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Verkehrte Welt in Europa

In Spanien nehmen die privaten Konsumausgaben zu: Charcuterie in einer Madrider Markthalle. Foto: iStock

Wir schreiben das Jahr 2019. Ganz Europa befindet sich im Konjunkturabschwung, in Deutschland und Grossbritannien droht sogar eine technische Rezession … Ganz Europa? Nein. Vor allem zwei Staaten trotzen erfolgreich den Abwärtskräften und überraschen den restlichen Kontinent mit einem kräftigen Wirtschaftswachstum.

Am erstaunlichsten daran ist, dass sie nicht aus Nord- oder Kerneuropa stammen, dem vermeintlichen ökonomischen Powerhouse der Union, sondern sie liegen an der südlichen Euro-Peripherie. Beide – Spanien und Portugal – zählen zur berüchtigten Gruppe der PIGS-Staaten, die vor acht Jahren die Eurokrise verursachten und fast zum Zusammenbruch der Währungsunion geführt hatten.

Wenn zwei sich streiten, leidet der Dritte

Es ist nicht die einzige Überraschung im weltweiten Konjunkturverlauf diesen Herbst. Seit zwei Jahren führt die US-Regierung einen Handelskrieg mit China. Mindestens ebenso lange prophezeien ihr Experten, dass den grössten Schaden die USA selbst erleiden werden. Weil sich wichtige Importe verteuern oder ganz ausfallen und somit in vielen Branchen die Produktion gestört wird, weil die Agrarwirtschaft weniger exportieren wird und weil der Dollar steigt, wenn die globale Konjunktur einbricht. Inzwischen ist zu beobachten, dass unter den grossen Wirtschaftsräumen Europa am meisten leidet. Obwohl der Kontinent nicht direkt im US-China-Streit beteiligt und von den bilateralen Zollerhöhungen betroffen ist.

Empirische Analysen ergeben nun: Europas Wirtschaft reagiert auf eine Zunahme der geopolitischen Unsicherheit besonders empfindlich. Steigen die Spannungen und droht sich die globale Nachfrage abzuschwächen, reagieren die Unternehmen umgehend. Produktionspläne werden zurückgefahren, Investitionen aufgeschoben. Hier kommt zum Ausdruck, dass die EU enger international integriert ist als die USA. Das Exportgeschäft wiegt schwerer als beim Konkurrenten in Übersee.

Deutschland mit den Absatzproblemen in der Autoindustrie ist dafür das prominenteste Beispiel. Hinzu kommen spezifische Schwächen einzelner Länder wie ein zu niedriges Potenzialwachstum, Investitionsstaus, Unterbeschäftigung und zu hohe Staatsschulden.

Solide Binnennachfrage verhindert Schlimmeres

Umso erstaunlicher, dass Spanien und Portugal sich dem Abwärtstrend entziehen können. Handelt es sich doch um deutlich weniger wettbewerbsfähige und wertschöpfungsintensive Standorte als beispielsweise Deutschland oder die Schweiz.

Quelle: Refinitiv Datastream

Worin besteht das Erfolgsgeheimnis? Sowohl Spanien als auch Portugal können auf eine solide Binnennachfrage bauen. Die privaten Konsumausgaben nehmen zu, weil die Beschäftigung seit Jahren substanziell wächst. Es gibt viel aufzuholen nach den Krisenjahren. Ausserdem wird kräftig investiert. Vorwiegend geschieht das im Bau, wo das Geschäft wieder blüht. Zwar lässt auch in Portugal und in Spanien die Industrie derzeit Federn. Besonders die spanische Autoindustrie ist betroffen. Aber der viel grössere Dienstleistungssektor expandiert weiterhin.

Boomende Tourismusexporte – also das Geschäft mit Reisenden aus dem Ausland – gleichen Einbussen bei den Warenexporten aus. In Portugal machen die Tourismusexporte 8% des Bruttoinlandprodukts aus. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der Touristen um 7% gegenüber dem Vorjahr, nachdem die Ankünfte bereits damals 5% zugenommen hatten. Auch Spanien kann sich seit Jahren auf das Reise- und Urlaubsgeschäft verlassen, nicht zuletzt weil andere Mittelmeerdestinationen wegen Sicherheitsrisiken stark an Attraktivität eingebüsst haben.

Unterschiede in der Finanzpolitik

Erstaunlich ist, dass der politische Stillstand in Spanien sich bisher nicht auf die wirtschaftliche Performance des Landes ausgewirkt hat. Im November wählen die Spanier zum vierten Mal in vier Jahren. Während die Politkrisen in Italien die europäische Öffentlichkeit in Schach und viele Anleger von Italien-Engagements abhalten, wird die ewige Regierungskrise in Spanien nur am Rande wahrgenommen. Dabei bleiben dort mindestens so viele dringende wirtschaftspolitische Verbesserungen und Reformen liegen wie in Italien. Madrid hat das bisher durch eine expansive Finanzpolitik ausgeglichen. Im öffentlichen Sektor wurden die Löhne erhöht, Personal eingestellt, und es wurden die Renten angehoben. Dabei nutzte die Regierung das günstige Umfeld an den Märkten. Dank der fallenden Zinsen ist der Schuldendienst über die Jahre günstiger geworden.

Auch Portugal profitiert davon. Allerdings betreibt dort die Regierung einen vorsichtigeren Kurs. Das Staatsdefizit wurde deutlich zurückgefahren. Im Juli betrug es nur noch –0,4% des BIP, nach –2,3% ein Jahr zuvor. Das ist steigenden Steuereinnahmen und den tieferen Zinskosten zu verdanken.

Der Mix aus Aufholprozess, regionalen Vorteilen und einer unterstützenden Finanzpolitik hat beiden Ländern geholfen und stärkt ihre Abwehrkräfte gegenüber dem globalen Abschwung. Aktuelle Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass das vorerst auch so weitergehen wird.