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Fed: Normalisierung als Gratwanderung

Mit Superlativen sollte man vorsichtig sein, doch hier sind sie ohne Zweifel angebracht: Die globale Geldpolitik ist seit der grossen Finanzkrise so expansiv wie wohl noch nie. Die jahrelang ultraniedrigen Leitzinsen sind dabei nicht einmal das Bemerkenswerteste; es sind vielmehr die unkonventionellen Massnahmen im Rahmen des sogenannten Quantitative Easing, mit denen sich die Geldpolitik auf unbekanntes Terrain begeben hat: Die Länge der Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich seit dem Jahr 2000 versechsfacht, diejenige des amerikanischen Federal Reserve (Fed) versiebenfacht, diejenige der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sogar verneunfacht. Die Notenbanken haben ihren Bestand an Wertpapieren massiv erhöht und das mit einem Ozean an zusätzlicher Liquidität finanziert, der die Notenbankgeldmenge in bisher ungetestete Höhen gehoben hat.

Angesichts der Tatsache, dass wir von krisenartigen Zuständen schon seit Jahren weit entfernt sind, ist eine Normalisierung der Geldpolitik überfällig, will man nicht massive und gefährliche Verzerrungen in den Anlagemärkten zementieren. Es wäre deshalb besorgniserregend, wenn der momentane politische Gegenwind das amerikanische Fed tatsächlich von seinem vorsichtigen Normalisierungskurs abbringen würde. Ohne den Lead der US-Notenbank scheint ein Ende der globalen Liquiditätsflut derzeit kaum denkbar.

Vermögenspreise gestiegen

Eines können wir feststellen: Zu einem Inflationsschub hat die Liquiditätsschwemme bisher nicht geführt. Auf jeden Fall nicht im traditionellen Sinne eines starken Anstiegs der Konsumentenpreise. Richten wir den Blick aber auf Vermögenspreise, so sind die Spuren des grossen geldpolitischen Experiments unübersehbar. Im Vergleich zur Wirtschaftsentwicklung sind in den Jahren der ausserordentlichen monetären Expansion die Preise der meisten Anlageklassen stark gestiegen; das betrifft Wertpapiermärkte ebenso wie Immobilienmärkte.

Natürlich ist es sehr schwierig, ex ante Blasen zu erkennen, aber Indikatoren deuten doch auf mehr oder weniger deutliche Verzerrungen in den Anlagemärkten hin: Angesichts der reichlichen und sehr billigen Liquidität scheinen die Preise von Vermögenswerten ebenso hoch zu sein wie die Risikobereitschaft vieler Investoren. Die Stabilitätsgefahren einer solchen Entwicklung sind evident: Korrigieren sich die Preise gewisser Anlagen relativ rasch, so kann das schlagartig zu grossen Verlusten führen, die – je nachdem, wie stark der Einbruch ist und wer genau davon betroffen ist – das Potenzial haben, die Wirtschaftslage rasch einzutrüben.

Die Verzerrungen auf den Finanzmärkten mit der Gefahr rascher Korrekturen stellen eines der Risiken des geldpolitischen Ausnahmezustands dar. Das zweite Risiko besteht darin, dass die Geldschwemme mit einer Verzögerung doch noch in den Konsumentenpreisen ankommt und einen Inflationsschub auslöst. Der Hauptgrund für das Fehlen einer Inflationswirkung ist zweifellos, dass der Löwenanteil der Geldexpansion nicht in der Kreditvergabe gelandet ist, sondern in der Reservehaltung der Banken und in der Vermögensanlage. Dadurch sind die breiteren Geldmengenaggregate nicht stark gestiegen, und die Geldschwemme ist sozusagen nicht direkt in der Realwirtschaft angekommen. Diese im historischen Vergleich ungewöhnliche Konstellation kann sich aber jederzeit «normalisieren». Wenn dann die Geldmenge noch immer so gross ist, könnte leicht eine unangenehme, selbstverstärkende Inflation à la Siebzigerjahre einsetzen. Auch dieses Risiko würde ich nicht unterschätzen.

Angesicht dieser Risiken ist eines klar: Die Normalisierung der Geldpolitik lässt sich nicht mehr länger aufschieben. Das bedeutet, dass sich in naher Zukunft in den meisten Wirtschaftsräumen die kurzfristigen, von den Geldbehörden direkt gesteuerten Zinsen erhöhen und dass sich die Liquiditätsversorgung über Quantitative Easing reduzieren sollte. Wirklich begonnen mit dieser Normalisierung hat von den grossen Zentralbanken bisher aber nur das amerikanische Fed. In mehreren Schritten wurden die Leitzinsen in den vergangenen drei Jahren um mehr als zwei Prozentpunkte erhöht, und vor gut einem Jahr wurde mit einer (sehr) sanften Reduktion der Bilanz begonnen. Die EZB und die SNB haben noch keinerlei Anpassung ihrer nach wie vor negativen Leitzinsen vorgenommen; die Bilanz der EZB dehnt sich nach wie vor aus.

Wir sind also insgesamt bestenfalls am Anfang des Ausstiegs aus der aussergewöhnlichen Geldpolitik. An den derzeitigen Begleittönen der leichten Normalisierung der Fed-Politik können wir sehen, dass das keine einfache Reise sein wird. Der US-Präsident ist bereits so weit gegangen, offen von einer möglichen Absetzung des Fed-Vorsitzenden zu sprechen, der den logischen Schritt gewagt hatte, inmitten einer boomenden amerikanischen Wirtschaft die nach wie vor sehr expansive Geldpolitik etwas zu bremsen. Die jüngsten Äusserungen des Fed lassen befürchten, dass der Mut schon etwas am Erlahmen zu sein scheint.

Die EZB hat hinsichtlich der Zinsen für eine allfällige erste Erhöhung bisher auf frühestens Ende 2019 verwiesen und auch betreffend die Bilanz lediglich erste kleine Schritte angekündigt. Hier wird – ohne das direkt so auszudrücken – natürlich der Moment gescheut, in dem die europäischen Staaten nicht mehr damit rechnen können, dass die Zinsen ihrer Staatsanleihen über Interventionen der EZB niedrig gehalten werden. Die SNB gewichtet die Gefahr einer neuerlichen Aufwertung des Frankens so hoch, dass – Stand heute – nicht davon auszugehen ist, dass sie vor der EZB Normalisierungsschritte bei den Zinsen einleitet. Vielmehr besteht das Risiko, dass die Bilanz weiter aufgebläht wird, falls etwa Turbulenzen im Euroraum eine starke Aufwertung des Frankens auszulösen drohen.

Diese kurze Analyse zeigt, wie schwer sich die Währungshüter mit der Normalisierung tun. Es ist wirklich eine Gratwanderung: Wartet man zu lange, so drohen Überhitzung bei den Vermögenswerten oder Inflation. Schreitet man zu rasch voran, so droht ein Einbruch der Wirtschaftsleistung. Als wäre das nicht schon schwierig genug, muss man bei jedem geldpolitischen Schritt darauf schielen, was die anderen Zentralbanken machen, um nicht übermässige Wechselkursausschläge zu riskieren.

Sorgen über Nebenwirkungen

Insgesamt besteht kein Zweifel, dass die sehr expansive Geldpolitik nach der grossen Finanzkrise richtig war. Eine schwere Krankheit wurde mit starken, zum Teil noch nicht getesteten Medikamenten erfolgreich bekämpft. Wesentlich umstrittener ist, ob das Beibehalten der extremen Geldpolitik bis heute richtig war. Trotz der Gesundung des Patienten wurden die Medikamente bis jetzt nicht abgesetzt, und man macht sich zunehmend Sorgen über die Nebenwirkungen. Diese Sorgen sind inzwischen so gross, dass man jetzt doch begonnen hat, die Dosierung des Medikaments sehr sanft zu reduzieren.

Insgesamt besteht meines Erachtens kein Zweifel, dass die Normalisierung der Geldpolitik richtig und wichtig ist. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, in relativ gut ausgelasteten Volkswirtschaften eine Liquiditätsversorgung wie inmitten einer schweren Finanzkrise aufrechtzuerhalten. Gerade aus Schweizer Sicht ist sehr zu hoffen, dass sich die grossen Zentralbanken bewegen und sich damit die Aufwertungsgefahren bei einer Normalisierung der hiesigen Geldpolitik mildern. Ob sich das Fed einschüchtern lässt oder ob es den geldpolitischen Normalisierungskurs unbeirrt fortsetzt, ist für mich derzeit mit Abstand die wichtigste makroökonomische Frage.