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Reformstau in der zweiten Säule

Nicht alle Menschen sind bereit – und nicht alle aufgrund der Entwicklung ihrer Einkommen auch dazu in Lage –, während ihres Erwerbslebens ausreichend für das Alter vorzusorgen. Viele Länder versuchen, dieses gesellschaftliche Problem mit einem staatlich verordneten Zwangssparen zu lösen.

Das Altersvorsorgesystem in der Schweiz basiert auf drei unterschiedlich konzipierten und finanzierten Säulen. Für alle Erwerbstätigen ab dem 18. Altersjahr und für Nicht-Erwerbstätige ab dem 21. Altersjahr ist die erste Säule – mit Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), Invaliditätsversicherung (IV), Ergänzungsleistungen (EL) zu AHV und IV, Erwerbsersatzordnung (EO) für Militär- und Zivildienst, Zivilschutz oder Mutterschaft – obligatorisch.

Sie wird im Wesentlichen in einem Umlageverfahren durch Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie durch Steuermittel finanziert. Die für alle Arbeitnehmer mit einem AHV-pflichtigen Jahreslohn ab gegenwärtig 21‘150 Fr. obligatorische Berufliche Vorsorge (BV) ist die zweite und eine freiwillige individuelle Vorsorge die dritte Säule.

Die BV soll die Leistungen der AHV und IV für Alter, krankheitsbedingte Invalidität und Tod ergänzen. AHV und BV zusammen sollen nach der Erwerbstätigkeit eine Fortführung der gewohnten Lebenshaltung ermöglichen. Grundsätzlich basiert die BV auf einem Kapitaldeckungsverfahren und wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam finanziert, wobei die Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge entrichten müssen. Der Ertrag der Kapitalanlagen bildet den «dritten Beitragszahler».

In Schieflage manövriert

Die Vorsorgeeinrichtung – Pensionskasse, autonome Sammelstiftung oder Versicherung – bestimmt der Arbeitgeber. Eine Versicherung hat den Vorteil, dass sowohl die während des Sparprozesses auftretenden Risiken abgesichert als auch die Altersrenten nominal garantiert werden. Allerdings ist für diesen Risikotransfer eine Reduktion der Rendite des Vorsorgekapitals in Kauf zu nehmen.

Zudem muss eine Versicherung die eingegangenen Leistungsverpflichtungen stets zu 100% erfüllen. Ihre Risikofähigkeit ist dadurch etwas eingeschränkt. Pensionskassen und Sammelstiftungen sind nur für die Risiken Tod und Invalidität versichert. Diese  müssen berechnet und abgesichert werden.

Diese Vorsorgeeinrichtungen dürfen jedoch während einer begrenzten Zeit auch eine Unterdeckung ausweisen. Unterdeckung bedeutet, dass der Buchwert des angelegten Vorsorgekapitals nicht zur vollen Deckung der von der betreffenden  Vorsorgeeinrichtung eingegangenen Leistungsverpflichtungen ausreicht. Der Deckungsgrad sagt allerdings wenig über die langfristige Entwicklung des Anlagevermögens einer Vorsorgeeinrichtung aus. Solange eine Unterdeckung nur auf als vorübergehend zu betrachtende Wertschwankungen zurückgeht, besteht kein zwingender Handlungsbedarf.

Bislang konnten die Leistungen von AHV und BV nicht überzeugen. Zur Weiterführung des gewohnten Lebensstandards reichen die Altersrenten der obligatorischen Säulen oft nicht aus. Um das Vorsorgeziel zu erreichen, müssen Personen mit höheren Erwerbseinkommen – aktuell etwa ab 80‘000 Fr. – auf zusätzliche Leistungen aus der steuerlich geförderten oder der ungebundenen dritten Säule zurückgreifen können.

In der AHV werden alle Renten periodisch an die Lohn- und Teuerungsentwicklung angepasst, in der BV nur die Risikorenten. Bislang gab es für Altersrentner lediglich in einzelnen Fällen und auch nur in Bezug auf die Teuerung einen punktuellen Ausgleich. Die reale Kaufkraft der BV-Renten nimmt schon bei einer geringen jährlichen Teuerung spürbar ab. Nur ein regelmässiger Teuerungsausgleich – wie bei der AHV – würde ihre Kaufkraft erhalten. Solange dies nicht der Fall ist, müssen in der BV die Altersrentner diesen Kaufkraftverlust selbst tragen. Eine Anpassung der Renten an die Teuerung setzt jedoch voraus, dass die Vorsorgeeinrichtungen dazu auch in der Lage sind.

Die demografische Entwicklung wird schon lange als Problem der umlagefinanzierten AHV thematisiert. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird aber auch auf die Auswirkung der steigenden Lebenserwartung der Altersrentner für die BV hingewiesen. Bis heute hat die Politik darauf ebenso wenig reagiert wie auf Veränderungen in den Finanz- und Kapitalmärkten.

Nicht erfolgte Anpassungen an die demografische und ökonomische Entwicklung sowie opportunistische Eingriffe der politischen Entscheidungsträger haben die BV in eine Schieflage gebracht. Der Gesetzgeber hat vor einigen Jahren beschlossen, die Höhe des rentenbestimmenden Umwandlungssatzes im Gesetz (BVG) und nicht mehr in einer flexibleren Vollzugsverordnung zu regeln. In der Folge scheiterten die notwendigen Anpassungen des Umwandlungssatzes am Fehlen von Mehrheiten im Parlament. Das Resultat ist eine massive und in einem Kapitaldeckungsverfahren systemwidrige Umverteilung von beitragszahlenden Erwerbstätigen zu  Altersrentnern.

Der aktuell gültige Umwandlungssatz von 6,8% im obligatorischen Teil ist zu hoch. Eine Anpassung dieses Satzes an die effektiv bestehenden demografischen und ökonomischen Verhältnisse setzt jedoch eine Änderung des BVG voraus. Die Vorsorgeeinrichtungen versuchen deshalb, diesen Politikfehler mit Kürzungen des Umwandlungssatzes im «überobligatorischen» Teil aufzufangen.

Der effektive Umwandlungssatz für neue Renten liegt daher im Mittel bei ca. 5,9%. Diese Praxis ist eine «Quersubventionierung» der Altersrenten zulasten der erwerbstätigen Versicherten und vor allem zulasten der überobligatorisch Versicherten, die schon mit nicht mehr rentenbildenden AHV-Beiträgen einen hohen Solidaritätsbeitrag erbringen (Einkommen ab aktuell 84‘600 Fr.).

Zur Finanzierung des Umwandlungssatzes von 6,8% wäre gegenwärtig eine Rendite der Kapitalanlagen von fast 5% erforderlich, 1985 reichten dafür noch 3,5%. Die Vorsorgeeinrichtungen werden durch das Festhalten der Politik an einem demografisch und ökonomisch inadäquaten Umwandlungssatz faktisch auch in Anlagen mit höheren Risiken gedrängt.

Ökonomische statt politische Kriterien

Die Berufliche Vorsorge kann den ihr zugedachten Teil in der Altersvorsorge nur nach einer Entpolitisierung – am besten wohl mit einer automatischen Anpassung des Umwandlungssatzes an die sich ändernden Bedingungen – sowie einer Entschlackung von Gesetz und Verordnungen erfüllen. Gewisse Anlagevorschriften und Regulierungen haben die vom «dritten Beitragszahler» erwarteten Beiträge beeinträchtigt.

Zu komplexe Regulierungen machten die BV sowohl zu einem kostentreibenden als auch renditeschmälernden Nährboden für Berater und Kontrolleure. Die Aufsicht der Vorsorgeeinrichtungen sollte künftig allein der Finma obliegen. Pensionskassen und Sammelstiftungen verwalten gegenwärtig über 800 Mrd. Fr. Sie sind für den Anlageerfolg verantwortlich.

Allein ökonomische Kriterien sollten daher den Anlageentscheid bestimmen – keinesfalls politische Vorgaben oder Wünsche von Bundesämtern und Nichtregierungsorganisationen. Eine freie, vom Entscheid des Arbeitgebers losgelöste Wahl der Vorsorgeeinrichtung dürfte zu mehr Wettbewerb und zu höheren Nettorenditen führen. Die Anlagerichtlinien sollten dem Beispiel diesbezüglich erfolgreicherer Länder folgen.

Höhere Renditen erfordern weltweit diversifizierte Investitionen in unterschiedlichen Anlageklassen. Mit ihrem langfristigen Anlagehorizont könnten die Vorsorgeeinrichtungen vermehrt in Private Equity oder Venture Capital investieren.