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Visionsloses Europa

Der europäische Aktienmarkt sei deutlich billiger als der US-amerikanische, heisst es. Doch Bewertungen sind nur ein Mosaiksteinchen in einem ganzen Gefüge des Systems. Sie stellen keine für sich allein stehende Entscheidungsmerkmale für die Börse dar. Sie spielen dort, wo zwischen wenigen Parteien hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, eine ganz andere Rolle als an den Börsen, an denen es um konkurrierende Zukunftsvisionen geht. - Unter den vielen herumschwirrenden gibt es eine kleine Gruppe mit katalytischer Wirkung, welche die verschiedenen Populationen zu einer Koalition zusammenschweisst, die dadurch eine Partei bildet: Die der Bullen oder die der Bären. Das einzige, was sie zusammenhält, ist die Übereinstimmung ihrer Visionen.

Weder Bulle noch Bär

Was sie trennt, ist die Methode, mit der sie zu ihren Visionen gelangen. Die Dominanz einer Partei hält solange an, bis sie zerfällt. Das ist dann der Fall, wenn immer weitere Populationen aus ihrer Koalition ausbrechen und die gegenteilige Visionen annehmen. So sind soziale Systeme eben. Um zu verstehen, ob eine Desintegration einer Partei stattfindet oder nicht, gibt es eine Fülle von Hilfsmitteln, die dem Bereich der technischen Analyse zugeordnet werden.

Das Problem der europäischen Börsen besteht darin, dass die Partei der Bullen etwa gleich stark ist wie die Partei der Bären – und dass beide weder wachsen noch zerfallen. Das bisherige Ergebnis dieses Jahres ist ein Minus des DJ Stoxx Europe 600 von 1,8% im Vergleich zu einem Plus des MSCI Welt von 4,1%, des S&P 500 von 8,5% und des Nasdaq von 19,6%. Diese Zahlen verschieben sich, wenn man Dividenden dazurechnet und alles in Dollar oder in Euro ausweist, doch bleibt in jedem Fall das Verhältnis zugunsten der US-Aktien im Vergleich zu Europa massiv positiv.

In USA treiben die Sektoren

Die bessere Performance des US-Marktes liegt an den Sektoren. Der weltweit stärkste Sektor, Information Technology, weist ein höheres Momentum und eine höhere Kapitalisierung in den USA auf als das Pendant in Europa. Zudem gibt es vor allem in den USA in anderen Sektoren Industrien mit einer hohen Innovationskraft, die die Indizes nach oben treiben. Gleichzeitig gibt es Sektoren, die gleich stark oder noch stärker fallen als in Europa. Das hat einen Einfluss auf die Marktbreite, bremst den Anstieg der Indizes, reicht aber nicht aus, um ihre positive Stärke zu Europa zu brechen: IT Welt legte bis zum letzten Freitag dieses Jahr 14,8% zu, IT Europa 9,2%, IT USA 20,2%.

In Europa fehlt auch weitgehend eine Fülle von Unternehmen, die das Rad neu erfunden und damit ein altes Geschäftsmodell (z.B. das Warenhaus) revolutioniert haben, wie Amazon (+72,1%), Cintas (+37%) oder Hersteller medizinischer Produkte wie Align Technologies (+74%) oder Intuitive Surgical (+53,5%), nicht zu vergessen PayPal (Zahlungssysteme, +25,4%). Kurz: Die Welt steht an der Schwelle zu einer technologischen Revolution. Diese geht von den USA aus. Das hat wenig mit der Regierung zu tun, mit der Sparquote der Amerikaner, mit dem Budgetdefizit der USA und nur vielleicht ein bisschen auch mit der monetären Politik, dafür aber umso mehr mit dem amerikanischen Pioniergeist.

Liegt eine spekulative Blase vor? Nein. Die Begründung dafür habe ich in der Kolumne vom 21. März unter dem Titel «Das Paradigma hinter dem Nasdaq» geliefert (fuw.ch/050918-9). Sie ist heute noch gültig.