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Primat der Politik hat Primat der Wirtschaft abgelöst

Am Jahrestag der Rückgabe Hongkongs wird nicht nur in China selbst Bilanz über das Geschehen der vergangenen zwei Jahrzehnte gezogen, sondern auch anderswo in der Welt. Denn Hongkong ist am 1. Juli 1997 nach mehr als 156 Jahren Fremdherrschaft nicht einfach in der Volksrepublik aufgegangen. Vielmehr verfügt die wirtschaftlich autonome Sonderverwaltungsregion gemäss einem mit  Grossbritannien vereinbarten Abkommen unter der magischen Formel «ein Land, zwei Systeme» für einen Zeitraum von fünfzig Jahren über Rechte wie Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit, von denen Einwohner anderer Teile Chinas nur träumen können.

Es war dabei von Anfang an klar, dass der in China selbst nur zäh laufende gesellschaftliche Erneuerungsprozess auch daran gemessen wird, wie tolerant sich die Kommunistische Partei gegenüber dem weltoffenen Hongkong zeigt. Ein hartes Durchgreifen hätte nicht nur der internationalen Gemeinschaft, sondern vor allem der chinesischen Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass sich die Autorität der Regierung nicht auf die Zustimmung der eigenen Bevölkerung, sondern einzig und allein auf ihren allmächtigen Überwachungs- und Unterdrückungsapparat stützt.

Weit mehr als solche Rücksichtsnahmen dürfte indes gezählt haben, dass eine Unterdrückung der lokalen Demokratiebewegung oder gar ein Blutbad (ähnlich wie 1989 auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens mit der Zerschlagung der Studentenbewegung) einen lähmenden Wirtschaftsboykott westlicher Staaten nach sich gezogen hätten. Der von den Exporten getragene Wachstumsboom, dank dem China binnen weniger Jahre zur weltweit zweitgrössten Volkswirtschaft aufsteigen konnte, wäre so in einer noch frühen Phase abrupt gestoppt worden.

Gegenseitige Abhängigkeit

Bei all dem fällt auch ins Gewicht, dass China bis heute zumindest bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich von Hongkong abhängig bleibt. Es waren hiesige Unternehmen, die in den ersten Jahren nach der wirtschaftlichen Öffnung auf dem Festland investierten. Zunehmend wurde das Territorium mit seiner effizienten Finanzbranche, seiner gut funktionierenden Verwaltung und der unabhängigen Justiz auch für ausländisches Kapital das Tor zum Reich der Mitte.

Die Abhängigkeit des grossen China von seiner kleinen Sonderverwaltungsregion hat über die Jahre zwar abgenommen, was sich daran zeigt, dass das jährliche Bruttoinlandprodukt Hongkongs vor einem Vierteljahrhundert 27% der Wirtschaftsleistung Chinas entsprach, doch nun bloss noch 3%. Das heisst aber nicht, dass Hongkong heute für die chinesischen Wirtschaftsreformen keine Rolle mehr spielt. So laufen die Internationalisierung des Yuans wie auch die Expansion chinesischer Konzerne ins Ausland zumindest teilweise über dieses Territorium ab. Nicht zuletzt haben die chinesischen Eliten hier einen Teil ihres Vermögens angelegt, so vor allem in Immobilien, deren Werterhaltung eng mit der politischen Stabilität verbunden ist.

All das zeigt, wie stark zumindest in der Anfangsphase nach der Rückkehr Hongkongs ins Mutterland ökonomische Fragen im Vordergrund standen. China war und bleibt damit auch für die Hongkonger Binnenwirtschaft ein wichtiger Wachstumsmotor. Das erklärt zumindest teilweise, warum vor zwei Jahrzehnten die Rückgabe mehr oder weniger glatt über die Bühne ging.

Uneingelöste Reformzusagen

Allerdings ist in den Augen der Hongkonger Öffentlichkeit das Primat der Wirtschaft zunehmend durch dasjenige der Politik abgelöst worden. Anders wohl als gehofft wurde die Kommunistische Partei Chinas hier mit dem lauter werdenden Ruf nach politischen Reformen konfrontiert, also Forderungen, die sie auf dem Festland bis heute zu unterdrücken verstanden hat.

Dabei geht es formal vor allem um die mit London vor 1997 vertraglich vereinbarte Einführung allgemeiner freier Wahlen. Wenn es nach Plan gegangen wäre, wäre die am 1. Juli in ihr Amt einzuführende neue Regierungschefin Carrie Lam vom Volk gewählt worden. Doch die Wahlrechtsreform ist an der Vorgabe Pekings gescheitert, dass Kandidaten für den Posten des Chief Executive – so der offizielle Titel des lokalen Regierungschefs – von einem 1200 Mitglieder zählenden Gremium ernannt werden müssen.

Der Streit führte zur schwersten inneren Krise Hongkongs seit der Rückgabe an China und gipfelte schliesslich vor drei Jahren in der sogenannten Regenschirmrevolution. Zehntausende Demonstranten besetzten in der zweiten Hälfte 2014 während Monaten das Zentrum Hongkongs, um ihrer Forderung nach mehr politischer Mitbestimmung Nachdruck zu verleihen.

Peking mischt sich ein

Die chinesische Regierung zeigte auf dem Höhepunkt der Krise bemerkenswerte Zurückhaltung. Anders als befürchtet und auch von nationalistischen Kräften gefordert wurde die Armee nicht zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt. Doch Peking hat zwischenzeitlich die während der ersten Jahre nach der Rückgabe ausgeübte lockere Haltung aufgegeben.

Das zeigt sich nicht nur daran, dass Carrie Lam und nicht der im Volk beliebtere ehemalige Finanzminister John Tsang zum neuen CE erkoren wurde, sondern vor allem auch, dass von Peking entsandte Beamte heute mehr oder weniger unverhohlen in das Tagesgeschäft von Regierung und Verwaltung eingreifen.

Ein neuer Höhepunkt wurde Ende 2015 erreicht, als fünf Buchhändler unter mysteriösen Umständen verschwanden und später auf der anderen Seite der Grenze in Gewahrsam der chinesischen Polizei auftauchten. Ihnen wurden offensichtlich schnell geschriebene Publikationen zum Verhängnis, die das Privatleben höchster chinesischer Politiker in buntesten Farben beschrieben.

Investitionsklima gut, Immobilienpreise steigen

Das politische Klima hat sich jüngst wegen einzelner Rufe nach formaler Unabhängigkeit Hongkongs weiter vergiftet. Das Thema wurde zwar erstmals in einer obskuren Studentenzeitschrift zur Sprache gebracht. Umso erstaunlicher war aber die massive offizielle Reaktion, durch die das Thema erst an die breite Öffentlichkeit kam. Ebenso wie der Fall der Buchhändler wurde damit in den Augen Pekings eine rote Linie überschritten.

Damit sind auch die Rede- und die Pressefreiheit klar eingeschränkt worden. Bisher hat das zwar das Investitionsklima nicht beeinträchtigt, was nicht zuletzt die weiter steigenden Immobilienpreise zeigen. Doch wohin die Reise von hier an für Hongkong wie auch für China geht, bleibt weit offen. Eines ist aber sicher: Die politischen Risiken sind gestiegen.

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