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Pictet-Chefstratege: «Noch droht den Börsen wenig Gefahr»

«Wir fokussieren auf spätzyklische Themen und bevorzugen vor allem Energie und Rohstoffe, also Erdöl- und Minentitel.» 

Herr Frangulidis, seit Monaten prägt die Politik die Anlagemärkte. Haben politische Börsen doch längere Beine, als man meint? - Seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise vor zehn Jahren verliert in den westlichen Industriestaaten die politische Mitte zunehmend an Bedeutung, während Parteien an den Rändern des politischen Spektrums an Einfluss gewinnen. Das beeinflusst auch die Finanzmärkte und macht sie volatiler. Diese Situation wird fortdauern, selbst wenn am Ende die ökonomischen Fakten und nicht die Politik die Richtung weisen.

Was ist gefährlicher: eine Eskalation des Handelsstreits oder eine neue Eurokrise? - Der Handelsstreit ist gefährlicher. Er hat das Potenzial, der globalen Konjunktur erheblich zu schaden. Bei einer Eskalation würden die Wertschöpfungsketten über die Landesgrenzen hinweg gestört, Güter und Dienstleistungen würden tendenziell teurer. Aber noch wissen wir nicht, ob die Politik von US-Präsident Trump eine taktische Positionierung ist, um die USA in eine bessere Lage am Weltmarkt zu bringen, oder ob sie eine Spirale in Gang setzt, bei der letztlich alle Verlierer sind.

Welche Variante ist wahrscheinlicher? - Ich zähle auf die Vernunft von Corporate America und die politischen Instanzen des Landes. Sie können Trump von radikalen Schritten abhalten. Also die erste Variante.

Weshalb beunruhigt Italien Sie weniger? - Italien ist die drittgrösste Volkswirtschaft der Eurozone und global nach den USA, Japan und China der viertgrösste Markt für Staatsanleihen – also wichtig. Trotzdem spreche ich lieber von Umbruch als von Krise. Die neue Regierung wirft viele Fragen auf. Das hat mit der Polarisierung in der Politik zu tun, die ich erwähnt habe. Die Forderung nach mehr fiskalischem Spielraum wird die Beziehungen zu den europäischen Partnern verschlechtern.

Aber? - Der Austritt aus dem Euro steht nicht zur Disposition. Wir müssen auch nicht den Ausfall italienischer Staatsanleihen fürchten. Italien geht es zurzeit wirtschaftlich gut. Das Problem ist das schwache strukturelle Wachstum. Weil die Italiener wenig Vertrauen in die Zukunft haben, in die Regierung und in den Staat, sparen sie mehr, als sie ausgeben. Gelänge es, die Justiz über den Staat bis zum Arbeitsmarkt zu reformieren, wäre Italien eine erfolgreiche Volkswirtschaft.

Was bedeutet der Handelskonflikt, den Sie als gefährlicher einstufen, für den Dollar? - Wir sehen noch nicht, dass der Handelskonflikt deutliche Spuren hinterlässt. Der Welthandel wächst rund 5% und ist weiterhin solid unterwegs, auch wenn einzelne Regionen konjunkturell etwas an Dynamik verlieren. Die US-Konjunktur ist im Zyklus voraus und robuster als anderswo. Entsprechend sind auch die Zinserwartungen höher. Das macht den Dollar stark. Wenn jetzt Donald Trump das Handelsdefizit reduzieren will, und zwar bald, ist das sein Wunsch. Die ökonomische Realität ist eine andere. In einem Land mit starker Binnennachfrage wird die Handelsbilanz defizitärer, und die Binnenwirtschaft schwächen will Trump ja kaum.

Zum Euro sagten Sie vergangene Woche, als Sie den Halbjahresausblick präsentierten, es komme zu einer temporären Erholung. Aus welchem Grund? - Die Diskussionen zwischen Italien und der EU werden zwar hart werden, aber nicht die Grundfesten des Euros erschüttern wie damals bei Griechenland. Die Wogen werden sich abschwächen.

Die Schweizer Börse hinkt anderen Aktienmärkten hinterher. Hängt das mit dem Aufwertungsdruck zusammen, der latent auf dem Franken lastet? - Nein. Als der Franken zu Beginn des Jahres schwächelte, ging es der Börse auch nicht sonderlich besser. Die starke defensive Ausrichtung des Swiss Market Index mit Nestlé, Roche und Novartis spielt für das Zurückbleiben des Schweizer Marktes eine wichtige Rolle. Je weiter man ins kleiner kapitalisierte Spektrum kommt, desto besser sieht es aus.

Bevorzugt auch Pictet weiterhin zyklische Titel, selbst wenn sie teurer sind als die defensiven? - Wir fokussieren auf spätzyklische Themen und bevorzugen vor allem Energie und Rohstoffe, also Erdöl- und Minentitel.   Auch den IT-Sektor sehen wir nach wie vor in einem positiven Licht.

Kaufen Sie auch Schweizer Aktien? - Absolut, auch wenn gewisse Sektoren zurzeit nicht so gut laufen, nehmen wir aus Gründen der Diversifikation den einen oder anderen defensiven Wert ins Portfolio – Pharma  zum Beispiel. Pharmaaktien sind deutlich günstiger als früher.

Weil es an Wachstumsfantasie mangelt. - Nicht nur. Die Unterperformance hat auch damit zu tun, dass Anleger in anderen Sektoren ganz einfach bessere Chancen sehen. Heute wollen alle in Microsoft und Google investiert sein. Das ist kein Misstrauensvotum gegen Pharmaaktien.

Ist der IT-Sektor so attraktiv, dass sich weitere Investitionen auszahlen? - Keine Frage, IT-Werte haben sich wesentlich verteuert. Aber die Situation ist nicht zu vergleichen mit der Internetblase um die Jahrtausendwende. Aus Unternehmen wie Microsoft, Google und Apple sind wahre Cash-Maschinen geworden, wie es sie nicht viele gibt.

Wie beurteilen Sie Bankaktien? - Von höheren Zinsen und vor allem einer steileren Zinskurve profitieren die Banken. Diese Erwartung half europäischen Titeln, ihren Rückstand auf amerikanische etwas wettzumachen, bis die Stimmungsindikatoren in Europa ein gewisses konjunkturelles Abflauen signalisierten und sich die langen Zinsen etwas zurückbildeten. Dann kam das Italienthema, das den Sektor zurückwarf. Jetzt spiegeln Bankaktien in Europa so viele negative Nachrichten, dass sie gerade in der Schweiz eine Kaufüberlegung wert sind.

Glauben Sie nach wie vor, dass die Schweizerische Nationalbank die Zinsen vor der EZB erhöhen könnte? Mit dieser Ansicht stehen Sie ziemlich allein da. - Ja, daran halte ich fest. Heute sprechen wir in der Schweiz über einen Anstieg der Konsumentenpreise um 1,0% und eine Zunahme der Produzenten- und Importpreise um 2,7%. Das heisst: Die Realzinsen in der Schweiz sind klar negativ. Verwerfungen wie in Italien ausgeschlossen, wird das den Franken schwächen, wie schon Anfang Jahr geschehen. Der SNB räumt das einen kleinen Freiraum ein, um etwas früher als die EZB die Zinsen zu erhöhen. Sie hat schon früher Freiräume genutzt, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, und dürfte es auch in Zukunft tun.

Wie Sie selbst sagen, stehen Wirtschaft und Börse in der Endphase des Aufschwungs. Was signalisiert die Wende? - Indikatoren gibt es viele. Müsste ich mich auf einen oder zwei beschränken, würde ich die Zinsen respektive die Zinskurve nennen. In den USA wurde jede Rezession von einer flacher werdenden Zinskurve angedeutet. Am Ende waren die kurzen Sätze jeweils höher als die langen. Zur inversen Struktur kommt es, wenn die Notenbank auf Inflationssignale reagiert und den Leitsatz und damit die realen Zinsen, erhöht. Aktuell bewegt sich der Realzins bei den Geldmarktsätzen in den USA bei null. Unmittelbar Gefahr besteht also nicht. Gefährlich würde es bei Realzinsen um 1,5%. So weit dürfte es nicht vor Mitte 2019 sein. Die Börse wird aufgrund der zunehmend restriktiveren Gangart des Fed zwar volatiler, hat aber noch Potenzial, bevor wir uns in Richtung Rezession und Kurswende bewegen.

Was heisst das für den Investor? - Etwas vorsichtiger werden, selektiv sein und nicht gleich die Nerven verlieren, wenn die Börse unruhig ist. Die Aktienmärkte werden volatiler, aber sie sind noch nicht am Zenit. Bei Obligationen sind Papiere mit kurzer Duration und inflationsgeschützte Anleihen von Vorteil. Als ideale Ergänzung erachten wir chinesische Bonds in Lokalwährung. Chinas Notenbank wird expansiver, und das Währungsrisiko ist aufgrund der hohen Währungsreserven und des Leistungsbilanzüberschusses gering.

Gehört auch Gold ins diversifizierte Depot? - Gold kommt nur als Absicherung in Frage. Wenn der Zinstrend nach oben geht und der Dollar stark ist, hat Gold es schwer.

Ein letzter Tipp? - Strukturell attraktiv sind Asiens Schwellenmärkte, für Aktien und Anleihen: hohe Produktivität, stärkeres Wachstum und günstige Demografie. Zudem bin ich überzeugt, dass die nächste Tech-Revolution aus Asien kommt. In den Schwellenländern ist die Zahl der Patente im letzten Jahrzehnt deutlich stärker gestiegen als in den westlichen Ländern. Die gewaltigen Investitionen und das Know-how in diesen Ländern stellen sogar die Übermacht des Silicon Valley in Frage. Das wird die Schwellenmärkte nicht unberührt lassen.