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Verwaltungsräte: wie ein Käfer auf dem Rücken

Die jüngste Kontroverse um die Führung von J. P. Morgan Chase hat den Blick auf ein weitaus grösseres Problem versperrt. Ungeachtet der Tatsache, dass Jamie Dimon seine Doppelrolle als CEO und Verwaltungsratsvorsitzender beibehalten darf, ist das Versagen des Verwaltungsrats selbst deutlich geworden – ein Problem, von dem fast alle Megabanken der Welt betroffen sind.

Im Fall von J. P. Morgan Chase ist das völlig offensichtlich. Der Bericht des jüngsten parteiübergreifenden Untersuchungsausschusses unter der Leitung der US-Senatoren Carl Levin und John McCain, der sich mit dem berüchtigten Handelsskandal im Zusammenhang mit dem «Londoner Wal» befasst, ist nur ein Beispiel hierfür. Hinzu kommen zahlreiche Klagen und Rechtsstreitigkeiten, mit denen die US-Grossbank konfrontiert ist. Es ist schwer vorstellbar, dass J. P. Morgan Chase ihrer Vergangenheit in absehbarer Zeit entkommen kann.

Doch das Problem ist deutlich weitreichender: Keine einzige globale Megabank besitzt einen gut funktionierenden Verwaltungsrat. Das Verhalten der Mitglieder gegenüber den CEO ist unterwürfig, Entscheidungen des Managements werden nicht eingehend geprüft, und Ansprüche in Bezug auf die Vergütung werden, abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, abgenickt.

Es gibt drei zentrale Gründe für die Gleichgültigkeit in den Verwaltungsräten von Grossbanken: Erstens und vor allem gibt es keinen Markt für die Kontrolle über die grössten Banken. Man kann keine massgebliche Beteiligung aufbauen und sie einsetzen, um Druck auf den Verwaltungsrat auszuüben – geschweige denn eine feindliche Übernahme anstreben. Der «Londoner Wal» ist ein typisches Beispiel. Der Druck, der auf J. P. Morgan Chase ausgeübt wurde, war vollkommen unerheblich – es wird keine nennenswerten Veränderungen geben.

Das liegt vor allem daran, dass Regulierungsbehörden – entgegen ihren Behauptungen – Megabanken im Grunde vor Marktdisziplin schützen. «Systemische Bedeutung» ist zur Entschuldigung für die Beibehaltung unüberwindbarer Barrieren geworden, die den Zugang zur Branche blockieren (ein Grund mehr, warum Managements wollen, dass ihre Unternehmen als zu gross zum Scheitern angesehen werden).

VR-Mitglieder wissen zu wenig, um unbequem zu fragen

Zweitens mangelt es den meisten Verwaltungsratsmitgliedern an ausreichendem Sachverstand. Wer von den Mitgliedern des derzeitigen Verwaltungsrats von J. P. Morgan oder Citigroup hat wirklich Erfahrung in der Führung eines gigantischen komplexen Handelsgeschäfts (ein Umstand, der in den nächsten zehn Jahren über Erfolg oder Misserfolg dieser Unternehmen entscheiden wird)? Wer unter ihnen versteht makroökonomische Risiken nicht im Sinne der Plattitüden des vorherrschenden Konsens, sondern als die Extremrisiken («Tail Risks») – die unwahrscheinlichen Ereignisse mit grossem Verlustpotenzial –, die stets als Schwanz mit dem Hund der Finanzkrise wedeln?

Unqualifizierte Verwaltungsratsmitglieder stellen keine unbequemen Fragen. Und fünf Jahre nach der grössten Finanzkrise in fast achtzig Jahren kann man die qualifizierten Aufsichtsratsmitglieder – über alle Megabanken hinweg – an einer Hand abzählen.

Demzufolge stehen die Führungskräfte nicht unter Druck, die undurchsichtigen Schleier zu lüften, die ihre Risikobereitschaft vor wirksamen Kontrollen schützen. Dies trägt dazu bei, Verwaltungsratsmitglieder im Dunkeln zu lassen – und liefert ihnen eine bequeme Ausrede, nicht wirklich zu verstehen, wie das Geschäft funktioniert.

Es gibt verschiedene formelle Regelungen, die eine funktionierende Aufsicht ermöglichen können. Im Prinzip kann ein entschlossener Lead Director, also ein nicht exekutives, erfahrenes Mitglied, das befugt ist, wenn nötig selbständig eine Sitzung des Verwaltungsrats einzuberufen und zu leiten, genauso effektiv sein wie ein unabhängiger Verwaltungsratspräsident – ein Punkt, auf den in den vergangenen Wochen zu Recht hingewiesen worden ist.

Aber welches der grossen Bankenkonglomerate hat heutzutage einen solchen Lead Director? Welche Verwaltungsratsmitglieder sind bereit und in der Lage, dem CEO Paroli zu bieten? J. P. Morgan Chase hat damit in letzter Zeit jedenfalls keine Erfahrungen gemacht.

Auch Regulierungsbehörden erweisen sich gegenüber den CEO von Megabanken als fügsam. Regulierungsbehörden haben die Macht zu verlangen, dass Verwaltungsräte mehr Einfluss erhalten – oder wenigstens minimal wirksam agieren. So könnten sie strengere Anforderungen an die Qualifikationen stellen, die notwendig sind, um Bankverwaltungsrat zu werden (in den Vereinigten Staaten etwa werden keine ernstzunehmenden Bedingungen gestellt). Stattdessen stehen die Regulierungsbehörden untätig daneben, während sich die Verwaltungsräte der Banken wie ein elitärer Club selbst erneuern und eine Mitgliedschaft als Accessoire verbucht wird, das den gesellschaftlichen Status seines Trägers unterstreicht.

Die grössten Banken sind gar nicht regulierbar

Die Regulierungsbehörden fügen sich, vereinfacht ausgedrückt, weil sie Angst haben. Vor allem befürchten sie, dass eine strenge Aufsicht über die Banken auf irgendeine Art den Kreditfluss stören würde. Diese Befürchtung ist töricht und unbegründet, aber so denken und handeln moderne Regulierungsbehörden – in ständiger, irrationaler Angst.

Die betreffenden Banken sind so gross und von so grosser Bedeutung für das Funktionieren von Volkswirtschaften, dass jede von ihnen zu gross ist, um sie zu regulieren. Immer wenn kleine Gruppen von Einzelpersonen so viel Macht im Verhältnis zum Staat und dem Rest von uns erlangen, sind grosse Probleme programmiert. Macht korrumpiert, und finanzielle Macht korrumpiert das Finanzsystem.

Die grössten Banken sind in den Vorjahren der Krise des Jahres 2008 schlecht geführt worden – mit einer toxischen Mischung aus Selbstüberschätzung, Inkompetenz und übermässig hohem Fremdkapitalanteil –, und ihre Führungsprobleme sind heute schlimmer als 2005 oder 2007. Auf die Krise des Jahres 2008 folgte eine lange, schwere Rezession; wir sollten nicht erwarten, dass sich das Szenario heute anders darstellt.

Copyright: Project Syndicate.