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Spanien auf der Suche nach Stabilität

Wie in Samuel Becketts absurdem Theater wartet die spanische Öffentlichkeit zusehends gelangweilt ob der vielen Wahlen auf Godot, sprich auf die unmittelbar bevorstehenden Regional- und Europawahlen, denn vorher wird sich nicht viel bewegen in der grossen spanischen Politik. Natürlich sind die Würfel längst gefallen, Sieger und Besiegte in den zurückliegenden Generalwahlen vom 28. April sind ausgemacht, aber vor dem nächsten Urnengang in knapp zehn Tagen bleiben die möglichen Regierungsallianzen pure Spekulation.

Die Debatte, ob das Wahlresultat vom 26. Mai nun die bisherigen Fakten bestätigt oder andere Interpretationen zulässt, erscheint etwas steril, denn natürlich sind Kommunal- und Europawahlen etwas anderes als wenn es darum geht, den Regierungschef und damit die Ausrichtung des Landes für die nächsten vier Jahre zu bestimmen.

Zweifelsohne geht die Sozialistische Partei (PSOE) als Favoritin ins Rennen, aber trotz seiner Wahlschlappe ist der konservative Partido Popular (PP) immer noch die zweitstärkste politische Kraft in Spanien. Es wird pikant sein, festzustellen, ob die an die Liberalen (Ciudadanos) und an die rechtsaussen stehende Vox verloren gegangenen Stimmen teilweise zum PP zurückfinden.

Zwei zersplitterte Lager

Mag sein, dass hier und dort aufgrund regionaler Besonderheiten Überraschungen eintreten und unerwartet Politiker gewählt werden, die sich durch ihre kommunale Arbeit verdient gemacht haben, und sich deshalb die bisherigen Ergebnisse etwas verschieben, nach links oder nach rechts. Der grosse Kampf vor und hinter den Kulissen um die Macht, einmal im rechten, aber auch im linken Lager, und schliesslich um die ganze politische Macht im Lande ist schon in vollem Gange.

Mehr oder weniger sind die beiden Blöcke, obwohl zersplittert, etwa gleich gross. Das Novum in der spanischen Politik ist denn auch die Fragmentierung des politischen Spektrums, weg vom bisherigen Zweiparteiensystem aus PSOE und PP zu heute einem Fünfparteiensystem, das sowohl das rechte wie das linke Lager spaltet. Dem amtierenden sozialistischen Premier, Pedro Sánchez, ist es aus der Perspektive des Wahlausgangs geglückt, ganz nach Machiavellis Prinzip des «divide et impera» während des abgelaufenen Wahlkampfs keine grossen taktischen Fehler zu begehen und die Aufspaltung der Rechten in drei Parteien nach Kräften zu schüren.

Wahrlich: Er musste nicht viel tun, das haben seine politischen Gegner selbst angerichtet und sich einen Hahnenkampf geliefert, mit überdrehten Stellungnahmen und einem exzessiv markigen Gebaren, das viele Wähler abschreckte. Schliesslich reichte die Zeit für den jungen PP-Führer, Pablo Casado, nicht aus, um seine Partei zu erneuern und optimal aufzustellen.

Zu schwer lasteten die jahrelangen Korruptionsaffären auf ihr, da konnten die unbestrittenen Meriten, Spanien aus der grossen Finanz-und Wirtschaftskrise herausgeführt zu haben, nicht genug greifen. Zumal Casado sich in seiner Strategie offenbar irrte: Um die erzkonservative Vox zurückzudrängen, schwenkte er zu stark nach rechts und verliess das Zentrum, das sowohl von den aufstrebenden Ciudadanos wie auch vom PSOE sofort eingenommen wurde.

Das Resultat ist bekannt und kommt für den Partido Popular einem eigentlichen Debakel gleich, rückt doch Ciudadanos gefährlich nahe, macht ihm nun die Führung der Rechten strittig. Der PP zieht mit nur noch 66 Sitzen ins Parlament, dem schlechtesten Resultat in der Parteigeschichte. Vor diesem Hintergrund wird der Kampf um die Vorherrschaft im rechten Block, also zwischen dem Chef von Ciudadanos, Albert Rivera, und dem des PP, Pablo Casado, ausgefochten werden.

Schneidet Casado in den Kommunal- und den Europawahlen besonders schlecht ab, könnte ihm in der eigenen Partei Konkurrenz erwachsen. Seine Position wankt. Derweil wird Vox mit kräftigen Parolen für die Einhaltung der spanischen Einheit und andere patriotisch angehauchte Forderungen einstehen und so für die nötige Begleitmusik sorgen. Daraus binnen kurzer Zeit eine rechtsliberale Allianz zu schmieden, wird keine einfache Aufgabe werden.

Im linken Spektrum ist die aus der Finanz- und Wirtschaftskrise entstandene Protest- und postkommunistische Partei Podemos noch nicht kollabiert, aber massiv zurückgegangen. Auch sie verliert fast die Hälfte der bisherigen Sitze in Spaniens Parlament. Da aber Wahlsieger Sánchez die absolute Mehrheit (176) mit 123 Sitzen bei weitem verfehlt und Allianzen braucht um zu regieren, erhofft sich Podemos, mitregieren zu können und so etwas wie eine Volksfront-Exekutive zu bilden.

Ihr Anführer, Pablo Iglesias, ist ein begnadeter Redner und intelligenter Politiker, der aber, einmal in Regierungsverantwortung, für Sánchez unkontrollierbar wäre. Dieser hat denn auch schon signalisiert, mit einer Minderheitsregierung allein regieren zu wollen, und er unternimmt bereits Annäherungsversuche, um sich mit den Rechtsparteien besser als bisher zu verständigen.

Denn die Alternative wäre wiederum, sich mit Podemos und den sogenannten Splittergruppierungen aus dem Baskenland sowie den katalanischen Separatisten zu arrangieren, was die Mehrheit der Spanier ungeachtet der politischen Couleur ablehnt. Das Votum des 28. April bestätigt den Wunsch des Souveräns nach Mässigung, Verständigung und Rückkehr zu politischer Normalität, auch in der katalanischen Frage, der Achillesferse der spanischen Demokratie.

Entrümpelung erforderlich

Sánchez scheint den Wink des Wählers verstanden zu haben und schlägt gemässigtere Töne an. Entgegen vielen Prognosen ist Pedro Sánchez im Amt gewachsen, hat sich gegen Freund und Feind behauptet. Er, der einst politisch Totgesagte, hat 2018 durch das Husarenstück eines Misstrauensvotums das Amt des Regierungschefs erobert und nun seine Macht konsolidiert. Sánchez wird die totale Macht anstreben und sich hüten, mögliche Konkurrenten in seiner Nähe zu dulden. Er ist der neue Hoffnungsträger der europäischen Linken und sonnt sich in seiner Position.

Nach der Regierungsbildung Ende Mai gilt es, aus dem politischen Labyrinth herauszufinden, mit viel Pragmatismus dem Land Vertrauen und damit Stabilität zurückzugeben und die drängenden Reformen anzugehen. Trotz anhaltendem Wirtschaftswachstum liegt noch vieles im Argen, und die Regierung muss mit viel Geschick und Dialog vor allem handlungsfähig bleiben, auf Effekthascherei und billigen Populismus verzichten und Spanien administrativ, institutionell und wirtschaftlich entrümpeln, um eine neue Periode des Fortschritts und des Miteinanders möglich zu machen. Sánchez erhält eine Riesenchance, hoffentlich zum Nutze und Wohlergehen Spaniens.