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Too big to fail ist aktueller denn je

Würde heute eine Grossbank kollabieren, müsste sie wieder von ihrem Heimatstaat gerettet werden. Das ist die deprimierende Realität, gut vier Jahre nach dem Untergang von Lehman Brothers. Das globale Finanzsystem ist kein Jota sicherer, viele Banken sind nach wie vor zu schwach kapitalisiert, das Problem des Too big to fail ist aktueller denn je.

Gegenwärtig gewinnt die Diskussion rund um die Grossbanken wieder an Brisanz. Ein britischer Notenbanker forderte Ende August simplere, effektivere Massstäbe in der Regulierung, der Liikanen-Report der Europäischen Union empfiehlt die Abtrennung gewisser Handelsaktivitäten, und in Deutschland hat sogar SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück das Trennbankensystem als Wahlkampfthema entdeckt.

«Banken sollten einfach untergehen können», lautet ein oft gehörtes Argument. Dem ist grundsätzlich beizupflichten, bloss sieht die Realität anders aus: Eine systemrelevante Bank ist kein normales Unternehmen, das im Konkursfall in einem geordneten, mehrmonatigen Nachlassverfahren zerlegt werden kann. Diese Zeit steht im Finanzsystem nicht zur Verfügung. Eine gestrauchelte Grossbank muss mit all ihren globalen Aktivitäten binnen eines Wochenendes isoliert werden können, damit ihre Bilanz nicht in einem chaotischen Prozess zerfällt und dabei das Finanzsystem angesteckt wird. Von internationalen Standards zur Abwicklung grenzüberschreitend tätiger Banken ist nichts zu sehen – und so bleibt der Ruf, Banken sollten untergehen können, eine liberale Utopie.

Subventionierte Kapitalkosten

Es gilt vor allem, die Sicherheit im Finanzsystem zu erhöhen, und dafür bieten sich zwei mögliche Pfade an. Erstens schärfere Kapitalvorschriften, und zweitens die Einführung einer Art von Trennbankensystem. Beide Wege verdienen eine nüchterne Betrachtung.

Das Basel-III-Regelwerk sowie nationale Zusatzbestimmungen wie in der Schweiz beschreiten den ersten Pfad: mehr Kapital. Das ist sinnvoll, denn nach der Nahtod-Erfahrung mit Lehman war ein forcierter Kapitalaufbau unter den Grossbanken der schnellste und effektivste Weg, das Finanzsystem sicherer zu machen. Bloss begingen die Basel-III-Architekten drei Fehler: Das Regelwerk geht erstens zu wenig weit, es ist zweitens zu komplex, und den Banken wurde drittens viel zu viel Zeit – bis 2019 – eingeräumt, um es zu erfüllen.

Es ist den Banken gelungen, erfolgreich gegen zu scharfe Eigenkapitalvorschriften zu lobbyieren. Eigenkapital sei teuer, argumentierten sie, ergo werde der Zwang zu mehr Eigenmitteln ihre Kapitalkosten erhöhen, was die Kreditvergabe verteuere und der Wirtschaft schade. Das Argument verfing, es klang logisch. Aber es war falsch. Eigenkapital ist für eine Grossbank vor allem deshalb so teuer, weil sie kaum Eigenkapital besitzt und dieses deshalb eine hohe Risikoprämie enthält.

Dazu kommt ein zweiter Effekt: Keine Bank würde einem Industrieunternehmen Kredit gewähren – oder nur zu prohibitiv hohen Zinsen –, wenn dieses nur 3% Eigenmittel besässe. Im Fall der Banken ist das anders: Alle ihre Fremdkapitalgeber, von den Spardepositären über die Geldmarkt- und Interbankengläubiger bis zu den unbesicherten Obligationären, verlangen nur bescheidene Zinsen – was paradox ist angesichts einer Bilanz, die nicht selten zu 97% aus Fremdmitteln besteht. Doch das hat nicht primär mit Vertrauen in das Institut und sein Management zu tun, sondern liegt an der expliziten und impliziten Staatsgarantie, die die Bank geniesst. Die Fremdkapitalgeber wissen, dass sie im Notfall gerettet werden.

Eigenkapital erscheint also unverhältnismässig teuer, während Fremdkapital zu abnormal günstigen Konditionen verfügbar ist. Das ist nichts anderes als eine Subvention der Kapitalkosten, die der Domizilstaat seinen systemrelevanten Banken gewährt. Der Anreiz für die Bank, ihren Eigenmittelanteil auf das Minimum zu beschränken, ist evident. Wer also fordert, Grossbanken müssten schärfere Eigenkapitalvorschriften erfüllen, ist nicht etwa ein linker Etatist, sondern setzt sich für die Abschaffung einer marktverzerrenden Subvention ein.

Den zweiten Mangel des Basel-III-Pakets hat Andrew Haldane, Exekutivdirektor der Bank of England, Ende August in Jackson Hole angeprangert: Basel III vertraut wie sein Vorgängerwerk auf komplexe, bankinterne Modelle zur Berechnung und Gewichtung von Risiken. Dem zu Grunde liegt der in der Finanzwelt ungebrochene Glaube an die präzise Aussagekraft komplexer mathematischer Modelle. Dabei beruhen diese Modelle auf Annahmen, beispielsweise konstanter historischer Korrelationen, die sich im Ernstfall verflüchtigen. Die Modellgläubigkeit hat in den Banken zu einer Kultur der Scheinpräzision geführt. Der Grundsatz umsichtiger, auf Sicherheitsmargen bedachter Geschäftsführung ging verloren.

Der dritte Fehler von Basel III liegt in der langen Übergangsfrist. Es war enorm naiv zu glauben, die Banken – besonders in Europa – würden bis 2019 auf wundersame Weise so viel Gewinn erzielen, dass sich ihr Problem der zu schwachen Kapitalisierung von selbst löste.

Gewiss: Basel III ist besser als gar nichts. Aber das Paket ist unbefriedigend. Die Forderung nach dickeren Kapitalpolstern sollte aufrechterhalten werden. Je höher das verlustabsorbierende Kapital in den Bankbilanzen, desto geringer das Risiko der Notwendigkeit weiterer staatlich finanzierter Rettungsaktionen.

Vom Markt verordnete Trennung

Wie steht es mit dem Trennbankensystem, der Abspaltung der Handelsaktivitäten im Investment Banking von der Retail- und der Geschäftsbank? Ein historisches Argument spricht dafür: Die fünf Jahrzehnte nach dem Glass-Steagall Act, der 1933 in den USA das Trennbankengesetz verankerte, waren im US-Finanzsystem im historischen Kontext eine abnormal stabile Zeit. Erst als Glass-Steagall ab 1984 stufenweise geschliffen wurde, nahm die Häufigkeit von Bankenkrisen wieder zu. Zudem mag die Begründung einleuchten, dass die über die Einlagenversicherung geschützten Spargelder keine riskanten Trading-Aktivitäten querfinanzieren sollten.

Ein Trennbankengesetz wäre aber ein harter staatlicher Eingriff in die Entfaltungsfreiheit der Banken – zumal traditionelle Investment-Banking-Bereiche wie die Beratung bei Übernahmen oder das Underwriting von Wertschriftenemissionen weder hochriskant noch besonders kapitalintensiv sind. Statt per Gesetz wäre es besser, der freie Markt würde die grossen Universalbanken dazu animieren, die riskanten Teile ihres Investment Banking abzustossen. Die Historie liefert dafür eine Blaupause: Nach dem Börsencrash von 1929 sank das Kurs-Buchwert-Verhältnis der amerikanischen Grossbanken in den frühen Jahren der Grossen Depression von zuvor 3 auf unter 1. Sie wurden an der Börse vor allem wegen ihrer Brokerage-Aktivitäten als Kapitalvernichter eingestuft – genau wie die grossen Universalbanken heute.

Die Verwaltungsräte der beiden damals grössten Banken, Chase National und National City Bank, wollten diesen Zustand nicht akzeptieren. Sie beschlossen Anfang März 1933, ihre Brokerage-Einheiten abzustossen. Der Glass-Steagall Act wurde erst im Juni 1933 erlassen. Es war also nicht das Gesetz, das die Ära des Trennbankensystems einläutete, sondern die Banken selbst, die den Signalen des Marktes folgten: Sie trennten sich von ihren kapitalvernichtenden Einheiten, wegen derer sie an der Börse mit einem Malus behaftet waren. Wer macht dieses Mal den Anfang?

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