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Spanien vor schwierigem Neuanfang

Binnen einer knappen Woche hat sich in Spanien das politische Szenarium dramatisch und grundlegend verändert. Der durch ein überraschendes konstruktives Misstrauensvotums aus dem Amt gedrängte Regierungschef Mariano Rajoy ist am vergangenen Freitag vom Sozialistenchef Pedro Sánchez in Windeseile abgelöst worden.

Im Parlament stimmten 180 der 350 Abgeordneten aus einem breiten Parteienbündnis aus der linksradikalen Podemos, katalanischen, baskischen und anderer Regionalgruppierungen für den Vorstoss des sozialistischen PSOE, womit der Sturz Rajoys besiegelt war.

Sánchez ist damit ein Coup gelungen, mit dem wohl niemand gerechnet hatte. Am wenigsten die Konservativen Rajoys, die noch wenige Tage zuvor mit Hilfe der liberalen Ciudadanos und der baskischen PNV das Budget verabschiedet hatten und sich in einer relativ komfortablen Lage glaubten, um die Legislaturperiode in zwei Jahren bravourös zu beenden.

Wirtschaftspolitische Erfolge

Nun, so schnell kann der politische Wind drehen. Der Schock sitzt tief, und viele aus den Reihen der Konservativen üben sich jetzt in Serendipitätsanalysen, ganz nach dem Buch von Nassim Taleb, «Der schwarze Schwan», das die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse und deren Konsequenzen beschreibt.

Denn wie konnte es geschehen, dass der erfahrene Politiker Rajoy, ein Meister im Lavieren und Aussitzen kniffliger Situationen, die Finte seines Antagonisten, des jüngeren Pedro Sánchez, nicht kommen gesehen hatte? Dieser pokerte hoch und nutzte die vernichtenden Korruptionsurteile gegen relevante Figuren des Partido Popular, um einen Neuanfang, mehr Hygiene im demokratischen Leben zu fordern und somit moralisch sein radikales Erstürmen der Macht zu rechtfertigen. Es war der vierte Misstrauensantrag in der Geschichte der spanischen Demokratie und der erste, durch den ein Regierungschef abgewählt wurde.

Rajoy hätte freilich einen besseren Abgang verdient. Schnell vergessen scheinen seine politischen Meriten, allen voran das Land aus der tiefen ökonomischen Misere herausgeführt zu haben, in der es sich befand, als er 2011 die Regierungsverantwortung übernahm. Spanien stand damals kurz vor dem Rettungsschirm, die Risikoprämie war ausser Rand und Band, die unerträglich hohe Arbeitslosenrate drohte zum sozialen Sprengstoff zu werden, Madrid avancierte zum Sorgenfall in der EU.

Das Erbe des sozialistischen Amtsvorgängers Rodriguez Zapatero, der lange die Wirtschafts-und Finanzkrise verneint hatte, war desaströs. Dezidiert machte sich Rajoy auf, die nötigen Reformen durchzuführen, allen voran eine längst fällige Arbeitsmarktreform, um die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen.

Nun wächst Spanien seit drei Jahren stetig und überdurchschnittlich, die fundamentalen Wirtschaftsdaten sind im Lot, und heuer sollte das BIP wiederum 2,8% wachsen. Schliesslich konnte die turmhohe und beschämende Arbeitslosenrate auf 16% halbiert werden. Es bleibt noch viel zu tun, aber die Weichen sind richtig gestellt.

Nicht weniger bemerkenswert ist der Wechsel des Wirtschaftsmodells, weg von einem bau- und konsuminduzierten Wachstum hin zu einer mehr exportorientierten Wirtschaft, was auf eine deutliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit hinweist. Dass diese Verbesserung dank einer internen Abwertung möglich wurde, ist zum Teil richtig, aber auch die Produktivität konnte deutlich gesteigert werden.

Die positive Wirtschaftsentwicklung ist unbestritten, und im neu verabschiedeten Haushaltplan sind die Konturen eines grossen Pakts mit den Sozialpartnern sichtbar, der substanzielle Lohn-und Rentenerhöhungen vorsieht. Hier wird die neue Regierung die Lorbeeren ernten, wobei sie vermeiden sollte, mit zu vielen wirtschaftspolitischen Zugeständnissen die Wirtschaftserholung zu gefährden.

Mariano Rajoys grösster Triumph seiner knapp siebenjähren Amtszeit ist fraglos, Spanien durch solides Wirtschaften aus der längsten Finanzkrise geführt und in Europa als verlässlichen Partner positioniert zu haben. Dabei vergass er, Politik zu machen – nämlich grosse Politik im Innern, zeitweise auch im Äussern.

Der loyale Staatsdiener bekundete offensichtlich Mühe, eine Vision für das Land zu entwickeln. Auch der Umgang mit der Presse und proaktive Kommunikation waren sein Ding nicht. Zugegeben, er hatte äusserst schwierige Situationen zu meistern, die ihm einiges abverlangten. Im grossen und ganzen führte er das Staatsschiff mit sicherer Hand durch eine stürmische Zeit und genoss in Europa und international grosses Vertrauen.

In der äusserst heiklen Katalonien-Krise vermochte Rajoy es nicht, die Eskalation zu entschärfen, obwohl er sich um einen ehrlichen Dialog bemühte. Die Verschleisserscheinungen des Konflikts, aber auch die vielen, unaufhörlichen Korruptionsfälle in den eigenen Reihen hinterliessen deutliche Spuren. Rajoy wurde im Lauf seiner Regierungszeit von vielen seiner politischen Gegner zur schwarzen Bestie stilisiert, die man weghaben wollte.

Am Schluss hatte man zeitweise den Eindruck, als sei der Premier der vielen Kritik (auch aus den eigenen Reihen) überdrüssig. Mit der Ankündigung, er werde sich definitiv aus der Politik verabschieden, geht auch für seine Partei eine Epoche zu Ende. Sein Nachfolger, der ambitionierte Señor Pedro Sánchez, wollte unbedingt Regierungschef werden.

Jetzt hat er es geschafft, obwohl er noch keine einzige Wahl für seine Partei gewonnen hat. Diese dümpelte vor sich hin, bis Sánchez zum erfolgreichen Befreiungsschlag ausholte. Mit seinem kühnen Schachzug hat er nicht nur die Konservativen weggerückt, sondern auch die aufstrebende liberale Formation, Ciudadanos, die sich im Aufwind befindet, gebremst.

Auf Konservative angewiesen

Unabhängig von den parlamentarischen Ränkespielen und den politischen Winkelzügen haben die spanischen Institutionen einmal mehr beispielhaft demonstriert, dass die politische Alternanz ohne Chaos und Aufruhr – wie viele befürchtet hatten – funktioniert, die Demokratie konsolidiert ist.

Sánchez startet mit Pathos, dem Wunsch nach demokratischer Erneuerung, nach mehr Föderalismus, mehr Bürgerrechten und besseren Sozialleistungen, so als hätte er eine grosse politische Mehrheit hinter sich, die er aber nicht hat. Er führt die schwächste Minderheitsregierung in der Geschichte des Landes an, wird sogar auf die Unterstützung des Partido Popular angewiesen sein.

Eine Sisyphusarbeit erwartet ihn, will er es allen recht machen, um die Legislaturperiode beenden und Neuwahlen ausrufen zu können. Heute ist er ein applaudierter Hoffnungsträger für viele, morgen vielleicht bereits eine Übergangsfigur. Man sollte ihn nicht unterschätzen und natürlich verdient er eine Chance.

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