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Scherbenhaufen Alpiq

Alpiq sei nun fit für die Zukunft, sagte Jasmin Staiblin Ende August in Olten. Fünf Monate zuvor hatte der grösste Energiekonzern der Schweiz mitgeteilt, dass er sein gesamtes Industriegeschäft an den französischen Baukonzern Bouygues verkauft. Freiwillig geschah das nicht. Es war eine Notlösung. Die niedrigen Strompreise zehrten an den Mitteln. Dazu kam 2015 der Frankenschock. Alpiq fehlte das Geld, um in das Industriegeschäft zu investieren. Zudem musste das Unternehmen die Verschuldung reduzieren, um kreditwürdig zu bleiben. Mit dem Verkauf des Industriegeschäfts gelang das. Alpiq verfügte erstmals seit Jahren über eine Nettoliquidität statt einer Nettoverschuldung. Es war ein Befreiungsschlag – und der Grund für Staiblins Optimismus. Vier Monate später ist klar: Alpiqs Zukunft findet ohne Jasmin Staiblin statt.

Ihr Rücktritt, der am Freitagabend kommuniziert wurde, kam zwar überraschend. Unverständlich ist er nicht. Staiblin gilt als Frau der Industrie. Sie trat bei Alpiq an, um dieses Geschäft zu entwickeln. Heute gibt es da nichts mehr zu entwickeln. Das Industriegeschäft ist weg. Dass sich Staiblin nach anderen Standbeinen umschaute, zeichnete sich zudem im Rückblick ab: Der Versicherungskonzern Zurich hatte Staiblin Anfang dieses Jahres zur Wahl in den Verwaltungsrat vorgeschlagen. Doch die Alpiq-Chefin sitzt bereits in zwei Verwaltungsräten. Ein drittes Mandat verboten die Alpiq-Statuten. Alpiq wollte das Problem kurzerhand durch eine Statutenänderung lösen. Doch noch bevor die Generalversammlung darüber abstimmen konnte, erklärte Staiblin im März, sie verzichte auf das Mandat. Als Erklärung diente der Verkauf des Industriegeschäfts, der viel zu tun gebe.

Alder ist kein Interims-Chef

Was geschah nach diesen Turbulenzen bei Alpiq? Wertete Verwaltungsratspräsident Jens Alder das Mandatesammeln seiner Chefin als Zeichen für einen baldigen Absprung? Ab wann wusste er über ihre Pläne Bescheid? Diese Fragen stellen sich deshalb, weil Alpiq als Ersatz für Staiblin nun gar nicht erst einen neuen Chef oder eine neue Chefin sucht. Ihren Job übernimmt schlicht der Verwaltungsratspräsident und frühere Swisscom-Chef Jens Alder, und das nicht interimistisch, sondern ohne Befristung. Das Unternehmen müsse die starken Veränderungen in den vergangenen Jahren zuerst verdauen, sagt Alder im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Darum sei seine Doppelrolle momentan das Beste für Alpiq.

Aus Sicht der Investoren ist das fragwürdig. Doppelmandate sind heute zu Recht verpönt. Eine der wichtigsten Aufgaben eines Verwaltungsratspräsidenten ist die Kontrolle der Geschäftsleitung. Sitzt an der Spitze der Geschäftsleitung derselbe Mann wie an der Spitze des Verwaltungsrats, ist diese Kontrolle per se nicht möglich. Alpiq versucht dieser Kritik vorzubeugen. Das Unternehmen hat ein neues Aufsichtsgremium eingesetzt, das Interessenkonflikte aufgrund des Doppelmandats verhindern soll. Geleitet wird es vom Vizepräsidenten des Verwaltungsrats, dem Direktor der Stadtwerke Lausanne, Jean-Yves Pidoux.

Kein starker Verwaltungsrat

Doch diese Massnahme ist in erster Linie ein Beruhigungsmittel für die Öffentlichkeit. Denn die Vorstellung, bei Alpiq gebe es einen starken und unabhängigen Verwaltungsrat, der Alder kontrollieren könne, ist verfehlt. Alder selbst sagte im Mai in einem Interview mit «Finanz und Wirtschaft» , er wünsche sich einen kleineren und unabhängigeren Verwaltungsrat. Das Aufsichtsgremium des Stromkonzerns besteht aus dreizehn Personen – deutlich mehr als bei den meisten anderen Unternehmen. Ein grosser Verwaltungsrat birgt Gefahren: Eine reibungslose Kommunikation wird erschwert. Es besteht die Gefahr, dass nicht mehr alle über alles informiert sind. Die Entscheidungsprozesse werden schwerfälliger, und das Verantwortungsbewusstsein der einzelnen Mitglieder nimmt ab.

Zudem vertreten alle Mitglieder des Alpiq-Verwaltungsrats ausser Jens Alder einen der Hauptaktionäre. Wer wie viele Vertreter in den Verwaltungsrat entsenden darf, wurde im Zuge des Zusammenschlusses von Eos und Atel zu Alpiq vereinbart. Diese Vereinbarung ist auch der Grund, weshalb heute so viele Mitglieder im Alpiq-Verwaltungsrat sitzen. Alder erklärte das System im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» wie folgt: «Es kommt das Interessenmodell zum Tragen. Hätten wir ein Kompetenzmodell, das keinerlei Vertretung der grossen Aktionäre vorsieht, würde gut die Hälfte an Mitgliedern genügen.»

Verhaltene Reaktion der Börse

Der Einzige, der in diesem Gremium sitzt und keine externen Interessen vertritt, ist Alder. Die Eigentümer der 12% Alpiq-Aktien, die sich im Streubesitz befinden, werden also faktisch nur durch ihn vertreten. Und nun soll dieser eine Mann auch noch den Chefposten übernehmen. An der Börse war die Reaktion verhalten: Alpiq starteten am Montag leicht im Minus in den Handel. Die Skepsis dürfte auch damit zu tun haben, dass Alpiq in den vergangenen Jahren einen strategischen Zickzackkurs fuhr. So hielt ein Analyst der Zürcher Kantonalbank letztes Jahr fest: «Während andere Stromversorger wie beispielsweise die BKW klare strategische Ziele gesetzt haben, an denen sich der Investor orientieren kann, besteht aktuell wenig Klarheit über die zukünftige Struktur und Ertragskraft von Alpiq.»

Die Verwirrung rührte daher, dass Alpiq sich selbst erst mit einem Teilverkauf des Wasserkraftportfolios retten wollte. Das unterdessen veräusserte Industriegeschäft wollte sie hingegen behalten, da es profitabel war. Alder sagte vor zwei Jahren im FuW-Interview, der Verkauf des Industriegeschäfts wäre eine «Hochrisikostrategie», denn als reiner Energiekonzern wäre Alpiq stark der Entwicklung des Strompreises ausgeliefert. Diese Wette auf höhere Strompreise könne man angesichts der Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Aktionären nicht eingehen. Die Suche nach Käufern für die Wasserkraftbeteiligungen erwies sich dann aber als schwierig. Die Verschuldung stieg weiter, weshalb Alder schliesslich doch die «Hochrisikostrategie» absegnete, die er kurz zuvor noch abgelehnt hatte.

Die Erholung der Strompreise im Grosshandel, die sich ab 2020 auch finanziell für Alpiq auszahlen dürfte, gibt Alder zwar Rückenwind, doch wäre eine fähige neue Person in der CEO-Rolle für Investoren die bessere Wahl als ein Doppelmandat mit Fragezeichen. Derzeit sieht Alpiq mehr nach einem Scherbenhaufen denn nach einem erfolgreichen Turnaround aus.