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«Siemens wird ein flexibler Flottenverband»

«Ich bin zuversichtlich, dass das Wirtschaftswachstum 2017 deutlich besser ausfallen könnte als derzeit erwartet», sagt Kaeser.

Der deutsche Elektrotechnikkonzern Siemens erfährt eine Rundum-Erneuerung. Aktivitäten werden verkauft oder an die Börse gebracht, andere werden stärker integriert. Joe Kaeser, seit 2013 Chef des Traditionskonzerns, ist auf gutem Weg mit seiner Vision 2020 – auch wenn viel zu tun bleibt. Den Aktionären gefällt die neue Siemens.

Herr Kaeser, Sie waren gerade erst mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in den USA und haben Präsident Donald Trump getroffen. Was haben Sie mitnehmen können? - Es herrscht ein neuer Stil im Weissen Haus, und mit dem muss man sich eben auseinandersetzen. Man muss dem neuen Präsidenten die Chance geben, seine Absichten zu präzisieren.

Wie schätzen Sie das Risiko von mehr Protektionismus ein? - Das wird man sehen. Es ist für mich in Ordnung, politisch sein eigenes Land zu favorisieren. «America first» ist deshalb in Ordnung. «America only» wäre problematisch. Aber ich denke, diese Absicht besteht vielleicht gar nicht. Der US-Präsident sagt, er will einfach einen aus seiner Sicht fairen Handel fördern.

Haben Sie Ihre Investitionspläne für die USA angepasst, um sich auf eine Abschottung vorzubereiten oder um der US-Regierung Zugeständnisse zu machen? - Nein, das ist nicht nötig. Wir sind in den USA hervorragend positioniert. Ich gehe davon aus, dass unsere Anstrengungen honoriert werden und dass wir angesichts der ausgesprochen starken Verankerung vor Ort eine faire Chance erhalten, am lokalen Wettbewerb teilzunehmen.

Was haben Sie mit Trump besprochen? - Vor allem, wie wir dem Präsidenten und seinem Land helfen können, das System der dualen Ausbildung in den USA zu verankern. Wir haben unter anderem aber auch deutlich gemacht, dass wir in den letzten Jahrzehnten in den USA fast so viele Arbeitsplätze geschaffen wie unsere US-Wettbewerber dort abgebaut haben. Zum Beispiel sind BMW und Siemens in den USA auch Nettoexporteure, Siemens sogar im Handel mit Mexiko.

Wie schätzen Sie das globale konjunkturelle Umfeld ein? - Ich bin zuversichtlich, dass das Wirtschaftswachstum 2017 deutlich besser ausfallen könnte als derzeit erwartet. Europa entwickelt sich gar nicht so schlecht, wie von so manchem der Eindruck erweckt wird. China hat die nicht leichte Aufgabe angenommen, die Wirtschaft zu reformieren. Das Land ist im Service und im Konsum sehr gut unterwegs, und die Industrie beginnt sich zu erholen. Wenn dort die Produktion Fahrt aufnimmt, ist das gut für die ganze Welt. Ebenso, dass Chinas Präsident Xi Jinping in Davos erklärte, der freie Handel und die Globalisierung seien ein wichtiges Gut der modernen Zivilisation und müssten mit allen demokratischen Mitteln aufrechterhalten und gefördert werden.

Sprechen wir über Siemens: Der Konzern wird umgebaut. Es stehen der Börsengang des Gesundheitsbereichs Healthineers und der Start des neuen Gemeinschaftsunternehmens von Siemens Wind Power und Gamesa an. Wird Siemens zu einer blossen Beteiligungsgesellschaft? - Nein. Das wird zwar verschiedentlich gerne kolportiert, trifft aber nicht zu. Wir stärken unsere Geschäfte durch Fokussierung. Dabei besteht die Kunst darin, unter der Marke Siemens die Wertschöpfungsketten der Divisionen zu optimieren.  Die, die von Markt und Technologie her zusammenhängen, bleiben eng verzahnt. Andere werden stärker auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet. So machen wir einen langsamen und schwerfälligen Tanker zu einem leistungsfähigen und flexiblen Flottenverband, der sich an den wettbewerbsintensiven globalen Märkten behaupten kann.

Wie soll das konkret aussehen? - Wir führen die Geschäfte auf unterschiedliche Weise. Einige führen wir indirekt über den Verwaltungsrat, andere direkt über eine divisionale Organisation entlang der Wertschöpfungskette. Das ist eine Rezeptur, mit der ein modernes, von Eigentümerkultur getragenes Unternehmen mit einer sehr starken Marke fokussiert seine Geschäfte betreibt. Diese neue Form der Unternehmensführung sehe ich als unsere Antwort auf den Trend zur Spezialisierung und Fokussierung. Das entspricht eben nicht einfach einer Holding, unter der unterschiedliche Marken und Geschäfte angehängt sind.

Wie entscheiden Sie, ob etwas zu Siemens gehört oder nicht? - Anhand von fünf strategischen Fragen: Handelt es sich um ein Wachstumsgebiet? Stimmt die Profitabilität? Sind wir im Geschäft besser als die Wettbewerber? Dann stellen sich die Fragen, ob der synergetische Wert der Produkte im Unternehmen gross genug ist und ob sich am Horizont grosse Veränderungen der Wertschöpfungskette abzeichnen. Das alles wollen wir früher erkennen als die Konkurrenz.

Warum wurde Osram 2014 abgespalten? - Der synergetische Ansatz war nicht mehr gegeben. Wir wollten aber Ankeraktionär bleiben, bis die umfassende Restrukturierung abgeschlossen ist und sich eine klare strategische Ausrichtung stabilisiert hat. Das ist nun weitgehend der Fall.

Ist es richtig, dass Sie nun den verbliebenen Osram-Anteil von 17,5% verkaufen wollen? - Es gibt keinen inhärenten Grund mehr, beteiligt zu sein. Es gibt auch die Option, einen strategischen Zusammenschluss zu ermöglichen, um Osram weiter zu stärken.

Wird sich Siemens dereinst auch von Healthineers mehr und mehr verabschieden? - Nein. Wir behalten die Mehrheit. Es ist eines unserer attraktivsten Geschäfte und wird die dritte Säule sein neben den erneuerbaren Energien und der industriellen Siemens. Es kann sein, dass Healthineers langfristig sogar grösser sein wird als die Industriesparte. Healthineers wird als börsennotierte Gesellschaft über ganz andere Möglichkeiten verfügen, um aus einer Position der Stärke zu agieren. Dennoch setzen wir auch auf Gemeinsamkeiten: In jedem Land sitzt der Chef von Siemens im Kontrollgremium der Healthineers. So schützen wir die Marke und wahren Gemeinsamkeiten. Das gleiche Prinzip gilt für das Gemeinschaftsunternehmen von Siemens Wind Power und Gamesa.

Wie genau werden Sie beim Börsengang von Healthineers verfahren? - Wir haben bereits vieles durchdacht, aber es ist noch nichts entschieden. Das Geschäft läuft sehr gut, es besteht kein Grund zu Hektik. Sowohl die Platzierung neuer Aktien in einem Börsengang als auch ein Teil-Spin-off sind möglich. Auch der Ort der Börsennotiz ist offen: Der US-Aktienmarkt ist sehr liquide und hat ein gutes Verständnis für den Gesundheitssektor. Wir beobachten genau, ob der US-Präsident wie angekündigt Vorschriften, Bürokratie und Steuern abbauen wird. Bei den heutigen Vorschriften muss man es sich zwei Mal überlegen, in den USA an die Börse zu gehen. Die Börsen Frankfurt oder Hongkong sind ebenfalls Optionen.

Wie geht es weiter mit dem Umbau von Siemens? Folgen weitere Abspaltungen oder Devestitionen, etwa der Digitalen Fabrik? - Die grosse strukturelle Neuausrichtung ist abgeschlossen. Weitere Teilbörsengänge stehen nicht auf der Tagesordnung. Aber Veränderungen wird es immer geben, auch strukturelle. Wir wollen sie selbst gestalten und nicht durch Dritte bedrängt werden.

Was spricht gegen einen Abschied von Building Technologies oder Mobility? - Der synergetische Wert der Automatisierung und der industriellen Digitalisierung. Sie sind die entscheidenden Themen in der Fabrik, der Mobilität und in der Gebäudetechnik. Building Technologies verfügt nicht nur über ein hervorragendes Management, sondern auch über die modernsten Applikationen der Welt. Sie hat auch von den Automatisierungs- und Digitalisierungsplattformen von Siemens profitiert.

Im Bereich Mobility haben die chinesischen Anbieter CNR und CSR zum weltgrössten Bahnhersteller CRRC fusioniert. Ist Siemens gross und stark genug? - Wir sind der am meisten vertikal integrierte und mit Abstand profitabelste Spieler der Branche. Bei einem Wachstum von 3 bis 4% erzielen wir eine Marge von 8 bis 9%. Aber das Geschäft mit den Fahrzeugen ist schwierig, auch wegen der von Ihnen erwähnten Fusion. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die EU-Wettbewerbsbehörde darauf nicht reagiert hat. Ich sehe hier Handlungsbedarf. Wir müssen dafür sorgen, dass auf globaler Ebene die gleichen Spielregeln für alle gelten. Die Wettbewerbs- und Marktmissbrauchskontrolle muss global sein.

Was heisst das für die Branche? - Wir müssen uns wappnen. Auf Dauer wird die durch die CRRC-Fusion begünstigte Übermacht den globalen und fairen Wettbewerb beeinträchtigen. Ob das in zwei oder fünf Jahren kommt, wird sich weisen.

Bereitet es Ihnen Sorgen, wenn immer mehr chinesische Staatsbetriebe in Europa auf Einkaufstour sind? - Nein. Es darf grundsätzlich keine einseitigen Beschränkungen geben. Ich halte nichts davon, wenn Regierungen bestimmen, was übernommen werden darf und was nicht. Wir müssen aber die Basis schaffen, damit jeder im anderen Land das Gleiche tun darf. Fairness und Reziprozität müssen gegeben sein. Dann kann das beste Team gewinnen und nicht das am meisten durch den Regulator begünstigte.

Zu Akquisitionen: Sie haben 2015 versucht, Alstom zu bekommen. Die wurde Ihnen von GE weggeschnappt… - …wir haben einfach unsere Interessen gewahrt. Das ist uns ganz gut gelungen.

Haben Sie nur den Preis für GE noch oben treiben wollen? - Niemand hat unseren Wettbewerber zur Übernahme gezwungen. Wir haben ein finanziell und strategisch besseres Konzept präsentiert, das den europäischen Standort gestärkt und die Position für Alstom und Siemens verbessert hätte. Die französische Regierung hat anders entschieden. Man hat ja gesehen, was aus den versprochenen Arbeitsplätzen wurde: Statt dem verkündeten Aufbau durch den Zusammenschluss wurden Tausende von Jobs abgebaut.

Sie sind also nicht unglücklich, dass Alstom bei GE gelandet ist? - Nein, nicht sonderlich.

Würde Landis & Gyr zu Siemens passen? Toshiba will offenbar verkaufen. - Richtig, das Geschäft ist auf dem Markt. Wir haben es uns angeschaut. Aber Toshiba hat damals Landis & Gyr einen hohen Wert beigemessen und viel bezahlt. Es mag dafür viele Gründe gegeben haben. Wir verfügen im Smart Metering über ein ausreichendes Angebot und sind daher nicht an Landis & Gyr interessiert.

Gibt es keine Lücken in Ihrem Portfolio? - Im Augenblick keine grösseren. Wir haben den grössten weissen Fleck im vergangenen Jahr mit dem Kauf von Mentor Graphics geschlossen, dem Anbieter von Industriesoftware für das Design von elektrischen und elektronischen Systemen aus Oregon. Mit Industrie 4.0 wird die elektrische Simulation immer wichtiger, unter anderem auch mit den Themen Energie- oder Batteriehaushalt.

Sie beanspruchen in der vierten industriellen Revolution die Führungsrolle. Das behaupten auch andere. - Es gibt Wettbewerber, die auf den einzelnen Gebieten sehr gut und in Teilbereichen vielleicht besser sind als wir, aber die Kombination von Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung macht es aus. Da sind wir führend, und nur wir haben die eben erwähnte Simulationsfunktion. Wir haben 30 Mio. Automatisierungssysteme im Markt. Das ist weit mehr, als die grossen Wettbewerber vorweisen können. In der Fabrikautomatisierung sind wir Marktführer. Andere haben die Robotik, das ist sicher interessant. Siemens hat aber die Steuerung der Roboter, die Gehirne sozusagen.

Im vergangenen Jahr hat der chinesische Konzern Midea den deutschen Roboterhersteller Kuka übernommen. War Siemens nicht interessiert? - Nein. Kuka ist zu 80% Mechanik, nur 20% Robotik. Ausserdem wären wir bei einem Kauf für viele Kunden zu einem Wettbewerber geworden. In China gibt es über 3000 Roboterhersteller, die meisten kaufen unsere Steuerungen.

Mit der Vision 2020 sind Sie weit vorangeschritten. Wie sieht Siemens 2025 aus? - Wir sind dabei, uns Gedanken zu machen, was danach kommt. Wir haben begonnen, Vorstand und Managementteam zu verjüngen und die Geschäfte und die Führung näher zum Kunden zu bringen. Das werden wir fortsetzen. Wir wollen der nächsten Generation eine bessere Siemens hinterlassen. Das sehen auch unsere Kunden und Aktionäre so. Schliesslich haben wir vor kurzem ein neues Allzeithoch der Aktie gehabt. Damit haben wir die Rekordmarke vom 2. März 2000 nach 17 Jahren ausgelöscht.

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