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Spanien in der politischen Schwebe

Knapp sechs Monate im Amt, naht für den sozialistischen Regierungschef Pedro Sánchez die Stunde der Wahrheit. Bis jetzt hat der Premier, durch einen kühnen Coup in Form eines konstruktiven Misstrauensvotums überraschend an die Macht gekommen, ein ausserordentliches Tempo vorgelegt. Im Wissen, dass er nur mit 84 von insgesamt 350 Parlamentsstimmen auf sehr dünnem Eis regiert, stand er von der ersten Stunde an selbstsicher für einen Neubeginn in der spanischen Politik, für einen anderen Stil und für Dialogbereitschaft nach allen Seiten.

Insbesondere in der verkeilten katalanischen Frage schlug er versöhnliche Töne an, die zunächst zu einer merklichen Entspannung des allgemeinen politischen Lebens geführt haben, wenn auch die katalanischen Separatisten sich bis dato  ziemlich unbeirrt zeigen. Mit einem hochkarätigen Kabinett, das mehrheitlich von Frauen dominiert wird, und mit viel Pathos präsentierte er sich der staunenden Öffentlichkeit als der neue Hoffnungsträger der spanischen Demokratie.

So kündigte Sánchez vehement eine längst fällige demokratische Erneuerung an, mehr Föderalismus, mehr Bürgerrechte und bessere Sozialleistungen, als könnten diese noblen Ziele kraft seines Amtes im Nu erreicht werden.

Primat der Parteipolitik

Entgegen seiner ersten Andeutungen während des Misstrauensvotums gegenüber seinem Vorgänger Mariano Rajoy, dieses zu wagen, um sofortige Neuwahlen auszurufen, wurde der spanischen Öffentlichkeit schnell klar, dass Sánchez sich in seiner Rolle als Regierungschef gut gefällt und so agiert, als besässe er eine satte parlamentarische Mehrheit. Zweifelsohne hat er die unmissverständliche Absicht, die noch verbleibende Legislaturperiode von knapp zwei Jahren voll zu nutzen, auch um verständlicherweise die Machtbasis seiner bis anhin angeschlagenen sozialistischen Partei auszubauen. Diesem Primat wird die unmittelbare politische Aktion der Regierung rigoros untergeordnet.

Auf Kritik der Oppositionsparteien, insbesondere aus den Reihen der unter neuer Führung stehenden Volkspartei, Partido Popular, aber auch aus der sich im Aufwind befindenden liberalen Partei Ciudadanos sowie diverser Medien, hat die sozialistische Exekutive zum Teil dünnhäutig und irritiert reagiert, vielleicht auch, weil sie angesichts ihrer prekären politischen Stärke denkt, es allen recht machen zu müssen. Wegen ihres hohen moralischen Anspruchs, mit dem sie angetreten war, mussten aufgrund früherer Steuerprobleme und anderer Ungereimtheiten bereits zwei Minister den Hut nehmen. Eine Peinlichkeit, welche die Regierung wochenlang erschütterte, so auch die Plagiatsvorwürfe gegen den Regierungschef selbst.

Und trotzdem: Ungeachtet einiger Stolpertritte konsolidiert sich die Regierung zusehends, wenn auch die grössten Herausforderungen noch anstehen. Aussenpolitisch hat sich Sánchez, der perfekt Englisch spricht, in den europäischen und transatlantischen Foren zurückgemeldet, damit Normalität signalisiert und in seinen Begegnungen klar unterstrichen, dass Spanien ein verlässlicher Partner ist, der zur Stabilität der Europäischen Union beiträgt und nicht umgekehrt.

Die Wirtschaftsdaten lassen sich noch sehen, wenn auch richtigerweise bereits eine Korrektur des BIP-Wachstums für dieses Jahr von zunächst 2,8 auf 2,6% vorgenommen worden ist. Nächstes Jahr soll das Wirtschaftswachstum nur noch bei 2,3% liegen. Spanien konnte in den letzten Jahren der Regierung Rajoy die profunde Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Dekade abstreifen und ein ausserordentliches Wachstum von jährlich über 3% des BIP erzielen, was zu einer Halbierung der hohen Arbeitslosigkeit auf heute 14,5% geführt hat. Die jetzige Arbeitslosenrate besonders unter den Jugendlichen ist natürlich immer noch inakzeptabel hoch, aber die Entwicklung der makroökonomischen Grössenordnungen verläuft positiv, und ebenso ist das Vertrauen der ausländischen Investoren nach wie vor intakt.

Trotzdem ist die Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit unübersehbar, und Sánchez’ Regierung muss hier achtgeben, dass ihr nicht das Heft aus der Hand gleitet. Denn das jetzt in Brüssel vorgelegte Staatsbudget sieht Steuererhöhungen für Besserverdienende und einen Ausbau der Sozialleistungen von gegen 6 Mrd. € vor und trägt somit die Handschrift der Anti-System-Partei Podemos, die Sánchez (zusammen mit den baskischen und katalanischen Separatisten und anderen Splittergruppen) zur Macht verholfen hat. Das Budget wird die Brüsseler Hürden wohl ohne grosse Schwierigkeiten passieren, könnte aber schliesslich doch zum Bumerang für die Exekutive werden.

Hier verbirgt sich denn auch eine der grössten Herausforderungen für diese Regierung: der Öffentlichkeit glaubhaft aufzuzeigen, dass sie nicht Gefangene ist von unaussprechlichen politischen Zugeständnissen an die stillen Bündnispartner von Podemos & Co., und dass sie ausschliesslich im Interesse des Landes agiert und regiert. Denn es liegt auf der Hand, dass diese sogenannten Bündnispartner, die Sánchez bei der Machtergreifung geholfen haben, ihren politischen Tribut einfordern werden, ja bereits angefangen haben, der Regierung die Leviten zu lesen.

Besonders pikant ist die Forderung der katalanischen Separatisten, die ungeachtet der klaren Dialogbereitschaft aus Madrid unverantwortlich auf Konfrontationskurs zusteuern. Sie verlangen unumwunden Einflussnahme der Regierung auf die Staatsanwaltschaft im anstehenden Prozess gegen die wegen Rebellion und anderer schwerer Delikte in Untersuchungshaft sitzenden separatistischen Politiker, die vor einem Jahr den Staatsstreich gegen die Verfassung und die rechtmässige demokratische Ordnung probten.

Quadratur des Kreises

Klar, die katalanischen Separatisten, die mittlerweile auch unter sich zerstritten sind, die katalanische Gesellschaft entzweit haben und ganz Spanien seit Langem in Schach halten, sind politisch auf dem Rückzug und suchen die Straffreiheit für ihre Kommilitonen um jeden Preis.

Pedro Sánchez befindet sich also in der Zwickmühle, zwischen Hammer und Amboss. Sein Dilemma besteht im Erfüllen seiner Regierungsverantwortung und dem Begleichen der Zeche seiner sehr heterogenen Bündnispartner, die ihn an der Macht halten. Diesen Spagat zu meistern, wird  Sánchez vielleicht an Otto von Bismarck erinnern, der die Politik so beschrieb, als würde man Gottes Schritt durch die Weltgeschichte hören, dann zuspringen und versuchen, einen Zipfel seines Mantels zu fassen.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob es dem jungen Premier gelingt, die Quadratur des Kreises zu schaffen und sich definitiv zu konsolidieren, oder ob Neuwahlen unausweichlich sind.

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