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Wahnsinn am Wohnungsmarkt

Wohnen ist ein Grundrecht; in Ländern, die es mit der Wohlfahrt ihrer Bürger ernst meinen, soll niemand unter der Brücke schlafen. Doch wie kann man für die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum angemessener Qualität sorgen – vor allem für sozial Schwächere? Die Frage, wie sozial verantwortliche Wohnungspolitik auszusehen hat, beschäftigt die Menschen fast überall in Europa. In manchen südeuropäischen Ländern, in denen das Mieten bis vor kurzem nahezu unbekannt war, bauen Regierungen oftmals Sozialwohnungen, um sie zu subventionierten Preisen zu verkaufen; anderswo werden Pläne für mehr Miet-Sozialwohnungsbau geschmiedet; fast überall wird der Mietmarkt mit neuen Regulierungen überzogen.

Das gilt besonders für die Mietpreisgestaltung. Gerade hat Jeremy Corbyn, der Chef der britischen Labour-Partei, angekündigt, eine von ihm geführte Regierung werde Mietverträge für eine Mindestdauer von fünf Jahren einführen, mit Mietanpassungen, die die Inflation nicht übersteigen dürfen. In Deutschland hat die schwarz-rote Koalition die Mietpreisbremse eingeführt, die auch bei Neuvermietungen den Mietzins deckelt; er darf nicht 10% über der Vergleichsmiete ähnlicher Wohnungen liegen. In der Schweiz sind Mieterhöhungen für Altverträge an die Veränderung der Kosten des Vermieters gekoppelt; in Schweden werden sie zwischen Mieter- und Vermieterorganisationen ausgehandelt.

Zweiteilung der Mieterschaft

Selbst unter gebildeten Bürgern, die Eingriffen des Staates in den Marktmechanismus skeptisch gegenüberstehen, sind Mietregulierungen oft beliebt. Es hält sich das Argument, bei einem Grundbedürfnis wie Wohnen dürfe man nicht alles dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage ausliefern. Nachdem in vielen Ländern die Arbeitslosenrate in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist, gibt es kaum eine andere Frage, die als ähnlich wichtig für die Wohlfahrt der Menschen eingestuft wird wie die Versorgung mit preiswertem Wohnraum.

Doch was passiert, wenn der Staat in die Preisfindung für Wohnungen eingreift? Typischerweise gibt es eine Art von «Bestandsschutz», der Preisanpassungen existierender Verträge limitiert. Dann wird bspw. eine Zweizimmerwohnung in einer Zürcher B-Lage für 1800 Fr. vermietet, auch wenn bei Neuvermietungen eher 2400 Fr. üblich wären. Das klingt nach einem sinnvollen Kompromiss – alte Verträge werden privilegiert, beim Neuabschluss entscheidet der Markt. Vermieter erhalten Einnahmen, die sich in kleinen Schritten, wann immer ein Mieter auszieht, dem Marktniveau annähern. Die dramatischen Folgen kann man etwa in New York sehen, wo es seit dem Zweiten Weltkriege lange Zeit eine sehr rigide Form der Mietpreisregulierung gab. Noch heute gibt es Wohnungen in Soho, die für weniger als 100 $ pro Monat vermietet werden. Marktüblich wären 2500 $.

Kommt es zu einem grossen Nachfrageschub, z. B. weil Stadtlagen plötzlich beliebter werden, dann hat die Zweiklassengesellschaft der Mieter – alt und neu – schnell dramatische Folgen. Weil die Neuverträge jetzt teuer werden, ziehen Mieter nicht mehr aus. So trocknet der Markt rasch weiter aus, die natürliche Fluktuation geht massiv zurück. Der Nachfrageschub trifft damit auf eine künstlich kleine Angebotsmenge, und die Preise eskalieren zusätzlich, wenn man bei den Neuvermietungen Preisänderungen zulässt. Auch die im Lebenszyklus natürliche Anpassung des eigenen Wohnraumkonsums – etwa in Familien, in denen die Kinder ausgezogen sind – findet dank dem Prinzip Bestandsschutz viel weniger statt, als wenn die Mieten frei «atmen» könnten. So sitzen dann Rentnerehepaare in Vierzimmerwohnungen zu zweit, während junge Familien sich kaum ausreichend Wohnraum sichern können.

Durch Mietregulierung wird kein Quadratmeter zusätzlicher Wohnraum geschaffen. Werden Städte attraktiver – wie in den vergangenen Jahren fast überall in der entwickelten Welt –, dann müssen letztlich alle Einwohner ein bisschen zusammenrücken. Mehr Wohnungsneubau kann zwar helfen, findet jedoch in der Regel zu langsam statt. Doch genau dieses Zusammenrücken wird verhindert, wenn die Mieten im Altbestand nicht – oder nur wenig – reagieren können.

Noch schlimmer wird es, wenn zusätzlich der Mietzins bei Neuvermietungen auf marktferne Niveaus reguliert wird, wie in Deutschland von der Mietpreisbremse beabsichtigt und in Ländern wie den USA, Indien und Spanien seit langem praktiziert. Viele Jahre lang prangten an spanischen Miethäusern Plaketten, angebracht von der Franco-Regierung, dass hier Mietwucher verboten sei. «Renta antigua» hiessen solche Wohnungen, in denen man für 50 oder 100 Peseten mieten konnte, also Kleinstbeträge. Die Folgen wurden in spanischen Städten in den Achtziger- und Neunzigerjahren überall sichtbar. Ein halbes Jahrhundert nachdem die faschistische Regierung den Mietwucher unterbunden hatte, fielen Teile der Fassaden regelmässig auf die Strassen, beschädigten Autos und verletzten Passanten. Die Vermieter konnten mit ihren Einnahmen längst nicht mehr die Kosten für Instandhaltung und Verwaltung decken.

Die Wohnungen waren oft noch auf dem Niveau von 1948. Ähnlich ist auch heute noch die Lage in Indien, wo in weiten Landesteilen alte Mieten nicht angepasst werden dürfen, mit der offensichtlichen Folge, dass aus schönen alten Häusern der vorigen Jahrhundertwende rapide verfallende Ruinen geworden sind. So wird aus der Regulierung schnell eine andere Form der Enteignung, unter der aber auch die Mieter besonders leiden.

In der Folge leidet der Arbeitsmarkt. Die Wohnungseigentümer, die unter «Renta antigua» litten, verkauften zumeist ihre Wohnungen, oft an die Mieter. Diese wurden nun zu Eigentümern, was dazu führt, dass sie nicht mehr umziehen, wenn ihr Arbeitsplatz verschwunden ist und es andere Jobs anderswo gibt. Länder mit hoher Hauseigentümerquote haben tendenziell eine deutlich höhere Arbeitslosenrate, weil die Menschen weniger mobil werden. Die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien, in denen auch in Boomjahren die Zahl der Erwerbslosen nie unter 10% fällt, ist auch zum Teil ein spätes Geschenk der Mietregulierung Francos.

Wo weder Alt- noch Neumieten steigen können, sobald die Nachfrage anzieht, stagniert auch der Wohnungsneubau. Der Eingriff in die Mietpreisfindung führt somit zur schlechtesten aller möglichen Welten – keine neuen Wohnungen für junge Familien, sozial ungerechte Verschwendung von knappem Wohnraum, Verfall des Immobilienbestands. Ökonomen sind nicht bekannt dafür, dass sie oft der gleichen Ansicht sind. Zum Thema Mietpreisregulierung aber sind sie sich so einig wie sonst nie: je weniger, desto besser.

Politische Effekthascherei

Wie aber kommt es zu einer so falschen Politik, die sowohl unsozial als auch ineffizient ist, bei der niemand gewinnt? Politisch sind Eingriffe in den Mietmarkt fast immer beliebt, denn es gibt viel mehr Mieter als Vermieter. Im Bundestagswahlkampf 2014 kam zuerst die SPD mit der Idee der Mietpreisbremse für Neuvermietungen; dann zog die eigentlich konservative und marktfreundliche(re) CDU nach, um ja keine Wählerstimmen zu verlieren. Mietpreisregulierungen sind besonders verlockend, erlauben sie es Politikern doch, sich als angeblich sozial verantwortlich zu profilieren –  ohne einen einzigen Rappen des Staates zu verwenden.

Mietpreisregulierung ist Umverteilung pur, «Reichen» wird etwas genommen, um es «Armen» zu geben. Faktisch sieht die Gewinn- und Verlustrechnung anders aus: Die sozial Schwächsten leiden am meisten unter den fehlgeleiteten Versuchen, sie zu schützen. Die Vermieter verlieren, der Gewinner ist die wohlverdienende Mittelschicht, die schön und billig wohnt, jedenfalls so lange, bis ihr die Fassade auf den Kopf fällt.