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Pulverfass Taiwan

Dieser Tage ist viel die Rede von den expansionistischen Vorstössen der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer und im Grossraum des Indischen Ozeans. Von Delhi bis Washington, von Canberra bis Tokio und in ganz Südostasien ist man über die Wiedergeburt des Hegemonen China besorgt. Von besonderer Brisanz ist der Krisenherd Taiwan, der in den westlichen Medien indessen nur wenig Beachtung findet.

Am Ende des äusserst blutigen chinesischen Bürgerkriegs (1927–1949) fanden die von Chiang Kaishek geführten chinesischen Nationalisten ihre letzte Fluchtburg auf der Insel Taiwan. Während Mao Zedong am 1. Oktober 1949 auf Pekings Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik ausrief, beanspruchten Chiang und seine verbliebenen Getreuen weiterhin die rechtmässige Führung der 1911 ausgerufenen chinesischen Republik. Beide Seiten reklamierten die Kontrolle über ein geeintes China für sich, die einen unter dem Regime der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), die anderen unter der Herrschaft der 1912 von Sun Yatsen gegründeten Kuomintang (KMT).

Rund fünfzig Jahre lang mussten die Menschen auf beiden Seiten der Strasse von Taiwan in einer Diktatur leben, ehe in den Achtzigerjahren weitreichende politische Reformen auf Taiwan Platz griffen. 1996 wurde erstmals der Präsident der Republik China auf Taiwan durch demokratische Direktwahlen bestellt. Seither haben sich Taiwan und die Volksrepublik weiter auseinandergelebt, und die Republik auf der Insel ist zu einer der lebendigsten Demokratien in Asien geworden.

Gleichzeitig haben sich auf Taiwan die Kräfte, die für eine vollwertige Unabhängigkeit der Insel eintreten, in der Demokratischen Progressiven Partei (DPP) als erfolgreiche Regierungspartei etabliert. Präsidentin Tsai Ingwen gehört der DPP an. Sie nennt sich offiziell Präsidentin der Republik China, befürwortet aber einen souveränen taiwanischen Staat.

Seitenwechsel in den Siebzigerjahren

In der diplomatischen Welt ist klar, dass, wer immer eine der beiden Einheiten anerkennt, mit der anderen Einheit keine offiziellen Beziehungen mehr haben kann. Bis Ende 1978 hatten die USA diplomatische Beziehungen mit Taiwan. Am 1. Januar 1979 folgte der Seitenwechsel in Richtung Volksrepublik, als Kulmination der von Präsident Nixon und Aussenminister Henry Kissinger betriebenen chinesisch-amerikanischen Annäherung. Taipeh verlor den Sitz in der Uno und geriet immer mehr ins diplomatische Abseits. Heute wird die chinesische Republik auf Taiwan vom Vatikan und von neunzehn Kleinstaaten anerkannt. Weitere 57 Länder (u. a. die Schweiz) unterhalten eine informelle Präsenz auf der Insel.

Mit der Anerkennung der Volksrepublik ging der Erlass des vom US-Kongress eingebrachten Taiwan Relations Act (TRA) einher. Dieses Gesetz regelt die engen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen zwischen Taiwan und den USA und ist die Basis für de facto diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern; Washington unterhält eine substanzielle diplomatische Präsenz auf der Insel. Der TRA ist kein militärisches Bündnis, wie es die USA mit Südkorea und Japan haben, und es gibt keinen automatischen amerikanischen Beistand im Fall eines militärischen Übergriffs Chinas.

Hingegen erlaubt und ermöglicht der TRA die Lieferung von Rüstungsgütern an Taiwan, und implizit ist klar, dass bei einem Angriff vom Festland die USA nicht passiv bleiben würden. Dies ist auch an der Formulierung erkennbar, wonach die USA jeden Versuch, die Zukunft Taiwans durch andere als friedliche Mittel zu bestimmen, als «Gefahr für den Frieden und die Sicherheit im westlichen Pazifik» und als Anlass für ernsthafte Besorgnis der USA betrachten würden.

Als 1996 anlässlich von Taiwans Präsidentschaftswahl China mit Kriegsmanövern die Insel einzuschüchtern suchte, reagierte die Clinton-Regierung scharf und wies Peking in die Schranken. Der chinesische Partei- und Staatschef Jiang Zemin verhielt sich besonnen, eine militärische Eskalation konnte vermieden werden. Unter Jiang Zemins Nachfolger Hu Jintao beruhigte sich die Lage, besonders auch deshalb, weil in Taipeh mit der KMT-Regierung von Präsident Ma Yingjeou eine Partei im Amt war, die ein vereinigtes China als Fernziel anstrebt.

In jüngster Zeit haben indessen die Spannungen wieder erheblich zugenommen. Dazu beigetragen haben die expansionistischen Interventionen Pekings im Südchinesischen Meer, der massive Kurswechsel in der US-Chinapolitik unter Präsident Trump und die resolute Position der taiwanischen Präsidentin gegenüber den Drohungen, die von Xi Jinping wiederholt an die Adresse Taiwans ausgestossen worden sind.

Aus Pekings Sicht ist Taiwan eine «abtrünnige Provinz». Unter Deng Xiaoping, der für die Rückkehr Hongkongs die Formel «ein Land, zwei Systeme» entwickelt hatte, wurde für Taiwan eine ähnliche Lösung angestrebt, wobei angesichts der Tatsache, dass die Insel keine Kolonie war und eine beachtliche eigene Verteidigungskapazität aufgebaut hatte, eine weiter gehende Autonomie erwogen wurde. Klar allerdings war jederzeit, dass niemand, der in der Volksrepublik das Sagen hatte, eine Abkehr von der Ein-China-Politik akzeptieren würde. Schon nur die Idee einer unabhängigen Republik Taiwan ist für Peking Teufelszeug.

Es gehört zu den Markenzeichen Donald Trumps, dass er mit provokanten Aussagen, die manchmal, aber bei weitem nicht immer unbedacht sind, eingespielte Prinzipien der amerikanischen Aussen- und Sicherheitspolitik in Frage stellt. Obschon er beansprucht, mit dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping ein gutes Einvernehmen zu haben, hat Trump mit der Infragestellung der Ein-China-Politik betreffend Taiwan eine dicke rote Linie überschritten. Auch sind unter seiner Regierung die Waffenlieferungen zur Modernisierung der taiwanischen Verteidigung beschleunigt worden. Schliesslich hat Washington auch in Abstimmung mit Taipeh demonstrativ die Freiheit der internationalen Seefahrt im Südchinesischen Meer beansprucht.

Krieg hätte für China schwere Folgen

Ohne Zweifel werden solche und andere Provokationen immer wieder für Spannungen und Irritationen sorgen. Die Frage stellt sich, wie explosiv das Pulverfass Taiwan ist. Über lange Zeit hinweg war klar, dass China nicht über die nötigen militärischen Kapazitäten verfügte, um eine erfolgreiche Landeoperation auf Taiwan zu lancieren und die gesamte Insel in einem Blitzkrieg unter Kontrolle zu bringen.

In den vergangenen Jahren hat China seine neu gewonnene Wirtschaftsmacht auch dafür genutzt, kräftig aufzurüsten. Peking weiss, dass China nicht als Weltmacht auftreten und sich erfolgreich mit den USA messen kann, ohne auch in der Bewaffnung mit den Amerikanern gleichzuziehen.

Es dürften heute nicht mehr primär militärische Erwägungen sein, die von einem Waffengang in Taiwan abraten. Vielmehr stehen geopolitische Unwägbarkeiten im Vordergrund. Zunächst ist ungewiss, wie die USA, Japan und das gesamte Südostasien im Kriegsfall reagieren würden. Die wirtschaftlichen Verwerfungen wären für eine so ausgeprägt vom internationalen Handel abhängige Volkswirtschaft, wie sie China seit den Reformen von Deng Xiaoping errichtet hat, verheerend. Katastrophal wären auch die politischen Konsequenzen.

Es wäre mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zu rechnen, die leicht auch auf das Festland übergreifen könnten, besonders im Fall sozioökonomischer Verwerfungen. Andererseits könnte auch der Druck auf die chinesische Führung, vor der Welt nicht das Gesicht zu verlieren, so gross werden, dass bei entsprechenden Provokationen ein Waffengang unvermeidbar würde.