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Raiffeisens Weg aus dem Chaos

Seit der Finanzkrise versank keine Schweizer Bank mehr in solch einem Chaos wie Raiffeisen 2018. Ex-Chef Pierin Vincenz hat die Genossenschaftszentrale in St. Gallen an den Abgrund geführt. Gegen den Bündner läuft ein Strafverfahren, über drei Monate sass er in Untersuchungshaft, und für nächstes Jahr erwartet ihn eine Anklage der Staatsanwaltschaft wegen versteckter Geschäfte zu seiner Zeit als CEO. Der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz ist ein führungsloses Skelettgremium, die genossenschaftliche Struktur hat sich als untauglich erwiesen, die neue IT verschlingt über eine halbe Milliarde Franken und funktioniert nicht, und zuletzt kündigte Bankchef Patrik Gisel seinen Rücktritt an. Zu Recht – Gisel war 13 Jahre lang Vincenz’ Nummer 2 und zu nah an ihm dran.

Gisel macht den Weg frei für den Neuanfang. Für diesen muss Raiffeisen aber auf drei internen Baustellen fundamental aufräumen. Zum einen muss die Bank mit der Verschleierung ihrer Vergangenheit und ihrer kommunikativen Salamitaktik Schluss machen. Alle Berichte über die Ära Vincenz gehören auf den Tisch. Dazu zählt der Deloitte-Bericht, auf dessen Grundlage die Finanzmarktaufsicht (Finma) eine Untersuchung gegen Raiffeisen führte, mit desaströsem Ergebnis für die Bank.

Alles muss an die Öffentlichkeit

Bisher wurden nur wenige Auszüge des Deloitte-Berichts auf dem Finanzblog «Inside Paradeplatz» öffentlich. Aber schon diese wenigen Zeilen reichten aus, um Gisels Glaubwürdigkeit zu zerstören. Aus den Auszügen geht hervor, wie nahe Gisel dem System Vincenz war. Für Raiffeisen führte Gisel 2011 die Verhandlungen um die Übernahme der Private-Equity-Gesellschaft Investnet. Wegen Investnet ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Vincenz. An Investnet war Vincenz-Freund Beat Stocker beteiligt, er soll nach der Übernahme durch Raiffeisen Geld an Vincenz überwiesen haben.

Gisel wusste von der Beteiligung, nicht aber, dass Stocker dahinter stand – und er fragte auch nicht nach, um wen es sich bei dem ominösen Minderheitsaktionär genau handelte. Überhaupt nahm er es nicht genau. Laut Deloitte-Auszügen fand unter Gisels Verhandlungsführung keine vernünftige Überprüfung und Bewertung von Investnet statt, Warnungen der hauseigenen Experten wurden in den Wind geschlagen. Nach dem Kauf durch Raiffeisen kam heraus, Investnet war überschuldet. Seit die Deloitte-Auszüge bekannt sind, klingen ­Gisels Beteuerungen, nichts von den vermeintlichen Verfehlungen Vincenz’ gewusst zu haben, hohl.

Auf den Tisch muss weiter der Abschlussbericht der Finma zu ihrem Aufsichtsverfahren gegen Raiffeisen. Bisher existiert nur eine Mitteilung dazu. Raiffeisen hält den Bericht unter Verschluss, nur die Präsidenten und Chefs der 255 Raiffeisenbanken im Land dürfen nach Unterzeichnung eines Schweigegelübdes Einsicht nehmen. Schon die kurze öffentliche Zusammenfassung des Berichts war explosiv und liess auf einen Schlag alle  Verwaltungsräte aus der Vincenz-Ära unhaltbar werden. Ihnen stellten die Raiffeisen-Delegierten an ihrer Versammlung im Juni in Lugano den Stuhl vor die Tür. Und auch Gisel war nach dem Finma-Bericht vollends geliefert. Der Tenor: Verwaltungsrat und Geschäftsleitung nickten alles ab, was der grosse Vorsitzende, Vincenz, befahl – ein Haus ausgerichtet auf einen Mann, der nach Gutsherrenart herrschte.

Zuletzt muss der Gehrig-Bericht gänzlich öffentlich gemacht werden. Der Ex-Swiss-Life-Präsident Bruno Gehrig untersucht mit einem Team der Kanzlei Homburger die Beteiligungsnahmen Raiffeisens während der Vincenz-Jahre. Am 10. November zur ausserordentlichen Delegiertenversammlung (a.o. DV) von Raiffeisen soll er vorliegen. Die Finma hat bereits angekündigt, gestützt auf den Bericht nochmals entscheiden zu wollen, ob sie gegen weitere Personen Verfahren eröffnen wird. Hält Raiffeisen im November auch noch den Gehrig-Bericht unter Verschluss, zelebriert die Bank auch mit neuen Köpfen noch die alte Intransparenz.

Die Köpfe, das Personal der Bank, sind die zweite Baustelle, die Raiffeisen für einen Neuanfang anpacken muss. Zu neuen Verwaltungsräten und einem neuen Chef gehört auch neues Personal in der Geschäftsleitung. Die Hälfte des Gremiums ist mit Paulo Brügger, Michael Auer, Gabriele Brun und Beat Hodel immer noch mit Personen aus der Ära Vincenz besetzt. Ein neuer Chef kann keine Abnicker in seiner Geschäftsleitung tolerieren. Bevor aber ein Nachfolger Gisels aufräumt, wird Raiffeisen einen neuen Präsidenten erhalten. Und dieser sollte nicht Pascal Gantenbein heissen.

Gantenbein, seit 2017 Vize- und seit März 2018 Interimspräsident, will sich an der a.o. DV zum ordentlichen Verwaltungsratspräsidenten wählen lassen. Dabei hat er bisher eine rundum unglückliche Figur gemacht. Bis zuletzt hielt er an Patrik Gisel fest. Dem Vernehmen nach waren es die neuen unbefleckten Mitglieder im Verwaltungsrat, die auf Gisels Rücktritt drängten, nicht Gantenbein. Mit den Raiffeisen-Regionalfürsten hat es sich der Professor aus Basel längst verscherzt. Vor den Delegierten in Lugano bezog er nicht klar Stellung, ob er sich zur Präsidentenwahl stelle, vor den Medien danach aber schon. Er verteidigte die Gehaltserhöhung für den Verwaltungsrat, dem die Finma Versagen vorgeworfen hat. Den Deloitte-Bericht machte er entgegen Zusagen nicht einmal auszugsweise öffentlich. In den Finma-Bericht dürfen nur die Regionalfürsten unter Strafandrohung Einsicht nehmen. Gantenbein hat nie den Mut für einen sauberen Bruch mit der Vergangenheit gehabt, ein Neuanfang ist mit ihm an der Spitze nicht möglich.

Nur eine Lösung für Strukturproblem

Es gibt noch einen trivialeren Grund, der gegen Gantenbein spricht. Bereits sucht der bekannte Headhunter Guido Schilling nach Alternativkandidaten, damit der Nominationsausschuss des Verwaltungsrats – zu dem Gantenbein natürlich nicht gehört – eine Auswahl hat. Mitte August will sich das Gremium auf nur einen einzigen Kandidaten festlegen; im November soll dieser den Delegierten zur Wahl vorschlagen werden. Bereits kursieren Namen von amtierenden und ehemaligen Bankchefs und -präsidenten. Vor einiger Zeit wurden auch die Raiffeisen-Regionalfürsten aufgerufen, ihre Dossiers einzureichen. Anders als Gantenbein erfüllen alle diese Personen eine zentrale Anforderung der Finma an neue Raiffeisen-Verwaltungsräte: Bankerfahrung.

Transparenz und gute Leute nutzen einer Bank nichts, wenn sie ein Strukturproblem hat – das ist die dritte Baustelle Raiffeisens. Das ehemalige Königreich Vincenz, Raiffeisen Schweiz, ist eigentlich eine genossenschaftliche Tochter der 255 Raiffeisen-Banken im Lande. Die St. Galler Zentrale übernimmt Gemeinschaftsaufgaben und gibt der Gruppe national Gewicht und Gesicht. Faktisch wurde die Tochter unter Vincenz aber zum Führerstand der Gruppe. Die Delegierten aus den Regionen können an ihren Versammlungen noch nicht einmal über die Vergütung des Verwaltungsrats von Raiffeisen Schweiz abstimmen.

Die Raiffeisen-Banken und ihre Delegierten müssen ihre Tochter in St. Gallen an die Kandare nehmen, sich neue Gestaltungsrechte einräumen, die denen von Aktionären bei einer Aktiengesellschaft entsprechen. Die 255 Raiffeisen-Banken im Land können Genossenschaften bleiben, die Zentrale in St. Gallen hat dieses Privileg verwirkt. Die Finma hat dazu die Vorlage geliefert. Das Strukturproblem kann nur gelöst werden, wenn Raiff­eisen Schweiz die Umwandlung in eine AG, wie von der Aufsicht gefordert, nicht nur scheinheilig prüft, sondern sie auch umsetzt. Dazu gehört dann auch, dass zukünftig die einfachen Genossenschafter und die Medien an den Delegiertenversammlungen teilnehmen.

Patrik Gisels Ankündigung, auf Ende Jahr zurückzu- treten, war ein notwendiger Schritt. Jetzt muss Raiff­eisen Schweiz transparent werden, fähiges Personal einstellen und die Struktur ändern. Wenn das gelingt, findet die Bank ihren Weg aus dem Chaos.

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