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Vom Schlachtfeld in die Boutique

Zeitgenössisch interpretiertes Wappen von Modedesignerin Stella McCartney am Outfit des britischen Olympiateams für Rio 2016

Seit der Fussball-Weltmeisterschaft und dem Sieg der Schweizer Nationalmannschaft gegen Serbien ist Heraldik auch eine Story in Medien geworden, wo zuvor nie über Wappenkunde berichtet wurde. Nach ihren Siegertoren formten Shaqiri und Xhaka die Hände zum Doppeladler, dem Wappentier Albaniens.

Der doppelköpfige Vogel geht auf das Siegel von Gjergj Kastriot Skanderbeg zurück; der albanische Adlige des 15. Jahrhunderts war Anführer der Revolution gegen die Osmanen. Heraldik ist eine historische Wissenschaft, umfasst aber auch die Kunst der Darstellung und die Regeln, wie Wappen zu gebrauchen sind. Der von den Fernsehstationen übertragene Vorfall an der Fussball-WM hat die starke, wenn auch vielleicht oft nicht so sichtbare Präsenz von Wappen wieder in unser Bewusstsein gebracht.

Trumps Löwen

Wer genau hinschaut, entdeckt in jeder beliebigen Schweizer Stadt zahlreiche Fahnen und Wappen, die man im Alltag oft weder wirklich wahrnimmt noch sich um ihre Aussage kümmert. An öffentlichen Gebäuden befinden sich Stadt- und Kantonswappen.

Auf den Strassen defilieren etwa das blau-weisse Wappen Bayerns am Kühlergrill von BMW-Autos vorbei oder die Biscione, eine menschenverschlingende Schlange, in Kombination mit dem Mailänder Kreuz bei Alfa Romeo, aber auch Löwen, Wappentier der Franche-Comté und Heimat von Peugeot. In Läden ist das Einhorn der Frey-Schokoladen zu sehen, die Medusa von Versace, das Malteser Kreuz von Vacheron Constantin respektive das des Ordens von Calatrava bei Patek Philippe und Lilien auf Chronographen von Louis Moinet, schliesslich auf Restaurantterrassen die Löwen von Löwenbräu oder Kronenbourg sowie der Zentaur von Rémy Martin.

Wappen wirken zwar altmodisch, faszinieren aber mit ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung auch heute. Man denke nur an Dan Browns Romane mit ihren esoterischen Interpretationen, an die Familienwappen in «Game of Thrones» oder die des Hauses Hogwarts in «Harry Potter».

Nur logisch, dass Ernst Stavro Blofeld von Sir Hillary Bray, Emissär des College of Arms (Königliches Heraldik-Institut), in «James Bond 007 im Geheimdienst ihrer Majestät» die Anerkennung seiner Zugehörigkeit zur Dynastie der Bleuchamp forderte. Tatsächlich sind es nicht wenige, die sich Wappen unberechtigterweise aneignen.

Donald Trump etwa übernahm das Wahrzeichen – drei durch Winkel getrennte Löwen – der Familie von Joseph Edward Davies, dem dritten Ehemann von Marjorie Merriweather Post. Die Besitzerin von General Foods hatte das Resort Mar-a-Lago als ihren Sommersitz erbaut. Heraldischer Snobismus hat, nicht nur beim Bond-Bösen Blofeld und beim amerikanischen Präsidenten, eine lange Tradition.

Olivier Furrer, Präsident der Schweizerischen Heraldischen Gesellschaft, sagt, dass schon Anfang des 12. Jahrhunderts Schilder gekennzeichnet wurden, um den Soldaten und Kämpfern die Identifikation ihrer Mitstreiter zu erleichtern. In der Folge wurden sie auch an Turnieren verwendet. «Heraldik geht also auf die Schlachtfelder zurück», sagt Furrer. Wohl auch darum gaben sich Fussballclubs ihre eigenen Embleme, die man heute auf Fanartikeln wiederfindet.

Das Alfa-Firmenlogo wurde dem Wappen der Stadt und des Herzogtums Mailand nachempfunden. Dieses wiederum enthält tragende Elemente aus den Familienwappen der Sforza und Visconti übernommen.

Zugehörigkeit und Usurpation

«Mehr als nur Siegel, suggerieren Wappen Zugehörigkeit und Beständigkeit, analog den Bezeichnungen ‹gegründet› oder ‹since/seit›», sagt Dan McCabe, Spezialist für die Verbindung von Heraldik und Marken an der Universität Portsmouth. «Die grosse Besonderheit der Wappen besteht in ihrer Weitergabe», sagt Furrer, der Schweizer Heraldiker.

Ähnlich wie bei einer Uhr von Patek Philippe. Die Nachfolge der Dynastien führte im Laufe der Zeit zur hochpräzisen Kodierung der Wappen. Und es entstanden Obrigkeiten, die die Registrierung von Wappen obligatorisch machten, um so Steuereinnahmen zu generieren. Was wiederum eine bestimmte Reglementierung notwendig machte.

Die Vorschriften seien sehr streng, gestattet seien einzig die Farben Schwarz, Rot, Blau und Grün so wie zwei Metalle, Gold und Silber, plus Kronen und Beizeichen, um die Übergabe an einen Nachkommen zu illustrieren, sagt Eric Nusslé, Neuenburger Heraldiker (Archives Vivantes): «Ziel eines Wappens ist es, mit möglichst wenigen Worten viel auszudrücken.»

In der Schweiz waren Wappen nicht nur eine Angelegenheit der Noblen, sondern auch der Bauern und der Mitglieder von Handwerkszünften. «95% der Bevölkerung besitzen Wappen, die in den regionalen oder kantonalen Verzeichnissen registriert sind – sie wissen es oft aber nicht», sagt Nusslé. Die Embleme sind vielfach bäuerlich oder handwerklich geprägt, wie etwa das auf der Schwungmasse gravierte Piaget-Wappen. Sie spielen auch in der Weinwelt eine wichtige Rolle, indem die Flakons etwa mit Familienund Terroir-Insignien geschmückt sind.

So gesehen bei den Winzerfamilien Montmolin in Auvernier oder Mauler in Môtiers. Doch in diesem Bereich wird auch Missbrauch betrieben. Dan McCabe von der Universität Portsmouth stellte in einer Untersuchung fest, dass zwar 436 der von der britischen Kette Waitrose vertriebenen Appellations mit einem Wappen geschmückt waren, davon aber mehr als die Hälfte (56%) heraldisch belanglos, also frei erfunden war. Britische Konsumenten sind für Wappen besonders empfänglich, so sieht es aus.

Diesen begegnet man im Konsumalltag auf der Insel häufig – die Royal Warrant Holders Association autorisiert heimische Marken wie Asprey, Aston Martin oder Burberry, aber auch ausländische Häuser wie Champagner Bollinger, Cartier und sogar Nestlé, sich mit den Wappen der Queen, des Duke of Edinburgh oder des Prince of Wales zu schmücken.

In Grossbritannien und auch in Amerika kümmern sich viele Designer nicht gross um solche Bewilligungen. Sie benutzen stattdessen lieber Banner, Kreuze, Tiere aus der Mythologie und schaffen ihre eigenen, oft geometrischen Neuinterpretationen von heraldischen Symbolen. Etwa die Modedesignerin Stella McCartney für das Outfit des Team UK an den Olympischen Spielen von Rio 2016.

Und das auf Grafikdesign spezialisierte Verlagshaus Counter-Print publizierte 2015 das Werk «Seals, Stamps, Crests & Shields». Darin werden die Logos von über 350 auf Symbolen basierenden Marken analysiert, weiterentwickelt von Designern wie Anagrama, Bielke&Yang oder Toko. Was dann wohl so etwas wie die neuzeitliche Variante der alten Wappenkunde darstellt.