige Berühmtheit. Am 22. November 1963 um die Mittagszeit war JFK in Dallas erschossen worden. Noch am selben Tag wurde Johnson vereidigt, in beengten Verhältnissen in der Air Force One, die auf dem Flughafen von Dallas stand. Eine in Texas tätige Bundesrichterin war eilends herbeigerufen worden. Der Protestant Johnson hielt beim Schwur seine Linke auf ein Messbuch Kennedys, des bis dato einzigen Katholiken im Weissen Haus. Kennedys Witwe Jackie stand erschüttert, doch tapfer daneben; das Bild davon ging um die Welt.

Es lässt sich historisch nicht bestätigen, dass George Washington einst dem damaligen Amtseid aus freien Stücken ein «So help me God» folgen liess. Auch steht nicht zweifelsfrei fest, seit wann dieser Satz fester Teil des Eids ist. Doch Gottes Hilfe kann nie schaden. Gerade jetzt nicht.

Newsletter

FuW – Das Wochenende

Erhalten Sie zum Wochenende handverlesene Leseempfehlungen der Redaktion.