Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Russlands weltmeisterliche Chance

Es fällt schwer, sich eine positive Schlagzeile des laufenden Jahres vorzustellen, in der die Wörter «Russland» und «globale Auswirkung» vorkommen. Die internationalen Medien scheinen darum zu wetteifern, wer die reisserischste Berichterstattung über Russland unter Präsident Wladimir Putin liefert.

Doch von Mitte Juni bis Mitte Juli, wenn Russland die Fussballweltmeisterschaft – das meistgesehene Sportereignis der Welt – veranstaltet, wird das Land auf internationaler Bühne einen durchaus positiven Beitrag leisten.

Manche Beobachter werden die Weltmeisterschaft 2018 als einen Versuch Putins betrachten, «weiche Macht» auszuüben, und als eine Gelegenheit für korrupte russische Funktionäre, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Doch diese Deutung der Sachlage ist zu oberflächlich.

Tatsächlich würde der Kreml von der Inszenierung einer gut organisierten Veranstaltung noch mehr profitieren. Und mit rund 2,4 Mio. bereits verkaufter Eintrittskarten ist die WM 2018 auf Kurs, zu einem grossen Erfolg zu werden.

Menschen, die diese Tickets kaufen, möchten an einem internationalen Turnier teilhaben, wo sich die besten Fussballspieler der Welt gegenüberstehen. Das Ziel der Zuseher ist es nicht, ein politisches Statement abzugeben.

Ebenso wenig hat der Kreml die WM stärker für Propagandazwecke genutzt, als dies frühere Veranstalter taten. Ob Deutschland, Südafrika oder Brasilien: Alle haben die Gelegenheit genutzt, ihre Reputation mit Blick auf Gastfreundlichkeit und Offenheit aufzupolieren.

Korruption unter Kontrolle

Darüber hinaus hat der Weltfussballverband Fifa im Juni 2017 den vollständigen Bericht des früheren US-Staatsanwalts Michael J. Garcia zu seiner 2014 durchgeführten Untersuchung des Vergabeprozesses für die WM 2018 und 2022 veröffentlicht.

Der Garcia-Bericht zeigt, dass Russland die Veranstaltung unbedingt austragen wollte und Putin sogar persönlich an die auswahlberechtigten Funktionäre anderer Länder appellierte; dennoch finden sich keine Beweise für Absprachen, Bestechung oder andere Regelverletzungen. Zu einer Zeit, da Russlands Korruption im eigenen Land und internationale Regelverletzungen die weltweiten Schlagzeilen beherrschen, ist es verständlich, dass dieser Befund überraschend kommt.

Freilich sind staatlich finanzierte Projekte in Russland notorisch korrupt, und auch rund um die Vorbereitung der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 rankten sich Korruptionsvorwürfe. Aber im Falle der Infrastruktur für die Fussballweltmeisterschaft ist es unwahrscheinlich, dass Betrug, Diebstahl oder Korruption in grossem Umfang stattgefunden haben. Der Ausbau von Flughäfen, Transportsystemen und touristischen Einrichtungen in den Austragungsorten hatte überall internationalen Standards zu genügen.

Gleiches gilt für die Errichtung der Stadien, die ebenfalls unter strenger Kontrolle der Öffentlichkeit über die Bühne ging. Bei jedem Projekt gab es ein Auswahlverfahren, und die endgültigen Gesamtkosten waren vergleichbar mit den Kosten für den Stadionbau anderswo in Europa.

Eine Sensation für die Provinzstädte

In jedem Fall ist daran zu erinnern, dass Russland im vergangenen Jahr bereits den Confederations Cup austrug, an dem der aktuelle Fussballweltmeister ebenso teilnahm wie das Gastgeberland und sechs aktuelle Fussballmeister aus den Weltregionen. Als Vorbereitung auf die Hauptveranstaltung in diesem Jahr war der Confederations Cup hinsichtlich Logistik und Zufriedenheit der Fans ein Erfolg.

Die sozialen Auswirkungen der Weltmeisterschaft in Russland können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Russische Jungen oder Mädchen, die an einem internationalen Sportereignis dieser Art teilnehmen, lernen die Vielfalt zu schätzen und Diskriminierung zu vermeiden.

Angefangen bei Broschüren und auf Postern bis hin zur Eröffnungszeremonie sehen sie junge Frauen und Männer aus einer Reihe unterschiedlicher Länder, wie sie an dieser Sportveranstaltung gemeinsam als Zeichen der Gleichheit der Geschlechter teilnehmen.

Und die Feierlichkeiten rund um die Weltmeisterschaft werden der Homosexuellengemeinschaft, die in Russland mit systematischer Verfolgung konfrontiert ist, eine sichere Gelegenheit bieten, am bürgerlichen und sozialen Leben teilzunehmen.

Für die Bewohner der russischen Provinzstädte, wo die meisten Spiele ausgetragen werden, wird die Erfahrung, Zehntausende Fans aus anderen Ländern zu Gast zu haben, so aufschlussreich sein wie die Phase unmittelbar im Anschluss an den Fall des Eisernen Vorhangs. Bei einem Spiel des Confederations Cup, das ich vergangenen Juni in Kasan sah, stammten der Schiedsrichter und die Linienrichter aus Saudi-Arabien, ein anderer Funktionär war aus dem Iran und einer aus Amerika. Für diejenigen, die die Welt durch eine geopolitische Linse des Nullsummenspiels betrachten, bietet ein derartiger Anblick ein starkes Korrektiv aus Kooperation und Kollegialität.

Auch Kleine haben eine Chance

Die Fifa schätzt, dass etwa 250 Mio. Menschen in über 220 Ländern Fussball spielen. Die weltweite Fangemeinde ist mittlerweile auf über 1,3 Mrd. gewachsen. Die Bürger der meisten Länder wissen, dass ihr Nationalteam keine Chance auf den Sieg bei der Fussball-WM hat, aber sie sehen sich trotzdem jedes Spiel ihres Teams an.

Denn anders als in den Profiligen, wo die Leistung eines Teams tendenziell seine finanziellen Ressourcen abbildet, bietet Fussball auf nationaler Ebene auch den kleinsten Ländern eine faire Chance. Aus diesem Grund hat das winzige Uruguay zwei Mal den Weltmeistertitel gewonnen, und die Niederlande sind stolzer Dreifach-Vizeweltmeister.

Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass sportliche Grossereignisse wie Weltmeisterschaften und Olympische Spiele den Austragungsländern kaum direkte ökonomische Vorteile bieten. Doch die gleichen Untersuchungen haben ergeben, dass die Bewohner der Gastgeberländer während und nach diesen Veranstaltungen durchweg eine wesentlich höhere Zufriedenheit aufweisen.

Im Stadion wird Russland kaum gewinnen

Das habe ich im damals in Kasan selbst erfahren, als Russland in der Qualifikation für das Halbfinale des Confederations Cup gegen Mexiko spielte. Russland verlor, nachdem sein Torhüter einen dummen Fehler begangen hatte und der beste russische Spieler nach einem Foul ausgeschlossen worden war. Doch das Stadion war schön, die Veranstaltung gut organisiert, und 40’000 Fans genossen einen wunderbaren Abend.

Es ist schwer zu glauben, dass Russlands Nationalteam diesen Juli den Weltmeistertitel gewinnen wird. Aber es besteht jeder Grund zur Annahme, dass Russland ein hervorragender Gastgeber für eine wichtige und einigende globale Veranstaltung sein wird.

Copyright: Project Syndicate.