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Schuldenzyklus am Ende

Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass der Schuldenzyklus in der Endphase ist und sogar Aktionäre wieder mehr auf Bilanzsolidität achten.

Der Schuldenzyklus hat seinen Zenit erreicht. Einen Beleg dafür liefert Nestlé. 2017 erzielte der Nahrungsmittelriese einen freien Cashflow von 9,6 Mrd. Fr., an die Aktionäre flossen via Dividenden und den Rückkauf von Aktien 10,4 Mrd. Fr. Das heisst, er musste Schulden aufnehmen, um diese Ausschüttungen voll zu finanzieren. Im letzten Jahr, in dem er die Aktienrückkäufe kräftig vorantrieb, wird seine Ausschüttungspolitik die Verschuldung noch stärker in die Höhe getrieben haben.

Nach René Hermann, Kreditanalyst bei Independent Credit View (I-CV), ist solch ein Verhalten typisch, wenn der Schuldenzyklus in einem Zenit und «kurz vor einer Korrektur» steht. In einer solchen Phase mehren sich die Fälle, in denen die operativen Mittel, die die Unternehmen generieren, nicht ausreichen, um die steigenden Ansprüche der Aktionäre zu finanzieren.

Aktionäre vs. Gläubiger

Die Zürcher Kantonalbank geht in einer am Montag erschienenen Studie dem Problem der Kapitalzu- und -abflüsse bei Unternehmen nach. Kreditanalyst und Studienautor Patrick Hasenböhler verweist darin auf die unterschiedlichen Interessen der Aktionäre und Obligationäre resp. Gläubiger. Erstere sind dem Risiko zugeneigt und stehen einem höheren Fremdkapitaleinsatz tendenziell offen gegenüber, zweitere sind auf Sicherheit bedacht und an einer möglichst hohen Eigenmittelausstattung interessiert.

Das Verhältnis zwischen Aktionärs- und Gläubigerbedürfnissen ist aber aus dem Gleichgewicht geraten. «Das Tiefzinsumfeld sorgt für Verzerrungen», sagt Hasenböhler. Die für Investitionen, Zukäufe oder Ausschüttungen an die Aktionäre benötigten Barmittel seien zu sehr tiefen Zinsen zu bekommen. Die günstigen Konditionen nutzen gemäss Hasenböhler einige Unternehmen, um zu akquirieren oder Ausschüttungen in einem Ausmass vorzunehmen, «die sie in einem ‹normalen› Zinsumfeld nicht machen würden».

Der Kreditanalyst der Zürcher KB sieht aus Gläubigersicht die «offensive Ausschüttungspolitik» von Nestlé als problematisch an. Nach seinen Berechnungen dürfte die adjustierte Nettoverschuldung des Konzerns Ende 2018 auf das 2,1-Fache des Ebitda gestiegen sein – vor zwei Jahren lag der Faktor mit 1,4 noch deutlich tiefer.

Für Hermann vom Bonitätsinstitut I-CV bietet Nestlé ein Beispiel dafür, wie zurzeit Aktionäre gegenüber Gläubigern bevorzugt werden. Dies spiegelt sich in der Ratinghistorie des Konzerns: I-CV stuft seine Bonität heute mit A+ ein, drei Stufen tiefer als 2012. Seine Schulden sind in der Zeit bei gleichem Umsatz und leicht höherer Marge rund 8 Mrd. Fr. gestiegen.

In Europa zeige sich die Aktionärsbevorzugung vor allem bei den Grosskonzernen, «den Top zwanzig, die zunehmend nach amerikanischem Muster agieren», so Hermann. Diese hätten im Aktionariat fast immer einen Aktivisten, der Druck macht auf das Management, wie bei Nestlé der Hedge-Fund-Manager Daniel Loeb, der unter anderem eine Beschleunigung der Aktienrückkäufe gefordert hat.

Verglichen mit den US-Gesellschaften seien die Unternehmen in der Schweiz und Europa noch konservativ finanziert, resümiert Hermann. Doch auch hier können manche der Versuchung nicht widerstehen, näher an die Grenze zu gehen. Ein jüngstes Beispiel dafür ist Sika. Der Bauzulieferer hat jüngst die Übernahme des Mörtelherstellers Parex angekündigt, der Deal macht Sinn. Doch mit dem zur Finanzierung aufgenommenen Überbrückungskredit steigen seine Nettoschulden auf fast das Dreifache des Ebitda.

Hermann befürchtet «eine Abkehr von der konservativen Finanzpolitik, die Sika bis anhin betrieben hat». Nun geht er davon aus, dass das Management bereit ist, künftig mit einem höheren Schuldenhebel zu fahren und die Aktionäre gegenüber den Gläubigern eher zu bevorzugen. Als Konsequenz der steigenden Risikoasymmetrie hat I-CV die Bonitätsnote für Sika nach unten angepasst.

Ein grosses Thema bilden Dividenden. Wichtig ist den Aktionären dabei nicht nur die Dividendenhöhe, sondern auch eine langfristig stabile oder sogar steigende Ausschüttung. Die Unternehmen sind versucht, Anleger mit längerfristigen Versprechen an sich zu binden. Eine «gewagte Dividendenpolitik» betreibt laut der Zürcher KB etwa Adecco. Der in einem zyklischen Geschäft tätige Personaldienstleister verheisst, die Dividende jeweils mindestens auf Vorjahresniveau zu halten – selbst in einer Rezession. Sollte er diese Strategie durchziehen, «könnte dies negative Auswirkungen auf die Bonitätseinschätzung haben», urteilt die Zürcher KB.

Gefahr des Dominoeffekts

Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass der Schuldenzyklus in der Endphase ist und sogar Aktionäre wieder mehr auf Bilanzsolidität achten. Unter den Kurseinbrüchen im Dezember litten gerade die Unternehmen, die stark verschuldet sind. Dazu zählen der Halbleiterhersteller AMS oder der Sicherheitsspezialist Kudelski – bei diesen Unternehmen spekuliert der Markt auch über Kapitalerhöhungen.

Kudelski brauche «keine Kapitalerhöhung», sagte Chef und Haupteigner André Kudelski im Dezember im FuW-Interview. Auch die Führung des Backwarenherstellers Aryzta hatte die Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung zur Bilanzstärkung abgestritten – bevor sie im November doch zu diesem Rettungsanker greifen musste. Selbst nach der Transaktion weist Aryzta eine hohe Verschuldung auf, adjustiert notieren die Titel 94% unter dem Höchst.

Das grosse Problem für stark verschuldete Unternehmen kommt dann, wenn die Wirtschaft sich abschwächt und Umsatz sowie Margen zurückgehen, warnt Hermann von I-CV. Dann setze der Dominoeffekt ein: Die Ratingagenturen fangen an, zu rechnen und die Bonitätseinstufungen herunterzunehmen. Die Investoren verlieren mit dem Vertrauen auch ihren Risikoappetit und verkaufen.

Adrian Oberlin, Geschäftsführer der Schweizer Ratingagentur Fedafin, bemerkt, «dass die Investoren vorsichtiger geworden sind». Das zeige sich an den Renditezuschlägen, die sie für risikoreichere Anlagen verlangen. Auch dies lässt den Schluss zu: Es wird Zeit, wieder mehr auf Solidität zu achten.