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Was die Steuerreform über Trump sagt

Am 29. April war US-Präsident Donald Trump den hundertsten Tag im Amt. Freilich ist die 100-Tage-Frist ein ziemlich willkürlicher und wenig aussagekräftiger Markstein, zurückzuführen auf Franklin Delano Roosevelt – mit dem Ruf eines effizienten, tatkräftigen Präsidenten –, der 1933 in einer seiner Radioansprachen erwähnte, dies sei eine Gelegenheit, innezuhalten und die ersten hundert Tage seiner Regierung Revue passieren zu lassen.

Einiges aufschlussreicher, was die Ambitionen und die Grenzen der Trump-Regierung angeht, war Tag 97 des US-Präsidenten, genauer gesagt sein an diesem Tag vorgestellter Steuerplan. Wohlgemerkt, die Bezeichnung «Plan» bedingt eine sehr grosszügige Auslegung des Wortes: Gerade mal eine Seite ist er lang, eine blosse Aufzählung von Eckpunkten. Neu soll es statt sieben nur noch drei Steuersätze geben – welche Einkommen in welche Steuerklasse fallen, bleibt jedoch unklar. Die Einnahmenverluste wegen der niedrigeren Sätze sollen durch die Abschaffung von Abzugsmöglichkeiten kompensiert werden, so für bundesstaatliche und lokale Steuern. Andere bedeutende Abzüge, etwa für Beiträge an die Vorsorge, bleiben aber unerwähnt.

Dann die Senkung der Unternehmenssteuern von 35 auf 15%: Auch hier keinerlei Angaben, wie der damit einhergehende Einnahmenausfall finanziert werden soll. Überhaupt haben weder das Schatzamt noch sonst eine Regierungsbehörde die Auswirkungen der Steuerreform auf die Einnahmen auf irgendeine Art quantifiziert. Gemäss Schätzung privatwirtschaftlicher Organisationen wie der Tax Foundation wird der Anstieg von Defizit und Verschuldung, um es in Trump’scher Manier auszudrücken, riesig («huge») sein.

Entlarvendes Vorgehen

Diese Herangehensweise an die Steuerreform offenbart alles, was man über die Trump-Regierung wissen muss. Erstens: Wichtige Entscheidungen trifft ein ungeduldiger, impulsiver Präsident. Das Finanzministerium hat regelmässig den Auftrag, Steuermassnahmen auszuarbeiten; es glaubte, Zeit bis Juni zu haben, um einen Steuerplan vorzustellen. Doch nach seiner Niederlage beim ersten Anlauf zur Aufhebung und Ersetzung des Affordable Care Act (Obamacare) verkündete Trump kurzerhand, mit nur wenigen Tagen Vorlaufzeit, am 26. April werde er die Details der «grössten Steuersenkung der US-Geschichte» enthüllen – und stürzte die Mitarbeiter des Schatzamts und des National Economic Council in arge Zeitnot. Hier und da wurde behauptet, Donald Trump merke mittlerweile, wie komplex Regieren sei, und halte sich deshalb zunehmend an etablierte Verfahren. Die Steuerplan-Episode belegt das Gegenteil.

Zweitens wird wieder einmal deutlich, dass die Regierung Trump nach wie vor auf Schlagzeilen fokussiert ist. Der Wunsch des US-Präsidenten nach einer baldigen Verlautbarung zur Steuerreform war nicht nur ein Versuch, die Aufmerksamkeit von Niederlagen abzulenken. Im Blick hatte er auch die 100-Tage-Marke, denn für die Kabelnachrichtensender – immerhin seine Haupt-Informationsquelle – war sie ein grosses Thema.

Drittens erinnert das Fehlen von Konkretem im Steuerplan einmal mehr daran, dass der Präsident an Details eben kein Interesse hat. Denn aus Trumps Sicht ist die Absenz jeglicher Details – sei es, welche Einkommen zu welchem Satz besteuert werden, sei es die Finanzierung des Einnahmenausfalls im Zuge der Unternehmenssteuersenkung – ein Vorzug, nicht ein Makel.

Viertens belegt der Steuerplan, dass diese Regierung mindestens so sehr wie an politischen Massnahmen daran interessiert ist, ihre politischen Feinde abzustrafen. Der so gut wie einzige im Papier vom 26. April konkretisierte Schritt ist die Abschaffung der Abzugsfähigkeit bundesstaatlicher und lokaler Steuern. Am höchsten sind diese Steuern bekanntermassen in sogenannten blauen Staaten wie Kalifornien und New York – Staaten, in denen Trump in den Präsidentschaftswahlen am wenigsten Unterstützung erhielt.

Fünftens zeigt der Steuerplan klar, dass Trump nicht so sehr für Populismus steht als vielmehr für Nähe zur Unternehmenswelt. Die Reform, besonders die Senkung der Unternehmenssteuer auf 15%, kommt schwergewichtig dem Unternehmenssektor zugute – den Trump, wie auch andere Entwicklungen suggerieren, als seine wahre Wählerschaft betrachtet. Bei der Besetzung von Regierungsposten verlässt er sich in überproportionalem Ausmass auf Geschäftsleute, mit denen er sich auch am wohlsten fühlt. Wenn er den Meinungsaustausch mit dem Privatsektor sucht, sind es meist Führungsspitzen der Geschäftswelt, die ins Weisse Haus geladen werden.

Die Folgen davon sind nicht nur schlecht. So dürfte Donald Trump hauptsächlich deshalb von seinem Versprechen Abstand genommen haben, aus dem Freihandelsabkommen Nafta auszusteigen, weil Wirtschaftsführer bekräftigt haben, welch grossen Stellenwert sie dem Vertrag beimessen. Trumps Entgegenkommen gegenüber der Wirtschaft steht aber auch hinter  einigen unglücklicheren Entscheidungen, etwa der Ablehnung höherer Kapitalanforderungen und strengerer Regulierung für Banken, der Aufhebung von Umweltschutzbestimmungen oder der Ernennung von Aijit Pai, der sich gegen Netzneutralität ausspricht, zum Chef der Federal Communications Commission. Und es erklärt, warum sein Steuerplan in erster Linie ein Geschenk an die Unternehmen ist.

Sechstens ist der Plan ein Hinweis, dass weder die Wirtschaftsnationalisten im Weissen Haus, angeführt von Peter Navarro und Steve Bannon, noch die internationaler orientierten Kräfte um Gary Cohn und Steve Mnuchin den Kampf darum gewonnen haben, wer beim Präsidenten Gehör findet. Die wahren Gewinner sind die extremen Verfechter angebotsorientierter Politik, bei der Heritage Foundation und andernorts, deren Meinung nach jegliche Steuersenkung sich selbst finanziert. Damit sich die vorgeschlagene Steuerreform selbst finanziert, müsste sich das Wachstum der US-Wirtschaft, so schätzt das Committee for a Responsible Federal Budget, von derzeit 2% pro Jahr mehr als verdoppeln, auf 4,5%. Ein Wunschtraum, kann man da nur sagen.

Republikaner sind gespalten

Siebtens schliesslich wird uns einmal mehr in Erinnerung gerufen, dass die meisten, wenn nicht alle von Trumps politischen Plänen von vornherein kaum Aussicht auf Erfolg haben. Die Gesundheitsreform scheiterte im ersten Anlauf, weil die Regierung keinerlei Anstrengungen unternahm, auf die demokratische Opposition zuzugehen, und nicht merkte, dass die republikanische Mehrheit gespalten ist. Je drakonischere Vorschläge sie zur Einschränkung des ACA machte, um den Freedom Caucus am rechten Flügel an Bord zu holen – der prinzipiell gegen jegliche Intervention des Staates ist –, desto mehr Stimmen aus dem gemässigten republikanischen Lager verlor sie. Denn die gemässigten Republikaner wissen sehr wohl, dass ihre Wähler vom ACA profitieren und verärgert wären, sollten sie ihre staatlich gestützte Gesundheitsversorgung verlieren.

Bei der Steuerreform ist das nicht anders: Je mehr Massnahmen die Regierung plant, um die Steuern noch weiter zu senken und sich damit die Zustimmung des hartgesottenen angebotsorientierten Lagers sowie der Verfechter der «Man muss den Staat aushungern»-Theorie zu sichern, desto mehr wird sie an Unterstützung bei den Defizitfalken unter den Republikanern verlieren. Wie bei der Gesundheitsreform reicht blosse Parteitreue-Arithmetik für den Erfolg hier nicht aus.

Ein besonnener Präsident, der ein komplexes Steuersystem vereinfachen will, würde einen parteiübergreifenden Ansatz verfolgen. Nur leider gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Amerika einen besonnenen Präsidenten hat.