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Spaniens Erfolgsgeschichte

Spanien feiert in diesen Tagen – in konfusen, politisch aufgeheizten Zeiten – mit ziemlichem Pomp das vierzigste Jubiläum der Verfassung. Es wirkt, als müsste man sich kollektiv dringend daran erinnern, wie wichtig das Grundgesetz von 1978 für das friedliche Zusammenleben aller Spanier ist. Gefeiert wird nicht etwa ein runder Geburtstag oder eine hundertjährige Ephemeride, es sind bloss vier Jahrzehnte demokratischer Staatsordnung, die aber Spanien grundsätzlich, ja spektakulär verändert haben.

Man mag die letzten vierzig Jahre spanischer Gegenwartsgeschichte deuten, wie man will, aber eines ist sicher, wie König Felipe VI in einer grossartigen Rede am Donnerstag vor dem spanischen Parlament ausführte: Diese Epoche ist faszinierend und hat wie selten zuvor das spanische Leben berauscht. Es ist nun auch die längste und stabilste Periode in der demokratischen Geschichte Spaniens.

Die früheren demokratischen Erfahrungen waren kurz, polemisch und äusserst heikel. Das demokratische Experiment von 1868 bis 1874 ging zwischen Regimewechsel und kolonialen, kantonalen und karlistischen Aufständen unter. Die Zweite Republik (1931–1936) mündete in den militärischen Aufstand von 1936 und in einen furchtbaren Bürgerkrieg (1936–1939), dem die lange Diktatur des Generalissimus Francisco Franco folgte.

Die «Transición» ist gelungen

Die heutige Verfassung von 1978 – die neunte seit der liberalen Verfassungsproklamation von 1812 in Cádiz – hat den Spaniern endlich Prosperität, Frieden und Fortschritt in pluralistischer Gesellschaftsordnung gebracht. Man erinnert sich: Die beispielhafte «Transición», der friedvolle Übergang von der Diktatur in eine parlamentarische Monarchie, also in die Demokratie, stellt einen grossen geschichtlichen Erfolg dar. Dass diese friedvolle und auf Versöhnung aufbauende Entwicklung so glücklich über die Bühne ging, verdanken die Spanier natürlich sich selbst, nicht zuletzt aber ihrem König Juan Carlos I, dem Vater des jetzigen Monarchen, der mit absoluter Macht ausgestattet, entschieden die demokratischen Reformen voranbrachte.

Unterstützt vom couragierten, jungen Premier Adolfo Suárez gelang – trotz unvermeidlicher Fehler – das Wesentliche. Mit grosser Energie und taktischem Geschick trieben König und Premier in atemberaubendem Tempo die Demokratisierung des Landes voran. Sie schafften den Spagat, ohne ihren Eid auf das Grundgesetz zu brechen, zu einer demokratischen Ordnung – und zwar in konsequenter Weiterentwicklung des vorgegebenen Rechtsstaats. Suárez brachte 1976 die frankistischen Cortes zur Selbstauflösung und liess dann nacheinander die anderen Parteien zu – gegen den erbitterten Widerstand des Militärs auch die Kommunisten.

Der König gewann definitiv die Zuneigung der Spanier, als er am 23. Februar 1981 die putschenden Obristen zurück in die Kasernen befahl; die Militärs hatten sich – frustriert über die demokratischen Entwicklungen und den ETA-Terror – des Parlaments und der ganzen Regierung in corpore bemächtigt. Solche ominöse Episoden aus der Vergangenheit mögen 2018 vielen jungen Spaniern bizarr, ja irreal vorkommen, aber sie liegen gar nicht so weit zurück und erinnern daran, dass das Erreichte keine Selbstverständlichkeit ist.

Denn – wie Golo Mann sagte – die Geschichte ist kein Mantel, den ein Volk ausziehen und in die Garderobe hängen kann. Heute ist Spanien eine konsolidierte Demokratie westlichen Zuschnitts. Die Verfassung von 1978 definiert Spanien als parlamentarische Monarchie und als sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Zwischen 1978 und 1983 ordnete sich der spanische Staat neu in siebzehn Autonomieregionen sowie in die zwei autonomen Städte Ceuta und Melilla. Damit hat das Land die seit 1700 grösste territoriale Revolution vollzogen und gehört zu den dezentralsten Staaten Europas.

Die anderen sozialen, politischen und ökonomischen Umwälzungen waren nicht weniger eindrucksvoll: Mit dem Einzug in die Nato und in die EU meldete sich Madrid auf dem internationalen Parkett zurück. Die traditionellen Bande zu Lateinamerika wurden ausgebaut und in den 1990er-Jahren avancierte Spanien dort noch vor Nordamerika zum wichtigsten Investor. Um die Jahrtausendwende stieg das Land zur achtgrössten Volkswirtschaft auf, was v. a. darauf hindeutete, dass Spanien nicht mehr ein rückständiges Agrar- und Industrieland ist, sondern Dienstleistungen, Bau, Handel, Tourismus, Banken und Telekommunikation nun zur Wirtschaftsdynamik beitragen.

Ein weiteres Novum machte Schlagzeilen: Die Spanier emigrierten nicht mehr, im Gegenteil: Von 1990 bis 2005 liessen sich über vier Millionen Migranten in Spanien nieder, vorwiegend aus Lateinamerika, Osteuropa und dem Maghreb. Mit anderen Worten: Spanien war nicht mehr «different». Dieses Schlagwort, das jahrzehntelang dafür stand, den spanischen Sonderweg – manchmal bewundernd, manchmal despektierlich – zu beschreiben, das oft auch für viele Spanier für die eigene selbstquälerische Vergangenheitsbewältigung herhalten musste, ist obsolet.

Trotzdem scheint es angesichts des zunehmend angespannten politischen Klimas dringend geboten, darauf hinzuweisen, dass diese über alles gesehen eindrückliche Erfolgsgeschichte nur möglich geworden ist, weil das Grundgesetz, das jetzt gefeiert wird, im Geiste der Versöhnung entstand. Zugegeben: Von den anderen Gespenstern, die die spanische Geschichte in den verschiedensten Etappen begleitet haben, der politischen Stabilität, der Religion, des Militärs und der territorialen Frage, ist die letztere die eigentliche Achillesferse der spanischen Demokratie geblieben. Der gärende Konflikt in Katalonien hat die spanische Demokratie in Geiselhaft genommen, und es erfordert die grösste Anstrengung aller Beteiligten, ihn zu entschärfen und zu einer Normalität des Miteinanders zurückzufinden.

Parteienszenerie im Wandel

Derweil verändert sich die Parteienlandschaft rapide. Nach Jahren des Zweiparteiensystems kämpfen nun fünf politische Kräfte um die demokratische Macht. Einige von ihnen – v. a. die Postkommunisten Podemos – wollen die jetzige Verfassung und mit ihr die Monarchie abschaffen, die Separatisten ebenso. Andere giessen in Zeiten der Fake News, des Manipulierens statt Argumentierens, noch mehr Öl ins Feuer und stehen für einen radikalen geschichtlichen Revisionismus ein.

Deshalb ist es ganz gut, dass in Zeiten der politischen Mittelmässigkeit auch in Spanien die zivile Gesellschaft fortschreitet, dass sie ihren demokratischen Institutionen Sorge trägt und einen ehrlichen Beitrag leistet gegen die Beliebigkeit der politischen Korrektheit, für das Recht der freien Meinungsbildung und Rede – als kostbarstes Gut der Demokratie.