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Risiko und Bankenregulierung

Wenn eine Bank mehr Risiken eingeht, sollte sie auch mehr Eigenkapital haben müssen!» Vor zwanzig Jahren habe ich das auch geglaubt. Inzwischen halte ich diese Aussage für irreführend, wenn nicht gar verlogen. Die, welche diesen Satz aussprechen, meinen nämlich nicht das, was er sagt, sondern: «Wenn eine Bank weniger Risiken eingeht, sollte sie auch weniger Eigenkapital haben dürfen!»

Sie meinen, das sei doch genau dasselbe? Nach den Regeln der Logik haben Sie damit Recht, nach den Regeln der Politik aber gibt es einen Riesenunterschied. Beiden Sätzen zugrunde liegt die Regel, dass «normale»(?) Risiken von Banken zu einem bestimmten Prozentsatz mit Eigenkapital unterlegt werden müssen, z. B. mit 7%, wie es nach Basel III vorgesehen ist. Ausgehend von dieser Norm sagt der erste Satz, dass für grössere Risiken die Banken mehr als 7% einsetzen müssen, der zweite dagegen, dass sie für kleinere Risiken weniger als 7% einsetzen müssen.

In der Praxis kommen dann grössere Risiken so gut wie nicht vor. Das System der Risikokalibrierung und Risikogewichtung bei den Eigenkapitalvorschriften ist vielmehr ein Instrument, mit dem die Banken ihre Eigenkapitalanforderungen senken, sodass sie mit dem Eigenkapital, das sie haben, ein noch grösseres Rad drehen können. Wenn eine Bank stolz verkündet, ihr Eigenkapital belaufe sich auf 10% ihrer risikogewichteten Aktiva, wird das vielleicht 3% der Bilanzsumme entsprechen, dem, was Lehman Brothers in der letzten Bilanz vor dem 15. September 2008 auswies.

Verführerische Idee der Kalibrierung

In der Finanzkrise sind viele Banken de facto insolvent gewesen durch Risiken, die bei der Berechnung ihres erforderlichen Eigenkapitals gar nicht vorkamen, UBS aufgrund von Risiken bei toxischen Papieren, die in den Modellen auf null gesetzt worden waren, Dexia aufgrund des Ausfalls bei griechischen Staatsanleihen, die ebenfalls ein Risikogewicht von null hatten. Empirische Untersuchungen zeigen, dass im Vergleich verschiedener Banken das Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme die Robustheit der Banken in der Krise viel besser erklärt als das Verhältnis des Eigenkapitals zu den risikogewichteten Aktiva.

Die Idee der Risikokalibrierung ist verführerisch, vor allem für Wissenschaftler. Da kann man seinen Sachverstand einsetzen, um die Risiken zu schätzen und genau auszutarieren, für welche Operationen man wie viel Eigenkapital braucht.

Jedoch werden einige der wichtigsten Risiken im bestehenden System gar nicht berücksichtigt: Staatsschulden, die in der Währung des betreffenden Landes denominiert und finanziert werden, gelten als risikolos. Daher konnten Institute wie Dexia und Hypo Real Estate ihre Bilanzsumme auf das Fünfzig- bis Hundertfache ihres Eigenkapitals aufblähen, und bei beiden überstiegen die Verluste auf griechische Staatsanleihen das Eigenkapital.

Das Risiko, das entsteht, wenn eine Bank langfristige Kredite mit kurzfristigen Schulden finanziert, wird ebenfalls nicht berücksichtigt, zumindest wenn die Bank die Kredite im Bankbuch führt. Dieses Refinanzierungsrisiko war für die US-amerikanische Sparkassenkrise der Achtzigerjahre verantwortlich. Diese Institute hatten in den 1960er-Jahren langfristige festverzinsliche Hypotheken zu 6% vergeben und kamen in Schwierigkeiten, als Anfang der 1980er-Jahre die Marktzinsen auf über 10% stiegen. In der Endabrechnung musste der amerikanische Steuerzahler 129 Mrd. $ für die Verluste der Sparkassen bezahlen.

Ebenfalls nicht berücksichtigt werden Korrelationen von Kreditausfallrisiken, das Problem, das die Sub­prime-Hypotheken in den Vereinigten Staaten so gefährlich machte. Wenn die Zahlungsausfälle der Schuldner von gemeinsamen Faktoren wie der Konjunktur, der Zinsentwicklung oder der Immobilienpreisentwicklung abhängen, kann es passieren, dass viele Schuldner gleichzeitig ausfallen und die Banken massiv betroffen sind. Auch dieses Risiko wird in unserem ach so wissenschaftlich fundierten System der risikogewichteten Eigenkapitalregulierung ausgeklammert.

Sieht man sich die Details der Regulierung an, so stellt man fest, dass es mit der wissenschaftlichen Fundierung nicht so weit her ist. Da steckt sehr viel Politik drin (Staatsfinanzierung!), sehr viel Tradition (Trennung Handelsbuch– Bankbuch) und ein wenig Wissenschaft oder auch Pseudowissenschaft. Zu den wissenschaftlichen Ansprüchen wäre zu bemerken, dass die verfügbaren Datenreihen viel zu kurz sind, um verlässliche empirische Schätzungen zu ermöglichen, dass die Risiken selbst sich im Zeitablauf immer wieder ändern, ohne dass man das beobachten könnte, und dass diese Risiken vom Verhalten der anderen Marktteilnehmer abhängen.

Abwärtsspirale nicht im Voraus erfassbar

Bei der ersten Kreditausfallversicherung, die eine Bank vom amerikanischen Versicherer AIG kaufte, war das Risiko, dass AIG nicht zahlen könnte, vernachlässigbar; bei Kreditausfallversicherungen für insgesamt 500 Mrd. $ war aber das Ausfallrisiko beträchtlich – und doch konnte ein Institut, das einen solchen Vertrag mit AIG hatte, das Risiko, gegen das es sich versichert hatte, ebenso wie das Ausfallrisiko von AIG, in seinen Risikomodellen auf null setzen.

Und wenn etwas schiefgeht, muss die Bank neues Eigenkapital aufnehmen oder Vermögenswerte verkaufen. Wenn viele Banken das gleichzeitig tun, sinken die Preise der Vermögenswerte, wie in den Jahren 2007 und 2008 und erneut 2011. Die Preisrückgänge zwingen alle Banken, die Vermögenswerte derselben Art halten, zu Abschreibungen – und zu weiteren Reaktionen, etwa auch zu Verkäufen von Vermögenswerten. Die Vorstellung, dass wir die Dynamik einer solchen Abwärtsspirale von Bilanzpositionen und Marktpreisen von vornherein in quantitativen Modellen angemessen erfassen können, ist absurd.

Vor sehr langer Zeit gab es die Vorstellung, dass Eigenkapital zum Schutz vor Risiken dienen sollte, die man nicht kennt; dagegen dienen Rückstellungen zum Schutz vor Risiken, die man erkannt hat. Diese Vorstellung sollte wiederbelebt werden. Dann käme man zu einer Basiseigenkapitalregulierung entsprechend einer Schuldengrenze (Leverage Ratio), die nicht davon abhängt, wie hoch man die Risiken der Bank einschätzt.

Und wenn die Bank erkennbar grössere Risiken eingeht? Dann sollte man vielleicht den ersten der oben zitierten Sätze wörtlich nehmen und zusätzliche Eigenkapitalanforderungen erheben; den zweiten der zitierten Sätze jedoch sollte man streichen.

Verluste ausgerechnet im Eigenhandel

Hinter diesen Überlegungen verbirgt sich auch eine Neubewertung der Risiken aus Krediten und Investment Banking. Die bisherige risikobasierte Eigenkapitalregulierung hat den Eigenhandel der Banken gefördert, denn hier können die Risikomodelle besonders gut dazu benutzt werden, Eigenkapital «einzusparen»; deshalb ist das traditionelle Kreditgeschäft bei grossen Banken in den Hintergrund getreten. Dazu heisst es dann, das Kreditgeschäft sei eben riskant und im Eigenhandel könne man die Risiken besser managen.

Viele grosse Verluste in der Krise sind aber gerade in den Bereichen entstanden, wo man die Risiken angeblich so gut managen kann. Und die Schäden für das Finanzsystem waren besonders gross. Bear Stearns und Lehman Brothers waren Investmentbanken!

Dass man die Risiken besser managen kann, heisst offensichtlich nicht, dass die Verantwortlichen das auch tun. Bei Eigenhandel und Derivaten ist das besonders gefährlich, denn hier kann ein Zocker das Risiko vervielfachen, indem er einfach ein oder zwei Nullen an seine Positionen anhängt; im Kreditgeschäft geht das nicht so einfach, da braucht man immer wieder neue Kreditwürdigkeitsprüfungen. Eine Regulierung, die mit einer wirksamen Schuldengrenze anfängt und allenfalls zusätzliches Eigenkapital für besonders riskante Geschäfte fordert, könnte da etwas Abhilfe schaffen.