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Stunde der Wahrheit für die EU

Ende Juni kommen die Staats- und Regierungschefs Europas wieder zu einem EU-Gipfel zusammen. Abgesehen von den mittlerweile üblichen Gesprächen über den Brexit, die Herausforderungen durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump und das Schicksal Griechenlands werden sie «historische» Entscheidungen über die Zukunft der Eurozone fällen – wie immer. Mehr als Enttäuschendes dürfte dabei kaum herauskommen – wie immer. Dieses Mal allerdings sind die Einsätze höher, der Gipfel ist seit langem erwartet worden.

Er markiert das Ende einer langen Periode, an deren Beginn die Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten stand. In Zeiten einer wachsenden Euroskepsis schien sie ein Beleg zu sein, dass die Menschen nicht Europa selbst abgeneigt sind, sondern nur der mangelhaften Führung durch fade, rückgratlose Politiker und einer bürokratischen Kommission überdrüssig.

Macron hielt eine Reihe flammender, ehrgeiziger Reden. Ohne Deutschlands Mitwirkung jedoch ist in Sachen Europa nichts zu machen, und Deutschland war zuerst mit Wahlen beschäftigt und hatte eine langwierige Regierungsbildung zu bewältigen. In Italien sind die Dinge zwar noch in Bewegung, dennoch dürfte die europäische Bühne nun zum ersten Mal seit einem Jahr bereit sein für den Showdown.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist aus den Wahlen aber geschwächt hervorgegangen. In den drei Parteien der grossen Koalition klafft ein tiefer Graben zwischen dem proeuropäischen Lager und den Euroskeptikern. Angela Merkel würde in Macrons Enthusiasmus ja gerne einstimmen, nur: Enthusiasmus ist ihre Sache nicht, und nun ist erst recht Vorsicht angebracht, an der es ihr doch ohnehin schon nicht mangelt.

Macrons Pläne und die Realität

Freilich ist Macrons Enthusiasmus für Europa eher oberflächlicher Natur. Über seine Vorhaben für Frankreich selbst hat er sich eingehend Gedanken gemacht. Seine Vorschläge mit Blick auf Europa hingegen waren entweder bloss schöne Rhetorik (etwa Schüler und Studenten zu ermuntern, andere Länder zu besuchen, oder über den gesamten Kontinent hinweg Graswurzeldebatten über die Zukunft Europas zu organisieren) – oder aber nichts als die Neuauflage alter französischer Ideen, die sonst von keinem Land unterstützt werden, etwa die Vision eines Eurozone-Finanzministers mit einem erheblichen eigenen Budget. Das macht die Sache für die anderen Staatschefs schwierig, die an und für sich gern auf Macrons Europa-Zug aufgesprungen wären – vor allem, aber nicht nur für Angela Merkel.

Denn gegenwärtig ist Europa in vielerlei Themenbereichen tief gespalten. Die nördlichen Mitgliedländer wollen nichts davon wissen, für ihre Partner im Süden zu zahlen. Für die Osteuropäer kommt es nicht in Frage, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, die jetzt im Westen sind, vor allem in Deutschland und Italien.

Italien fühlt sich nicht nur in der Flüchtlingsfrage allein gelassen, sondern ist auch der Ansicht, die – in den europäischen Verträgen nur vage gefasste – Solidarität müsse auch Hilfe bei seiner enormen Staatsverschuldung bedeuten. Und die öffentliche Meinung ist, wie in vielen anderen Ländern auch, gespalten zwischen den proeuropäischen «Eliten» und der euroskeptischen «breiten Masse».

Die Eliten sind in Schockstarre angesichts von Phänomenen wie Donald Trump, Brexit und Italien. Die einen, wie Emmanuel Macron, sehen deshalb kühne Schritte als angebracht, um so zu demonstrieren, dass Europa in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln. Die anderen, wie Angela Merkel, setzen auf ein zurückhaltendes, vorsichtiges Vorgehen, um keine heftige Gegenreaktion zu provozieren.

Wenn früher neue, kühne Pläne zur Debatte standen, konnte man sich darauf verlassen, dass Grossbritannien gegebenenfalls einschreitet, die Vorhaben bremst oder Ausnahmen aushandelt. So mancher nördliche EU-Staat war dafür mehr als dankbar, nicht selten auch Deutschland. Nun, mit dem Brexit und einer schwachen Bundeskanzlerin Merkel, machen sie sich Sorgen. Deshalb haben sich vor einigen Monaten die Niederlande aus der Deckung gewagt und sich gegen die französischen Vorschläge gestellt. Offenbar mit Erfolg: Macron hat seine ambitionierteren Projekte still und leise zu den Akten gelegt.

Was dürfte der EU-Gipfel Ende Juni also hervorbringen? Die gute Nachricht: Die gegenwärtigen Verhandlungen konzentrieren sich auf die noch unvollendete Bankenunion. Dieses fehlende Element des Maastricht-Vertrags wurde inmitten der Wirren der Eurokrise eingeführt. Die grossen Banken werden nun von der Europäischen Zentralbank beaufsichtigt, und es gibt sogar eine einheitliche Behörde für den Umgang mit insolvenzgefährdeten Instituten. Bloss: So einheitlich ist diese Behörde nicht, nach wie vor kommen auch die nationalen Behörden ins Spiel, die das Vorgehen mit ihr koordinieren sollen – der Weg ins Desaster ist vorgezeichnet, sollte eine Krise ausbrechen.

Zudem sind, wenn eine Bank in Schieflage gerät, grosse Summen vonnöten, erst recht, wenn die Schwierigkeiten mehrere Institute erfassen. Doch weder die einheitliche Behörde noch die nationalen Stellen verfügen über substanzielle Ressourcen für einen solchen Fall.

So könnte sich ein Euromitgliedstaat in einer neuen Bankenkrise – die ja jederzeit möglich ist – gezwungen sehen, hohe Summen einzuschiessen, für die er sich verschulden müsste. Genau so sind Spanien, Irland und Zypern vor ein paar Jahren in eine Schuldenkrise gerutscht. Das Gleiche gilt für die Einlagensicherung: Die Einlagen bei Banken der Eurozone sind bis 100 000 € garantiert. Auch das eine Menge Geld, das die nationale Regierung im Fall des Falles bereitstellen müsste – und entsprechend ein ernstes Risiko für den Staatshaushalt.

Ein gemeinsamer Fonds für den Umgang mit konkursgefährdeten Banken und ein zweiter für die Einlagensicherung sind der natürliche nächste Schritt auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion. Die nördlichen Länder allerdings gehen davon aus, dass sie dieses Geld niemals benötigen werden – womit das Vorhaben für sie darauf hinausläuft, die Südländer zu beschützen, die deshalb wiederum keinerlei Anreiz haben, ihren Bankensektor in Ordnung zu bringen. Die Deutsche Bundesbank besteht darauf, dass Italien zuerst seine schwachen Banken restrukturieren müsse.

Europäischer Währungsfonds möglich

Trotzdem ist es möglich, dass eine Einigung zustande kommt. Die «historische» Entscheidung dürfte die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (European Monetary Fund, EMF) sein – in Tat und Wahrheit die Umbenennung des 2012 lancierten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Damit verbunden wären ein Fonds für kriselnde Bankinstitute, aufzubauen bis 2024, und vielleicht ein Einlagensicherungsmechanismus. Ob diese Fonds sich nach den restriktiven Regeln des Europäischen Stabilitätsmechanismus richten sollen – was einen einstimmigen Beschluss erfordert, inklusive der Zustimmung des deutschen Bundestags –, ist noch offen, derzeit deutet aber vieles darauf hin. Das wäre immerhin ein kleiner Schritt.

Kommt dann noch die eine oder andere symbolische Geste dazu, etwa ein eigenes kleines Budget für die Eurozone innerhalb des Haushalts der Kommission, scheint jetzt schon klar: Macron wird enttäuscht sein, die Niederlande ein Stück weit beruhigt und Merkel erleichtert.

Für die Abschlusserklärung der Tagung können sich dann alle medienwirksam gegenseitig gratulieren, wie gut sie Europa «en marche» gebracht oder «wieder gross gemacht» hätten – während sie hinter den Kulissen bange auf Italiens nächsten Zug warten.

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