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Vom Umgang mit Staatsschulden

Nachdem sich die britischen Kolonien Amerikas im Jahr 1776 für unabhängig erklärt hatten, wurden sie in einen Krieg gegen das Vereinigte Königreich verwickelt, der bis 1783 dauerte. Nach dem Friedensschluss stellte sich die Frage, wer für die Kriegsschulden der dreizehn US-Staaten aufkommen sollte.

Der finanzpolitische Wortführer der Union, Alexander Hamilton, sprach sich für eine Gemeinschaftshaftung aller Staaten für ihre Staatsschulden aus, weil die Union auf diese Weise Verlässlichkeit gegenüber den internationalen Kreditgebern ausdrücken könne.

Solidarität gegen aussen bewirkte jedoch Schuldennachgiebigkeit gegen innen. Manche Bundesstaaten erkannten die Schwachstelle der Gemeinschaftshaftung. In den folgenden Jahrzehnten  verschuldeten sie sich in fragwürdigen eigenen Projekten, wobei sie ihr Risiko auf den Bundesstaat abschoben.

Doch ihre Rechnung ging nicht auf. Die Mehrheit der inzwischen schon 29 Bundesstaaten erachtete diese öffentlichen Schulden der Einzelstaaten nicht als solidaritätspflichtig für die gesamten Vereinigten Staaten und verweigerte die Gemeinschaftshaftung.

Mehrere Bundesstaaten mussten daher in den 1840er Jahren den Bankrott erklären. Auf diese Weise wurde das Nichtbeistandsprinzip eingeführt, das bis heute besteht und einen festen Bestandteil der amerikanischen Finanzverfassung bildet.

Auch heute ist der Bundesstaat für das finanzielle Überleben seiner Teilstaaten nicht verantwortlich. Er leistet ihnen nicht nur keinen Finanzbeistand im Fall einer Finanzkrise, sondern er gewährt ihnen auch keinen Finanzausgleich, um ihnen (wie in Deutschland)  ein bestimmtes Mindestwohlstandsniveau zu garantieren. Amerikanische Gliedstaaten erhalten vom Bund nur zweckgebundene Zuweisungen, die ihnen erlauben, bestimmte Güter (z. B. Interstate Highways oder Schulen) kostengünstiger finanzieren.

Staaten werden nicht zerschlagen

Amerikanische Bundesstaaten können zwar zahlungsunfähig werden, doch sie können nicht in einem Insolvenzverfahren zerschlagen werden, denn sie müssen ja zum Schutz der Einwohner irgendwie weiter funktionieren. US-Bundesstaaten müssen sich mit ihren Gläubigern auseinandersetzen.

Erleichternd wirkt, dass sich Schulden von Bundesstaaten oft nicht auf den Staat als Ganzes, sondern auf einzelne Anlagen von seinem Finanzvermögen beziehen – wie Gebäude, Flughäfen und dergleichen. Anders als für Bundesstaaten gibt es für Gemeinden nach U.S. Code Chapter 9 sogenannte Restrukturierungsverfahren, in denen die Schulden von Gemeinden disaggregiert und neu zusammengeführt werden; womöglich werden die Gemeinden mit frischem Kapital versehen. Gerichte sind beauftragt, einen Konsens herbeizuführen.

Die Rechtslage in den USA ist mit derjenigen in der Schweiz vergleichbar. Die schweizerische Bundesverfassung verlangt in Art. 44 von Bund und Kantonen, dass sie einander Amts- und Rechtshilfe leisten. Dass sie einander auch Finanzbeistand leisten, ist von der Bundesverfassung nicht vorgesehen.

Selbst in der Kantonalbankenkrise der Achtzigerjahre leisteten weder der Bund noch die anderen Stände den angeschlagenen Kantonen finanziell Beistand. Auch politisch brachten  diese Kantone nicht genügend Stimmpotenzial zusammen, um eine Mehrheit für eine Bundeshilfe zu erwirken. Die nicht betroffenen Kantone lehnen derartige Unterstützungszahlungen ab.

Sollte in Zukunft wieder einmal ein Kanton wegen seiner Kantonalbank in Zahlungsschwierigkeiten geraten, so könnte er schwerlich eine Mehrheit der  Kantone für Finanzhilfen für sich zusammenbringen. Damit bleibt den betroffenen Kantonen nichts anderes übrig, als die Steuern anzuheben und die Ausgaben zu senken, um so wieder in die schwarzen Zahlen zu gelangen.

Einen Sonderfall stellen die Grossbanken dar, deren Niederlassungen im ganzen Land verstreut  sind und die daher nicht der Verantwortung eines einzelnen Kantons zugerechnet werden können. Um für den Fall eines Grossbankkonkurses vorzusorgen, hat der Bund die Finanzaufsichtsbehörde Finma errichtet. Sie hat mit den sogenannten Contingent Convertible Bonds eine neue Art von Wandelanleihen geschaffen, die die Grossbanken ausgeben müssen und die sie bei Gefahr eines Finanzengpasses in Eigenkapital umwandeln.

Auch der Finanzausgleich soll den Kantonen nicht ein bestimmtes Wohlfahrtsniveau garantieren, sondern nur die Ressourcenausstattung ausgleichen, damit sie ein vergleichbares Wohlfahrtsniveau erreichen können. Für die tatsächliche Wohlfahrt bleiben die Kantone selbst verantwortlich.

Eine solche Selbstverantwortung war auch für die Eurozone vorgesehen. Noch heute steht im Lissabonner Vertrag der denkwürdige Satz des Autonomieprinzips: «(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.»

Am wichtigsten ist hier der letzte Halbsatz «…und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein». Das bedeutet: Hinsichtlich der Verbindlichkeiten gilt weiterhin die Selbstverantwortung, wie sie in der Ära der früheren nationalen Währungen von Mark, Franc, Lira, Drachme usw. bestanden hatte.

Obwohl der Text keinen Raum für Zweifel lässt, waren sich offenbar nicht alle Beteiligten über die Konsequenzen im Klaren. Griechenlands Gläubiger schenkten Griechenland gleich viel Vertrauen wie anderen Eurostaaten. Sie dachten: Ein Euro ist ein Euro, gleichgültig, von welchem Staat er gehalten wird.

Athens Schulden in Frankreichs Banken

Genau so dachten auch die grossen französischen Banken, die etwa ab dem Jahr 2000 Eurostaatspapiere Griechenlands in grosser Menge in ihre Portefeuilles aufnahmen. Allmählich wurde jedoch zweifelhaft, ob die griechische Regierung ihre Euroschulden jemals würde zurückzahlen können. Faktisch verschob sich das Staatsschuldenrisiko von Griechenland zu den französischen Grossbanken. Dort sank der Kurs der griechischen Eurostaatspapiere, und die Zinsen schossen in die Höhe.

Den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ereilte der Schrecken, dass womöglich nicht nur Griechenland, sondern auch Frankreich wegen seiner Banken in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnte. Die Überschuldung Griechenlands wurde unverhofft ein Problem der französischen Banken und des französischen Staates.

Vor dieser Gefahr sahen sich die Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten, als sie am 8./9. Mai 2010 in Brüssel zum Eurogipfel zusammenkamen. Sie wollten Griechenland helfen und konnten diese Hilfe nicht von der Hilfe an die anderen Eurostaaten isolieren, denn jede Hilfe fand in der gemeinsamen Währung statt, dem Euro, und diente somit allen Eurostaaten.

Die Staats- und Regierungschefs befreiten Frankreich und Griechenland von der Last ihrer wertlos gewordenen Anleihen, indem sie diese zu pari in einen gemeinsamen Fonds (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität; EFSF) in Luxemburg übernahmen, für den alle anderen Staaten, besonders Deutschland, in Höhe von 750 Mrd. € geradestehen mussten.

Diese Garantien verbreiteten sich wie ein Lauffeuer auf andere Eurostaaten, die sich nunmehr in Euro verschulden konnten. Die Europäische Zentralbank gewährte ihrerseits sogenannte Target-2-Kredite, die das Schuldenvolumen um weitere 500 Mrd. € erhöhten.