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Schneider-Ammann: «Mein Ziel ist Arbeit für alle in der Schweiz»

Johann Schneider-Ammann: «In der Schweiz herrscht die Tendenz, alles perfekt zu machen und auf jeden Fehler gleich mit einer generellen und umfassenden Regelung zu reagieren.»

Die Freigabe des Wechselkurses durch die SNB und die Unsicherheit in den Beziehungen zur EU belasten die Schweizer Volkswirtschaft. Johann Schneider-Ammann, Chef des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, hat Verständnis für die Notenbank und kämpft an allen Fronten um Erleichterungen und Lösungen.

Herr Bundesrat, die Aufhebung der Untergrenze des Frankens zum Euro am 15. Januar hat einen Schock ausgelöst. War die Einführung dieser Grenze 2011 richtig? - Wir waren im Sommer 2011 für ganz kurze Zeit auf der Parität zwischen Franken und Euro. Das stellte die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft sehr ernsthaft in Frage. Die Fixierung des Mindestkurses durch die Nationalbank verschaffte den Unternehmen Planungssicherheit und Zeit, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem diese Grenze wegfällt. Das haben die meisten Unternehmen auch gemacht. Alle wussten, dass die Untergrenze eine Lösung auf Zeit ist. Sie hat dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Es war eine gute Entscheidung. In den damaligen Verhältnissen gab es keine Alternative.

Sie haben also Verständnis für die Aufhebung des Mindestkurses? - Ja, für mich war immer klar, dass ein zeitliches Limit besteht. Die SNB musste irgendwann aus diesem Zwang herausfinden und ihre Handlungsfähigkeit bewahren. Überraschend war nur der Zeitpunkt.

Die Wirtschaft hatte sich an den Mindestkurs gewöhnt und seine zeitliche Begrenzung verdrängt. Daher dann auch der Aufschrei nach dem 15. Januar. - Das will ich nicht so stehen lassen. Ich habe die Wirtschaft, gerade die Exportwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren intensiv beobachtet: Nach meiner Erfahrung haben die Unternehmen mit grossem Engagement an ihrer Wettbewerbsfähigkeit gearbeitet im Bewusstsein, dass dieser Schutzschild wegfallen wird. Etwa, indem sie Innovation und Produktivität noch mehr trieben. Ich habe Verständnis dafür, dass der Aufschrei dennoch laut war. Die Unternehmen hatten ihre Planungen gemacht und die Budgets gerechnet, diese verloren von einem Moment auf den anderen ihre Gültigkeit.

Wurde nicht etwas zu sehr schwarzgemalt? - In vielen Branchen ist die Auftragslage auf sechs Monate hinaus gesichert. Derzeit werden vielerorts immer noch Aufträge abgearbeitet, die vor dem 15. Januar akquiriert worden waren. Es war immer klar, dass die Auslastung bis zu den Sommerferien gut bleiben dürfte. Danach wird es wohl schwieriger werden. Die Unternehmen haben nicht in Panik gemacht. Aber sie wussten, dass die Situation deutlich schlechter werden könnte.

Der Dachverband der Maschinenindustrie sendet nun negative Signale aus. - Ja, Swissmem hat klare Aussagen gemacht – jedoch auch betont, keine staatliche Hilfe in Form von Konjunkturprogrammen zu wollen. Die Branche fordert aber, dass die Rahmenbedingungen attraktiver ausgestaltet werden und die Bürokratie reduziert wird. Daran arbeiten wir intensiv, aber diese Arbeit ist schwierig und zeitaufwendig. Ich mache meine Politik letztlich mit einem einzigen Ziel: dass weiterhin möglichst jeder in der Schweiz einen Job und eine Perspektive hat. Dafür ist es prioritär, die immer noch sehr guten, liberalen Standortbedingungen zu sichern. Dazu gehört auch, dass die Erbschaftssteuerinitiative – die vor allem die KMU und Familienunternehmen gefährdet – am 14. Juni klar abgelehnt wird. Damit die Exportindustrie und alle anderen Branchen auch zukünftig hierzulande Wert schöpfen können.

An Bekenntnissen zu guten Rahmenbedingungen fehlt es in Bern nicht, doch dann wird das Cassis-de-Dijon-Prinzip zerzaust. - Es gibt einige Fortschritte. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich traf mich in den vergangenen Monaten mehrmals mit den Spitzen der Sozialpartner, damit diese eine Lösung für die Vereinfachung der Arbeitszeiterfassung finden. Das ist dann nach jahrelangem Stillstand gelungen – ein grosser Erfolg: Ich ziehe die sozialpartnerschaftliche Lösung immer einem Gesetz vor. Den gleichen Weg haben wir auch bezüglich zusätzlicher flankierender Massnahmen zur Personenfreizügigkeit eingeschlagen. Die Sozialpartner sprachen sich unisono aus für eine spätere Inkraftsetzung , wenn klar ist, wie die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt wird. So hat der Bundesrat nun entschieden.

Und das Cassis-de-Dijon-Prinzip? - Ich hielt sowohl im Nationalrat wie in der ständerätlichen Kommission deutlich fest, dass es hier nicht nur um den Schritt zurück im Lebensmittelbereich geht. Noch viel wichtiger ist das negative Zeichen, das damit ausgesandt würde, in der Schweiz und international. Die Wendung zurück zum Protektionismus ist keine Einladung an Investoren. Im schlimmeren Fall verlieren wir solche, die schon da sind, wenn es zu viele wirtschaftsfeindliche Signale gibt. Das würde Stellen gefährden. Dazu biete ich nicht Hand. Die Kommission des Ständerats hat ja inzwischen dem Bundesrat zugestimmt und sich gegen die Relativierung des Prinzips geäussert.

Das Parlament neigt oft nicht zum Verbessern der Rahmenbedingungen, eher im Gegenteil. - Das Parlament muss sich bewusst sein, dass es auch in seiner Hand liegt, die administrativen Auflagen so schlank wie möglich zu gestalten. In der Schweiz herrscht die Tendenz, alles perfekt zu machen und auf jeden Fehler gleich mit einer generellen und umfassenden Regelung zu reagieren. Bund und Kantone kreieren jede Woche rund 140 Seiten zusätzliche Vorschriften. Da ist sehr viel Luft drin.

Viel Spielraum gäbe es auch in der komplizierten Mehrwertsteuerpraxis, etwa mit dem Einheitssatz. - Ich bin ein überzeugter Verfechter des Einheitssatzes in der Mehrwertsteuer, und zwar ohne Ausnahmeregelungen. Das wäre besonders für die kleinen und mittleren Unternehmen ein echter Befreiungsschlag. Hier liegt das grösste Potenzial, um den administrativen Aufwand zu reduzieren – Studien gehen von rund 10% aus. Wichtig sind auch die Harmonisierung der Bauvorschriften sowie Vereinfachungen in der Zollabwicklung. Das sind Mosaiksteine, die in der Kombination einen wesentlichen Einfluss auf unsere Wettbewerbsfähigkeit haben.

Im Zusammenhang mit dem Frankenschock ist auch die SNB als solche kritisiert worden. Es gibt Vorstösse, die den Einfluss der Politik auf die SNB erhöhen wollen. - Seit Jahrzehnten wird die herrschende Lehre durch die Realität bestätigt: Je unabhängiger die Notenbank, desto besser geht es der Volkswirtschaft. Die Nationalbank darf auf keinen Fall verpolitisiert werden. Sie muss ihren geldpolitischen Auftrag behalten und ihn in Freiheit umsetzen können. Damit trägt das Direktorium eine grosse Verantwortung. Es ist sich dieser aber jederzeit bewusst und war es auch, als es den schwierigen Entscheid im Januar fällte. Ich gehe davon aus, dass sich auch die Politik an den genannten Zusammenhang erinnert.

Eine wesentliche Rahmenbedingung ist das Verhältnis der Schweiz zum Hauptkunden EU. Da haben wir ein Problem. - Der Bundesrat setzt den Auftrag des Volksentscheids zur Masseneinwanderungsinitiative selbstverständlich um. Die Vernehmlassung geht dieser Tage zu Ende. Gleichzeitig müssen die bilateralen Verträge mit der EU gesichert werden. Wir wissen, dass dies der Quadratur des Kreises gleichkommt. Wir haben Zeit bis Februar 2017, das ist ein sehr enger Horizont. Es wird intensiv daran gearbeitet, einen Weg zu finden, wie der Volkswille umgesetzt und die bilateralen Verträge in die Zukunft mitgenommen werden können. Die Prinzipien der EU zur Personenfreizügigkeit sind eine schwierige Hürde. Eine Schutzklausel könnte in dieser Gratwanderung eine interessante Lösung sein.

Was würde der Verlust der Bilateralen für die Schweiz bedeuten? - Der Verlust der Personenfreizügigkeit bedeutet auch den Fall der gesamten Bilateralen I. Das würde unter vielem anderen heissen, dass der Umgang mit den technischen Handelshemmnissen viel aufwendiger und damit teurer würde. Es würden wieder neue Hürden aufgebaut. Der Schweizer Maschinenbauer könnte zwar die Maschine weiter in der Schweiz montieren, er müsste sie aber in der EU homologieren lassen, allenfalls gar in jedem einzelnen Land. Das brächte enorme Kosten, würde auf den Werkplatz durchschlagen und Arbeitsplätze kosten. Dieses Risiko können wir uns nicht leisten.

Inwiefern beobachten Sie die aktuelle Entwicklung zwischen London und Brüssel? Da gibt es ja ähnliche Probleme, wie sie die Schweiz auch kennt. - Wir beobachten das genau. Premierminister Cameron hat wiederholt, dass er ein Referendum abhalten will. In vielen EU-Ländern ist Migration ein Thema. Es wäre aber eine gefährliche Spekulation, auf das britische Referendum zu setzen: Diese Diskussion innerhalb der EU könnte mehr Verständnis für die Schweiz mit unserem sehr hohen Ausländeranteil bringen – oder im Gegenteil unsere Position erschweren, weil Brüssel kein Präjudiz schaffen will. Besser ist deshalb eine Trennung der Themen. Als Drittstaat müssen wir eine Lösung mit der EU finden und nicht ihre internen Probleme lösen.

Gibt es einen Plan B, sofern die genannte Quadratur des Kreises nicht gelingt? - Nein, der Bundesrat hat keinen Plan B. Wenn es die gesetzliche Grundlage im Februar 2017 noch nicht gibt, muss er die Initiative zunächst über den Verordnungsweg umsetzen. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt, aber die verbleibende Zeit ist sehr knapp. Die grundsätzliche Lösung, wie das Verhältnis zur EU ausgestaltet werden soll, muss vorher klar sein.

Und eine zweite Abstimmung? - Wir sollten dem Volk nicht noch einmal eine Abstimmung des gleichen Inhalts vorlegen, das würde nicht gutgeheissen. Ich habe es gesagt: Wir müssen eine Lösung finden, welche die Zuwanderung reduziert und die Bilateralen sichert. Über die Fachkräfteinitiative tragen wir flankierend dazu bei, die Zuwanderung zu reduzieren und das Problem so zu entschärfen. Dass die innenpolitische Umsetzung und die Verhandlungen mit der EU eine Abstimmung in einem etwas grösseren Kontext nötig machen, ist nicht ausgeschlossen. Darüber spekuliere ich aber nicht.

Man kann immerhin festhalten, dass der Wille des Volkes mit der Masseneinwanderungsinitiative nicht wirklich klar geworden ist. Ging es am 9. Februar 2014 um den Ausländerzuzug oder um die Bilateralen? - Die Initianten haben sehr bewusst die Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Interessen im Initiativtext festgehalten. Das heisst, die Zuwanderung soll gedämpft werden, aber die Schweiz soll sich nicht selbst ins Knie schiessen. Auf dieser Basis suchen wir die Lösung.

Wie weit können Freihandelsabkommen Probleme mit der EU ausgleichen? - Unsere aussenwirtschaftspolitische Strategie steht auf drei Beinen: WTO, bilateraler Weg mit der EU und Freihandelsabkommen mit aussereuropäischen Staaten. Es laufen Freihandelsverhandlungen mit verschiedenen Ländern. Wir wollen damit den Marktzutritt für die Schweizer Unternehmen vereinfachen. So können wir die Abhängigkeit vom europäischen Umfeld ein wenig reduzieren. Es bleibt allerdings eine Tatsache, dass wir zwei Drittel unserer Importe aus der EU beziehen und drei Viertel der Exporte in die EU gelangen. Die nachbarschaftlichen Handelspartner werden die wichtigsten bleiben, da müssen wir eine Lösung finden.

Was hiesse ein transatlantisches Freihandelsabkommen für die Schweiz? - Wir haben dafür gesorgt, dass wir im Rahmen der Efta  regelmässig über die Verhandlungen informiert werden. Uns wird signalisiert, dass TTIP auch für Drittstaaten geöffnet werden könnte. Ohne einen Zugang würden wohl ganze Branchen in der Schweiz gegenüber europäischen Herstellern über Nacht benachteiligt, wenn etwa technische Hemmnisse zwischen den USA und der EU fallen sollten. Dabei wäre vor allem unser Export in die USA betroffen. Ich setze alles daran, das zu vermeiden.

Das Ziel wäre eine Art Assoziierung? - Wie sich das technisch umsetzen liesse, ist noch kein Thema. Für uns ist wichtig, dass wir Schritt für Schritt wissen, was auf uns zukommt, um zum richtigen Zeitpunkthandeln zu können.

Wie ist der Stand der Dinge bezüglich Freihandel mit Indien? - Wir sind uns einig geworden, dass wir die Verhandlungen, die im Efta-Kontext geführt werden, fortsetzen wollen. Wir haben uns über die heiklen Fragen ausgetauscht, vor allem im Bereich Datensicherheit und geistiges Eigentum. Die sind für uns zentral. Dabei hat Indien zum ersten Mal klar festgehalten, dass die diesbezüglichen WTO-Regeln angewendet werden sollen.

Wie weit spielen Indiens Gesuche für Steueramtshilfe eine Rolle? - In den Freihandelskontakten mit Indien wurde noch nie ein Bezug zu den Steuerfragen hergestellt. Es ist aber klar, dass das ein Thema ist.

Gewisse Stimmen behaupten immer wieder, der Bundesrat wolle die Schweiz in die EU führen. Was sagen Sie dazu? - Das ist «Chabis». Es ist eine Unterstellung, die sich der Bundesrat nicht gefallen lässt. Wir haben eine Geschichte mit Souveränität, Unabhängigkeit, Neutralität. Das sind hohe Güter, die wir nicht anderen Interessen unterordnen. Wir wollen am bilateralen Verhältnis mit der EU festhalten. Ohne Wenn und Aber.